Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
Kommis das aber ausführte, ließ er sich diesen ihm unverständlichen Befehl zweimal geben. Die Klienten, diese damals vom Detaillisten ihren Kunden gegebene vornehme Bezeichnung, deren sich auch Cäsar, trotz des Widerspruchs seiner Frau, bediente, die schließlich zu ihm gesagt hatte: nenn sie meinetwegen, wie du willst, wenn sie nur bezahlen! – Diese Klienten also waren reiche Leute, bei denen kein Verlust zu befürchten war, die nach ihrem Belieben zahlten und bei denen Cäsar häufig fünfzig- bis sechzigtausend Franken ausstehen hatte. Der zweite Kommis nahm das Debitorenkonto vor und begann die größten Ausstände auszuziehen. Cäsar scheute sich vor seiner Frau. Um sie seine Niedergeschlagenheit, die ihm dieser »Samum« von Widerwärtigkeiten verursachte, nicht merken zu lassen, beschloß er, auszugehen.
»Guten Tag, Herr Birotteau«, sagte Grindot, der eingetreten war, in ungezwungenem Ton, wie ihn die Künstler annehmen, wenn sie von geschäftlichen Dingen reden wollen, die ihnen angeblich fremd sind. »Ich kann Ihren Wechsel auf keine Weise zu Geld machen und ich muß Sie bitten, mir bares Geld statt dessen zu geben; es tut mir außerordentlich leid, daß ich dazu genötigt bin, aber ich wollte doch nicht zu einem Wucherer gehen und Ihre Unterschrift ausbieten; ich verstehe genug von Geschäften, um zu wissen, daß sie dadurch entwertet werden würde; es liegt also in Ihrem eigenen Interesse …«
»Leiser, wenn ich bitten darf, Herr Grindot,« sagte Birotteau verblüfft, »Sie setzen mich aufs äußerste in Erstaunen.«
Jetzt erschien Lourdois.
»Lourdois, verstehen Sie das? …«
Birotteau stockte. Der arme Mann war im Begriff, Lourdois zu bitten, Grindots Wechsel zu nehmen, indem er sich mit dem guten Glauben eines selbstgewissen Kaufmanns über Grindot lustig machen wollte; aber er bemerkte eine Wolke auf Lourdois’ Stirn und er erschrak über seine Unvorsichtigkeit. Ein solcher unschuldiger Scherz konnte einen nicht mehr sicheren Kredit zugrunde richten. Ein reicher Kaufmann nimmt in solchem Falle seinen Wechsel zurück und bietet ihn nicht andern an. Birotteau hatte ein Gefühl, als ob er einen steilen Abgrund vor sich sähe.
»Mein verehrter Herr Birotteau,« sagte Lourdois und führte ihn in den hinteren Teil des Ladens, »meine Rechnung ist geprüft, in Ordnung befunden und anerkannt worden, ich bitte Sie, die Zahlung für morgen bereitzuhalten. Ich verheirate meine Tochter mit dem jungen Crottat, ich brauche Geld, die Notare lassen nicht mit sich handeln, und Wechsel habe ich noch niemals ausgestellt.«
»Schicken Sie übermorgen her«, sagte Birotteau stolz, der die Bezahlung seiner Rechnungen erwartete. »Und Sie auch, Herr Grindot«, sagte er zu dem Architekten.
»Und weshalb nicht gleich?« sagte der Architekt.
»Ich muß meine Arbeiter in der Fabrik bezahlen«, sagte Cäsar, der bisher noch niemals eine Lüge gesagt hatte.
Er nahm seinen Hut, um mit ihnen zusammen fortzugehen. Aber da hielten ihn der Maurermeister Thorein und Chaffaroux auf, als er gerade die Tür schließen wollte.
»Herr Birotteau,« sagte Chaffaroux, »wir brauchen dringend Geld.«
»Ich besitze doch nicht die Minen von Peru«, sagte Cäsar ungeduldig und ging so schnell fort, daß er bald hundert Schritt von ihnen entfernt war. »Dahinter steckt etwas. Verdammter Ball! Sie denken alle, daß ich Millionen habe. Aber Lourdois kam mir anders vor als sonst,« dachte er, »dahinter muß irgend etwas stecken.«
1
Planlos ging er die Rue Saint-Honoré entlang, während er sich wie zerbrochen fühlte, als er an einer Straßenecke mit Alexander zusammenstieß, wie ein Hammel oder wie ein Mathematiker, der in die Lösung eines Problems vertieft ist, auf einen andern stößt.
»Ach, eine Frage, Herr Birotteau«, sagte der angehende Notar. »Hat Roguin Ihre vierhunderttausend Franken Herrn Claparon gegeben?«
»Das Geschäft ist ja vor Ihren Augen abgeschlossen worden; Herr Claparon hat mir zwar keine Quittung gegeben … meine Effekten sollten ja … verkauft werden … Roguin hat sie ihm doch übergeben sollen … meine zweihundertvierzigtausend Franken in bar … Es war doch verabredet, daß bei dem definitiven Kaufabschluß gezahlt werden sollte … Herr Popinot, der Richter, war der Ansicht … die Quittung … aber weshalb fragen Sie denn?«
»Weshalb ich diese Frage stelle? Um zu erfahren, ob Ihre zweihundertvierzigtausend Franken noch in Roguins Händen sind. Roguin war seit so langer Zeit mit Ihnen intim befreundet, er hätte so anständig sein können, sie Claparon zu übergeben, dann wären Sie noch gut davongekommen! Aber ich bin ja dumm! … Er hat sie natürlich zusammen mit Claparons Geld mitgenommen, der, zu seinem Glück, ihm nur hunderttausend Franken für mich übersandt hat, worüber ich keine Quittung besitze; ich habe sie ihm so anstandslos gegeben, wie ich Ihnen meine Börse anvertrauen würde. Ihre Terrainverkäufer haben nicht einen Heller erhalten, sie sind eben bei mir gewesen. Die Valuta für Ihre Hypothek auf die Terrains ist weder für Sie noch für Ihren Hypothekengläubiger vorhanden, Roguin hat das ebenso veruntreut wie Ihre hunderttausend Franken … die er … schon längst nicht mehr hatte … Ebenso sind Ihre letzten hunderttausend Franken verloren, ich erinnere mich, daß ich auf der Bank war, sie abzuheben.«
Cäsars Pupillen erweiterten sich dermaßen, daß er nur noch eine rote Flamme sah.
»Ihre hunderttausend Franken von der Bank, meine hunderttausend Franken für sein Notariat, Claparons hunderttausend Franken, das macht dreihunderttausend Franken Unterschlagungen, ohne die, die noch nicht bekannt sind«, fuhr der junge Notar fort. »Man ist in großer Sorge wegen Frau Roguin. Herr du Tillet ist noch gut davongekommen! Roguin hat ihm einen Monat lang zugesetzt, um ihn mit in das Terraingeschäft zu verwickeln, aber zum Glück für ihn war sein ganzes Geld in einer Spekulation, die er mit der Firma Nucingen macht, festgelegt. Roguin hat seiner Frau einen entsetzlichen Brief hinterlassen, ich habe ihn eben gelesen. Seit fünf Jahren veruntreute er das Vermögen seiner Klienten, und für wen? Für eine Mätresse, für die schöne Holländerin; erst vierzehn Tage, bevor es zum Klappen kam, hat er sie verlassen. Diese Verschwenderin saß da ohne einen Heller, ihre Möbel sind verkauft worden, weil sie Wechsel ausgestellt hatte. Um sich der Verfolgung zu entziehen, war sie in eine Wohnung im Palais Royal geflüchtet, und hier ist sie gestern abend von einem Kapitän ermordet worden. Sie, die sicherlich Roguins Vermögen verschlungen hat, hat schnell ihre Strafe vom Himmel empfangen. Weiber gibt es, denen gar nichts heilig ist;