Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
drei Glas Wein getrunken hatte und sich in einem Freudenrausch befand. »Meine Ansichten über den Bankrott sind doch bekannt! Für den Kaufmann bedeutet der Bankrott den Tod; ich würde ihn nicht überleben!«
»Auf Ihre Gesundheit«, sagte du Tillet.
»Auf dein weiteres Gedeihen«, erwiderte der Parfümhändler. »Warum kaufen Sie eigentlich nicht bei mir?«
»Ich muß Ihnen wahrhaftig gestehen,« sagte du Tillet, »daß ich mich vor Frau Konstanze scheue; sie hat immer einen so tiefen Eindruck auf mich gemacht! Und wenn Sie nicht mein Prinzipal gewesen wären, so würde ich wahrhaftig …«
»Ach, du bist nicht der erste, der sie schön findet; viele haben sie begehrt, aber sie liebt mich allein! Aber, du Tillet,« fuhr er fort, »lieber Freund, tun Sie, was Sie tun, nicht halb.«
»Wie denn?«
Birotteau setzte du Tillet nun die Terrainangelegenheit auseinander, der große Augen machte, den Parfümhändler wegen seines Scharfsinns und seines weiten Blicks beglückwünschte und das Geschäft für vortrefflich erklärte.
»Nun, ich bin glücklich über die Zustimmung, Sie gelten für einen bedeutenden Kopf in der Bankwelt, du Tillet! Sie könnten mir einen Kredit bei der Bank von Frankreich verschaffen, damit ich in Ruhe den Gewinn aus dem Huile Céphalique abwarten kann.«
»Ich kann Sie dem Hause Nucingen empfehlen«, erwiderte du Tillet, der sich vorgenommen hatte, sein Opfer alle Figuren des Kontertanzes eines in Konkurs Geratenden durchtanzen zu lassen.
Ferdinand setzte sich an seinen Schreibtisch und verfaßte folgenden Brief:
»Herrn Baron von Nucingen. Paris.
Lieber Herr Baron! Der Überbringer dieses Schreibens ist Herr Cäsar Birotteau, städtischer Beigeordneter des zweiten Bezirks und einer der namhaftesten Industriellen der Pariser Parfümerie; er wünscht mit Ihnen in Verbindung zu treten. Sie können seinen Wünschen vertrauensvoll Gehör schenken; den Gefallen, den Sie ihm erweisen, erweisen Sie gleichzeitig
Ihrem Freunde
F. du Tıllet.«
Du Tillet setzte keinen I-Punkt auf seinen Namen. Dieses absichtliche Weglassen war ein mit seinen Geschäftsfreunden verabredetes Zeichen. Die angelegentlichsten Empfindungen, die wärmsten und dringendsten Bitten bedeuteten dann gar nichts. Ein solcher Brief mit flehentlichen Ausrufungszeichen, in dem du Tillet förmlich niederkniete, war ihm durch wichtige Umstände abgerungen worden; er konnte ihn nicht ablehnen, aber er galt dann als nicht geschrieben. Wenn er das i ohne Punkt sah, dann speiste sein Geschäftsfreund den Bittsteller mit leeren Versprechungen ab. Viele Männer der großen Welt, und darunter die angesehensten, sind auf diese Weise wie die Kinder von Geschäftsleuten wie von Advokaten an der Nase herumgeführt worden, die beide eine doppelte Unterschrift hatten, eine tote und eine lebende. Die Scharfsinnigsten sind darauf hereingefallen. Um diesen Schwindel zu erkennen, muß man die verschiedene Wirkung eines warmen und eines kühlen solchen Briefes beobachtet haben.
»Sie sind mein Retter, du Tillet!« sagte Cäsar, als er den Brief gelesen hatte.
»Sie brauchen wahrhaftig nur Geld zu verlangen,« sagte du Tillet, »dann wird Ihnen Nucingen auf diesen Brief hin so viel geben, wie Sie haben wollen. Unglücklicherweise sind meine Mittel für einige Tage festgelegt, sonst würde ich Sie nicht zu den Fürsten der Hochfinanz schicken, denn die Kellers sind Zwerge neben dem Baron von Nucingen. Nucingen ist ein zweiter Law. Mit meinem Briefe wird Ihnen bis zum 15. Januar geholfen sein, und dann werden wir weiter sehen. Nucingen und ich sind die besten Freunde von der Welt, nicht um eine Million möchte er mir eine Gefälligkeit abschlagen.«
»Das ist so gut wie eine Bürgschaft«, sagte sich Birotteau, als er voller Dankbarkeit für du Tillet fortging. »Eine Wohltat findet eben immer ihren Lohn!« Und so philosophierte er weiter ins Blaue hinein. Nur ein Gedanke trübte seine Freude. Er hatte wohl einige Tage verhindern können, daß seine Frau die Nase in die Bücher steckte, er hatte die Kasse Cölestin aufgeladen und ihm dabei geholfen, er hatte es durchsetzen können, daß seine Frau und seine Tochter sich des Genusses der schönen Wohnung, die er ihnen eingerichtet und ausgestattet hatte, in Ruhe erfreuten; aber nachdem diese erste kleine Freude erschöpft war, wäre Frau Birotteau eher gestorben, als daß sie darauf verzichtet hätte, sich persönlich um die Einzelheiten ihres Geschäfts zu kümmern und, wie sie sich ausdrückte, das Heft in der Hand zu behalten. Birotteau war mit seinem Latein zu Ende; er hatte alle Kunstgriffe aufgebraucht, mit denen er seiner Frau den Einblick in die Symptome seiner Bedrängnis vorenthalten hatte. Konstanze hatte über das Ausschicken der Rechnungen sehr geschimpft, sie hatte mit dem Kommis gescholten und Cölestin vorgeworfen, er wolle die Firma ruinieren, da sie annahm, das sei allein seine Idee gewesen. Auf Birotteaus Verlangen hatte sich Cölestin ausschelten lassen. In seinen Augen kommandierte Konstanze den Parfümhändler; denn man kann wohl das Publikum, aber nicht die Hausgenossen darüber täuschen, wer in Wirklichkeit in einer Ehe den Ton angibt. Birotteau mußte jetzt seiner Frau seine Lage bekennen, denn er mußte seine Anleihe bei du Tillet rechtfertigen. Als er nach Hause kam, sah er nicht ohne zu zittern Konstanze im Kontor sitzen, die Fälligkeitstermine nachsehen und die Kasse abrechnen.
»Womit willst du denn morgen zahlen?« sagte sie leise zu ihm, nachdem er sich neben sie gesetzt hatte.
»Mit dem Gelde hier,« antwortete er, zog die Kassenscheine aus der Tasche und winkte Cölestin, daß er sie an sich nehmen solle.
»Aber wo hast du es denn her?«
»Ich werde dir das heute abend erzählen. Cölestin, notieren Sie für Ende März einen Wechsel über zehntausend Franken an die Order von du Tillet.«
»Du Tillet?« wiederholte Konstanze tief erschrocken.
»Ich muß Popinot aufsuchen«, sagte Cäsar. »Es ist schlecht von mir, daß ich immer noch nicht bei ihm gewesen bin. Verkauft sich sein Öl?«
»Von den dreihundert Flaschen, die er uns geliefert hat, ist keine mehr übrig.«
»Birotteau, geh nicht fort, ich habe mit dir zu reden«, sagte Konstanze und zog ihn beim Arme mit einer Hast, die unter andern Umständen komisch gewesen wäre, in sein Zimmer. »Du Tillet,« sagte sie, als sie mit ihm allein war und sich überzeugt hatte, daß nur noch Cäsarine zugegen war, »du Tillet, der uns tausend Taler gestohlen hat! Du machst Geschäfte mit du Tillet, diesem Scheusal … der mich