Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
Falten mit weißer Seide abgesetzt waren. Ein Bettvorleger von Hermelin hob sich von einem veilchenfarbenen orientalischen Teppich ab. Die Möbel und das übrige Zubehör wiesen neue Formen von besonderer Eigenart auf. Der Parfümeur blieb vor einer reizenden Uhr mit einer Gruppe von Amor und Psyche stehen, die eben für einen bekannten Bankier angefertigt worden war; du Tillet hatte von ihm das einzige Exemplar, das noch neben dem seinigen existierte, bekommen. Endlich gelangten der ehemalige Prinzipal und der ehemalige Kommis in ein stutzerhaft elegantes, kokettes Arbeitszimmer, das mehr für die Liebe als für die Finanzen geschaffen schien. Sicher hatte Frau Roguin, um sich für die Sorgfalt, mit der er ihr Vermögen verwaltete, erkenntlich zu zeigen, das Falzbein aus getriebenem Golde, Briefbeschwerer aus Malachit mit Metallzieraten – alle die kostspieligen Kleinigkeiten eines unbegrenzten Luxus, geschenkt. Der Teppich, reichste belgische Arbeit, fesselte ebensosehr das Auge, wie er beim Betreten durch seine Weichheit und Dicke auffiel. Du Tillet bot dem armen Parfümhändler, der geblendet, überrascht, verwirrt war, einen Sitz am Kamin an.
»Wollen Sie mit mir frühstücken?«
Er klingelte; ein Kammerdiener erschien, der besser angezogen war als Birotteau.
»Sagen Sie Herrn Legras, daß er heraufkommen möchte, und bestellen Sie dann Joseph, daß er nach Hause kommen soll, Sie finden ihn vor der Tür von Kellers; dann gehen Sie hinein, und sagen Sie Herrn Adolph Keller, ich käme nicht zu ihm, sondern ich erwarte ihn hier bis zum Börsenbeginn. Außerdem lassen Sie anrichten und zwar gleich.«
Diese Worte verblüfften den Parfümhändler.
»Er bestellt diesen gefürchteten Adolph Keller zu sich, er pfeift ihm, wie einem Hunde! Er, du Tillet!«
Ein Groom, nicht dicker als eine Faust, erschien, zog einen Tisch auseinander, der so klein war, daß Birotteau ihn nicht bemerkt hatte, und stellte eine Gänseleberpastete und eine Flasche Bordeauxwein auf, nebst andern ausgesuchten Dingen, die bei Birotteau kaum alle paar Monate, bei besonderen Gelegenheiten, auf den Tisch kamen. Du Tillet kostete seinen Genuß aus. Sein Haß gegen den einzigen Menschen, der ein Recht hatte, ihn zu verachten, war so glühend geworden, daß Birotteau ihn den aufregenden Eindruck empfinden ließ, den der Anblick eines Lammes, das sich gegen einen Tiger verteidigt, gewährt. Dabei schoß ihm ein großmütiger Gedanke durch den Kopf: er fragte sich, ob seiner Rache nicht schon Genüge geschehen sei, und schwankte zwischen Maßnahmen der erwachenden Neigung zur Gnade und dem Gefühl des befriedigten Hasses hin und her.
»Ich kann diesen Mann geschäftlich vernichten,« dachte er, »ich habe das Recht über Leben und Tod in der Hand, bei ihm, bei seiner Frau, die mich zurückgestoßen hat, bei seiner Tochter, deren Hand mir damals ein Vermögen zu verheißen schien. Sein Geld habe ich nun, begnügen wir uns also, den armen Kerl an der Angel, die ich festhalte, zappeln zu lassen.«
Ehrenhafte Menschen haben häufig kein Taktgefühl, kein Maßhalten im Guten, weil sie alles ohne Umwege und ohne Hintergedanken tun. So stürzte sich Birotteau selbst rettungslos ins Unglück, indem er den Tiger reizte, ihm, ohne es zu ahnen, das Herz durchbohrte und ihn durch ein Wort, ein Lob, einen ihn ehren sollenden Ausdruck, durch die Einfalt des ehrenhaften Empfindens unversöhnlich machte. Als der Kassierer erschien, wies du Tillet auf Cäsar.
»Herr Legras, bringen Sie mir zehntausend Franken und einen Wechsel über diesen Betrag an meine Order ausgestellt, zahlbar in drei Monaten von diesem Herrn hier, Herrn Birotteau, wissen Sie!«
Du Tillet bot dem Parfümhändler die Pastete an und goß ihm ein Glas Bordeauxwein ein; dieser, der sich gerettet sah, brach in ein konvulsivisches Lachen aus; er spielte mit seiner Uhrkette und nahm keinen Bissen in den Mund, bis sein ehemaliger Kommis zu ihm sagte: »Wollen Sie denn nichts essen?« So enthüllte Birotteau die Tiefe des Abgrunds, in den ihn du Tillets Hand gestoßen hatte, aus dem er ihn herauszog, und in den er ihn wieder hinabstoßen konnte. Als der Kassierer zurückgekommen war und Cäsar nach der Unterzeichnung des Wechsels die zehn Kassenscheine der Bank in seiner Tasche fühlte, konnte er sich nicht mehr zurückhalten. Noch vor einem Augenblick war seine Lage so, daß sein Stadtviertel und die Bank seine Zahlungsunfähigkeit erfahren mußten, und er seiner Frau zu gestehen genötigt war, daß er ruiniert sei; und jetzt war alles in Ordnung! Das Glücksgefühl der Erlösung war eben so stark wie die Qual der Niederlage. Dem armen Menschen wurden, ohne daß er es hindern konnte, die Augen feucht.
»Was ist Ihnen denn, mein lieber Prinzipal«, sagte du Tillet. »Würden Sie denn nicht morgen dasselbe für mich tun, was ich heute für Sie tue? Ist das nicht klar wie der Tag?«
»Du Tillet,« sagte der gute Mann mit emphatischem, ernstem Tone, indem er sich erhob und seinem ehemaligen Kommis die Hand drückte, »du hast dir meine volle Achtung zurückerobert.«
»Wie! Hatte ich sie denn verloren?« sagte du Tillet, der sich dadurch so schwer mitten in seinem Glanze beleidigt fühlte, daß er errötete.
»Verloren … das nicht gerade,« sagte der Parfümhändler, entsetzt über seine Dummheit, »aber man hatte mir mancherlei über Ihr Verhältnis mit Frau Roguin zugetragen. Himmel! Einem andern die Frau wegzunehmen …«
»Du willst dich herausreden«, dachte du Tillet und beschloß bei sich, diesen Tugendmenschen zu vernichten, ihn unter die Füße zu treten und vor der Pariser Handelswelt diesen anständigen, ehrenhaften Mann, der ihn mit der Hand in seiner Tasche ertappt hatte, verächtlich zu machen. Aller Haß, der politische wie der private, der von Weib gegen Weib und von Mann gegen Mann, hat keinen andern Grund als ein ähnliches Ertapptsein. Man haßt nicht um geschädigter Interessen, um einer Wunde, selbst nicht um einer Ohrfeige willen; alles das ist wieder gutzumachen. Wohl aber, wenn man auf frischer Tat bei einer gemeinen Handlung ertappt wird! Das Duell, das sich dann zwischen dem Schuldigen und dem Zeugen der Tat entspinnt, kann nur durch den Tod des einen oder des andern beendigt werden.
»Ach, Frau Roguin«, sagte du Tillet spöttisch; »aber ist das nicht im Gegenteil ein Ruhmestitel für einen jungen Mann? Aber ich verstehe Sie, mein lieber Prinzipal, man wird Ihnen erzählt haben, daß sie mir Geld geliehen hat. Nun, das Gegenteil ist wahr, ich habe ihr ihr Vermögen gerettet, das durch die Geschäfte ihres Mannes stark gefährdet war. Mein Vermögen stammt, wie ich Ihnen schon vorhin gesagt habe, aus reiner Quelle. Daß ich nichts besaß, das wissen Sie. Junge Menschen befinden sich manchmal in einer fürchterlichen Notlage. Man kann in der Tiefe des Elends so weiter leben. Hat man aber, wie die Republik, erzwungene