Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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ihre schwar­zen dich­ten Au­gen­brau­en und ihre blen­dend wei­ße Haut ohne den ge­rings­ten Schim­mer von Röte. Fei­ne blaue Adern durch­zo­gen al­lein ih­ren wei­ßen Teint. Als der Rat sich um­wand­te, um sei­nem Freun­de mit­zu­tei­len, wel­ches Er­stau­nen ihm der An­blick die­ses selt­sa­men Wei­bes ein­ge­flö­ßt hat­te, sah er die­sen wie tot auf dem Gra­se lie­gen. Herr d’Al­bon schoß sein Ge­wehr in die Luft ab, um Leu­te her­bei­zu­ru­fen und schrie: »Zu Hil­fe!« wäh­rend er ver­such­te, den Obers­ten auf­zu­rich­ten. Bei dem Knall des Schus­ses floh die Un­be­kann­te, die bis da­hin un­be­weg­lich ver­harrt hat­te, pfeil­schnell da­von, stieß Schre­ckens­schreie wie ein ver­wun­de­tes Tier aus und rann­te über die Wie­se mit al­len Zei­chen tiefs­ten Schre­ckens. Herr d’Al­bon ver­nahm das Her­an­rol­len ei­ner Ka­le­sche auf der Land­stra­ße von Ile-Adam und rief den Bei­stand der Spa­zie­ren­fah­ren­den durch Win­ken mit sei­nem Ta­schen­tuch her­bei. So­gleich lenk­te der Wa­gen nach Bons-Hom­mes ein, und d’Al­bon er­kann­te Herrn und Frau von Grand­ville, sei­ne Nach­barn, die sich be­eil­ten, aus ih­rem Wa­gen zu stei­gen und ihn dem Rat an­zu­bie­ten. Frau von Grand­ville hat­te zu­fäl­li­ger­wei­se ein Fla­kon mit äthe­ri­schem Salz bei sich, das man Herrn de Sucy ein­at­men ließ. Als der Oberst die Au­gen wie­der öff­ne­te, wand­te er sie der Wie­se zu, auf der die Un­be­kann­te nicht auf­hör­te zu ren­nen und zu schrei­en, und stieß einen un­deut­li­chen Ruf aus, der aber doch eine Emp­fin­dung von Schre­cken ver­riet; dann schloß er von neu­em die Au­gen und mach­te eine Be­we­gung, als wol­le er sei­nen Freund bit­ten, ihn die­sem Schau­spiel zu ent­rei­ßen. Herr und Frau von Grand­ville über­lie­ßen dem Rat die freie Ver­fü­gung über ih­ren Wa­gen, in­dem sie ihm ent­ge­gen­kom­men­der­wei­se er­klär­ten, daß sie ihre Pro­me­na­de zu Fuß fort­set­zen woll­ten.

      »Wer ist denn die­se Dame?« frag­te der Rat und zeig­te auf die Un­be­kann­te.

      »Man ver­mu­tet, daß sie aus Mou­lins kommt«, ant­wor­te­te Herr von Grand­ville. »Sie nennt sich Grä­fin von Van­dières. Man sagt, sie sei irr­sin­nig; aber da sie sich erst seit zwei Mo­na­ten hier auf­hält, kann ich Ih­nen nicht da­für ein­ste­hen, in­wie­weit alle die­se Gerüch­te auf Wahr­heit be­ru­hen.«

      Herr d’Al­bon dank­te Herrn und Frau de Grand­ville und fuhr nach Cassan.

      »Sie ist es!« rief Phil­ipp, als er wie­der zum Be­wußt­sein ge­kom­men war.

      »Wer, sie?« frag­te d’Al­bon.

      »Ste­pha­nie. Ach, tot oder le­bend, le­ben­dig oder irr­sin­nig! Ich glaub­te, ich müs­se ster­ben.«

      Der vor­sich­ti­ge Rat, der die schwe­re Kri­sis be­griff, in die sein Freund ganz ver­fal­len war, hü­te­te sich wohl, ihn aus­zu­fra­gen oder auf­zu­re­gen; es ver­lang­te ihn un­ge­dul­dig da­nach, ins Schloß zu ge­lan­gen, denn die Ver­än­de­rung, die in den Zü­gen und in der gan­zen Per­sön­lich­keit des Obers­ten sich gel­tend mach­te, ließ ihn be­fürch­ten, daß die Grä­fin Phil­ipp mit ih­rer schreck­li­chen Krank­heit an­ge­steckt habe.

      So­bald der Wa­gen die Ein­fahrt nach Ile-Adam er­reicht hat­te, schick­te d’Al­bon den Die­ner zum Arz­te des Fle­ckens; das ge­sch­ah so, daß der Dok­tor sich schon an sei­nem La­ger be­fand, als der Oberst zu Bett ge­bracht wur­de.

      »Wäre der Herr Oberst nicht fast nüch­tern ge­we­sen,« sag­te der Chir­urg, »so wäre er ge­stor­ben. Sei­ne Mat­tig­keit hat ihn ge­ret­tet.«

      Nach­dem er die ers­ten Vor­sichts­maß­re­geln an­ge­ord­net hat­te, ent­fern­te sich der Dok­tor, um selbst einen be­ru­hi­gen­den Trank zu be­rei­ten. Am an­dern Mor­gen be­fand sich Herr de Sucy bes­ser, aber der Arzt wünsch­te sel­ber, bei ihm zu blei­ben.

      »Ich muß Ih­nen ge­ste­hen, Herr Mar­quis,« sag­te der Dok­tor zu Herrn d’Al­bon, »daß ich an eine Ver­let­zung des Ge­hirns ge­glaubt habe. Herr de Sucy ist das Op­fer ei­ner sehr hef­ti­gen Er­re­gung ge­wor­den: sei­ne Lei­den­schaft­lich­keit ist schnell ent­flammt; aber bei ihm ent­schei­det sich al­les auf den ers­ten Schlag. Mor­gen wird er viel­leicht schon au­ßer Ge­fahr sein.«

      Der Arzt hat­te sich nicht ge­täuscht; am an­dern Mor­gen er­laub­te er dem Rat, sei­nen Freund wie­der­zu­se­hen.

      »Mein lie­ber d’Al­bon,« sag­te Phil­ipp und drück­te ihm die Hand, »ich er­war­te einen Dienst von dir! Eile schnell nach Bons-Hom­mes! Er­kun­di­ge dich nach al­lem, was die Dame be­trifft, die wir ge­se­hen ha­ben, und komm schnell zu­rück, denn ich zäh­le die Mi­nu­ten.«

      Herr d’Al­bon sprang auf ein Pferd und ga­lop­pier­te nach der al­ten Ab­tei. Als er an­kam, be­merk­te er vor dem Git­ter einen großen ha­ge­ren Mann mit ein­neh­men­dem Ge­sicht, der be­ja­hend ant­wor­te­te, als der Rat ihn frag­te, ob er die­ses zer­stör­te Haus be­woh­ne. Herr d’Al­bon teil­te ihm den Grund sei­nes Be­su­ches mit.

      »Wie, mein Herr,« rief der Un­be­kann­te, »soll­ten Sie es ge­we­sen sein, der den ver­häng­nis­vol­len Flin­ten­schuß hat los­ge­hen las­sen? Sie hät­ten bei­na­he mei­ne arme Kran­ke ge­tö­tet.«

      »Oh, mein Herr, ich habe in die Luft ge­schos­sen.«

      »Sie hät­ten der Frau Grä­fin we­ni­ger Leid an­ge­tan, wenn Sie sie ge­trof­fen hät­ten.«

      »Nun, wir ha­ben uns nichts vor­zu­wer­fen; denn der An­blick Ih­rer Grä­fin hat mei­nen Freund, Herrn de Sucy, bei­na­he ge­tö­tet.«

      »Soll­te das der Baron Phil­ipp de Sucy sein?« rief der Un­be­kann­te und preß­te die Hän­de zu­sam­men. »War er in Ruß­land bei dem Über­gang über die Be­re­si­na?«

      »Ja­wohl,« er­wi­der­te d’Al­bon; »er wur­de von den Ko­sa­ken ge­fan­gen und nach Si­bi­ri­en ge­bracht, von wo er erst vor etwa elf Mo­na­ten zu­rück­ge­kehrt ist.«

      »Kom­men Sie her­ein, mein Herr«, sag­te der Un­be­kann­te und führ­te den Rat in einen im Erd­ge­schoß der Woh­nung be­le­ge­nen Sa­lon, wo al­les die Zei­chen ei­ner lau­nen­haf­ten Zer­stö­rung zeig­te.

      Kost­ba­re Por­zel­lan­va­sen stan­den zer­bro­chen ne­ben ei­ner Ka­min­uhr, de­ren Ge­häu­se un­be­rührt war. Die sei­de­nen, an den Fens­tern an­ge­brach­ten Vor­hän­ge wa­ren zer­ris­sen, wäh­rend der dop­pel­te Mus­selin­vor­hang un­be­rührt war.

      »Sie se­hen«, sag­te er beim Ein­tre­ten zu Herrn d’Al­bon, »die Zer­stö­run­gen, die das ent­zücken­de We­sen, dem ich mich ge­wid­met habe, ver­übt hat. Sie ist mei­ne Nich­te; trotz der Ohn­macht mei­ner Kunst hof­fe ich, ihr ei­nes Ta­ges den Ver­stand wie­der­ge­ben zu kön­nen, in­dem ich eine Kur an­wen­de, die un­glück­li­cher­wei­se nur den Rei­chen ge­stat­tet ist.« Dann er­zähl­te er, wie alle Per­so­nen, die ein­sam le­ben und im­mer wie­der an ih­rem Schmer­ze zeh­ren, dem Rat ein­ge­hend das nach­fol­gen­de Aben­teu­er, des­sen Dar­stel­lung hier zu­sam­men­ge­faßt und von zahl­rei­chen Ab­schwei­fun­gen, die der Er­zäh­ler und der Rat mach­ten, be­freit ist.

      »Als er ge­gen neun Uhr abends die Hö­hen von Stud­zi­an­ka ver­ließ, die er am 28. No­vem­ber 1812 wäh­rend des gan­zen Ta­ges ver­tei­digt hat­te, ließ der Mar­schall Vic­tor hier etwa tau­send Mann zu­rück mit dem Be­fehl, bis zum letz­ten Au­gen­blick die­je­ni­ge der bei­den Brücken über die Be­re­si­na zu de­cken, die noch stand­hielt. Die­se Nach­hut


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