Die FROST-Chroniken 1: Krieg und Kröten. Susanne Pavlovic
seines Kopfes. Der Stich verpasste ihn knapp. Sofort setzte sie nach. Er riss das Stuhlbein hoch und parierte ihren nächsten Schlag. Splitter flogen, sie hatte seine Behelfswaffe sauber halbiert, aber immerhin riss der verbliebene Schwung ihren Schwertarm zur Seite, und Yuriko erkannte diese Ahnung einer Blöße. Er warf sich nach vorne, seine Faust kollidierte mit ihrem Kinn. Sie stürzte hart, überschlug sich und blieb im Türrahmen liegen, ihr Schwert immer noch umklammert. Während sie noch Sterne sah, setzte er nach und trat ihr mit vollem Gewicht auf die Schwerthand. Sie wand sich vor Schmerz, gab aber keinen Laut von sich.
»Lass es gut sein«, sagte er, in der Hoffnung, sie könne den Sinn seiner Worte aus dem Tonfall entnehmen. »Ich mag kein Blutvergießen. Wir reden wie vernünftige Leute, einverstanden?«
Sie rollte sich zur Seite, auf ihn zu, holte aus und hieb ihm ein Messer bis zum Heft in die Wade. Er schrie auf und stolperte rückwärts, gab damit ihre Schwerthand frei, und da war sie auch schon wieder auf den Füßen, das Schwert in der Rechten, das Messer in der Linken, von dessen Klinge sein Blut tropfte.
Er bemühte sich, den Schmerz auszublenden, der sich sein Bein hinauffraß. Es gelang ihm schlecht. Immerhin hatte sich der Kampf nun ins Freie verlagert, und er konnte tätig werden, ohne sich sein Dach über dem Kopf anzuzünden. Oder was davon übrig war.
Sie kam auf ihn zu, aber ihr Angriff ließ Entschlossenheit vermissen. Vermutlich hatte sie sich auch frischer gefühlt, bevor seine Faust ihr eine mittlere Gehirnerschütterung verpasst hatte. Er wich zurück. Eine ausholende Bewegung, und eine Flammenwand erhob sich zwischen ihm und seiner Gegnerin – mannshoch und nicht allzu heiß, um das Haus zu schonen. Durch die Flammen sah er, wie Blondchen zurückwich. Gleich darauf hatte er sie in einem Feuerzirkel eingeschlossen. Sie drehte sich um sich selbst, festgenagelt an dem einen Punkt, den er ihr zugestand.
Yuriko stöhnte theatralisch und bückte sich zu seiner Stichverletzung. Jede Bewegung schmerzte höllisch. Blut lief ihm in den Stiefel. Verflucht, und einiges an Blut.
»Das war nicht nötig, Kleine!«
Statt einer Antwort steckte sie sich zwei Finger zwischen die Lippen und stieß einen schrillen Pfiff aus.
»Deine Freundin liegt vorne auf der Straße und hat Kopfschmerzen«, beschied Yuriko sie. »Wir zwei sind ganz allein miteinander.«
Eine arkane Druckwelle, typisch für eine Beschwörung. Ein sehr tiefes Knurren.
»Oder auch nicht.«
Yuriko sah von seiner Verletzung auf. Stellte das Atmen ein, erstarrte vollständig. Der Hund ihm gegenüber war groß genug, um einen Krötenmeister am Stück zu schlucken.
Das Ungeheuer kauerte sich nieder und starrte ihn aus blutunterlaufenen Augen an. Zeigte sein Gebiss, von dem der Sabber troff. Reißzähne, so lang wie Yurikos Hand.
Yuriko schluckte trocken. »Guter Hund«, flüsterte er.
Jetzt nur nicht nervös werden. Hunde witterten Nervosität, und dann griffen sie an. Keine plötzlichen Bewegungen. Der Hund duckte sich, Muskeln zuckten unter seinem dünnen Fell. Yuriko übersprang die Nervosität und verfiel direkt in Panik. Im nächsten Augenblick bruchlandete er auf dem Dach, das schauerliche Schnappen der Kiefer noch im Ohr, hemdsärmelig, während das Monster unten seine Jacke totschüttelte.
Er kauerte sich gegen die brüchigen Dachschindeln und spähte vorsichtig nach unten. Der Hund trampelte gerade die Fetzen seiner Jacke in den Staub. Das Feuergefängnis um die Schwertkämpferin war erloschen, sie selbst verschwand gerade unter ihm im Haus. Nicht gut. Gar nicht gut.
Das Bedürfnis, sich im Teich in Sicherheit zu bringen, wurde übermächtig. Er klammerte sich an die Dachschindeln und bekämpfte den Impuls mit aller Macht. Arkadis und Padda hingen von ihm ab. Wenn Arkadis schlau war, hatte sie sich über den Zaun und die Böschung hinab zur Straße abgesetzt. Was allerdings hieß, dass er hier allein mit den beiden Furien festsaß.
Rumpeln und Krachen drangen aus dem Inneren des Hauses, begleitet von einem Schrei. Staub wölkte durch die Dachsparren. So musste es sich anhören, wenn eine Treppe zusammenbrach.
Vorsichtig erklomm er den Dachfirst, um einen Blick auf die Straße werfen zu können. Wenn die Kuttenfrau noch im Traumland war, konnte er nach vorne auf die Straße, Padda von der Nachbarin retten und vielleicht Arkadis irgendwo aufspüren.
Die Kuttenfrau war weg. Verflucht. Von der Hintertür drang wüstes Gebell zu ihm. Die Jacke hatte wohl nicht ausreichend gesättigt.
Er bemaß die Entfernung zum Dach der Nachbarin. Im Normalfall hätte er sich den Sprung zugetraut, allerdings nicht jetzt, wo sein verletztes Bein ihn nicht richtig tragen wollte.
Blick nach unten. Wie schnell konnte er mit der Verletzung rennen? Schneller, als der Riesenköter den Weg nach vorne auf die Straße fand? Ob der sich wohl vor Feuer fürchtete?
Oh, anderes Problem. Die Kuttenfrau war in seinem Blickfeld aufgetaucht. Sie sah mit ihren eigentümlich toten Augen zu ihm hinauf, dann öffnete sie den Mund und fasste sich hinein, als hätte sie einen Essensrest zwischen den Zähnen stecken und wüsste nicht sich zu benehmen. Sie förderte etwas zutage – etwas Kleines, Weißes – ein Steinchen? Wieso hatte sie …?
Mit Grauen begriff Yuriko, dass die Kuttenfrau sich soeben einen Zahn aus dem Kiefer gezogen hatte und ihn jetzt von sich warf. Dort, wo der Zahn seinen Vorgarten berührte, wölbte sich die Erde, brach auf und entließ eine Gestalt ans Tageslicht, die sich mit jeder Bewegung weiter zusammensetzte: ein kahler, brauner Totenschädel, Halswirbel, ein verfaulter Brustkorb, Knochenarme, gekrümmte Klauen. Das tote Ding richtete sich auf und schlurfte zum Haus. Seine Knochenfüße verursachten ein Geräusch auf dem Kiesweg, das Yuriko alle Haare aufstellte.
Dass er möglicherweise ein größeres Problem hatte als seine Frisur, begriff er, als das tote Ding begann, sich am Efeu in die Höhe zu ziehen. Und da, wo es herkam, wuchsen neue nach. Eins ums andere entstiegen sie dem Erdreich und gesellten sich zu ihrem kletterfreudigen Anführer. Eine knochige, klapprige Masse schob sich da seine schöne Fassade hoch. Manchen fehlte ein Arm oder ein Unterkiefer, aber das bremste ihren Tatendrang nicht.
Und flink waren sie. Yuriko hatte sich kaum von seinem Schreck erholt, da krallten sich die ersten Knochenfinger in die Dachrinne. Yuriko schnellte in die Höhe, machte einen Schritt rückwärts das Dach hinauf und holte tief Luft.
Eine gewaltige Flammenwolke empfing die ersten Toten, die ihre kahlen Schädel über die Dachrinne erhoben. Rauch stieg auf. Yuriko atmete Feuer aus, bis nichts mehr kam. In der Dachrinne brannte ein Vogelnest. Die toten Dinger brannten nicht. Sie schoben sich unbeirrt aufs Dach, hielten sich aneinander fest, kletterten übereinander hinweg und verursachen mit ihren toten Knochen ein grauenvolles Scharren auf den Dachschindeln. Yuriko rettete sich auf den Dachfirst. Unter ihm im Haus rumorte es. In seinem Garten bellte der Höllenhund. Vielleicht brannte der ja besser?
Yuriko rutschte auf der Gartenseite das Dach hinunter, das dürre Kratzen der toten Dinger im Nacken. Unter seinem Gewicht wackelten die Dachschindeln. Er stemmte einen Fuß in die Dachrinne und beugte sich vor, um nach unten zu sehen. Da war das Hinterteil des Monsterhundes. Scheinbar versuchte er, sich unter dem Haus durchzugraben. Warum waren Hunde angeblich die besten Freunde des Menschen? Vermutlich, weil der Mensch gerne jemanden um sich hatte, der dümmer war als er selbst.
Yuriko zog sich einen Feuerball auf die Hand, erhitzte ihn bis zur Weißglut und ließ ihn auf den Hund fallen. Der jaulte fürchterlich auf und begann, seinen brennenden Schwanz zu jagen. Yuriko warf einen zweiten Feuerball, verfehlte den Hund aber und setzte stattdessen Gestrüpp in Brand. Funken stoben in den Abendhimmel, doch Yuriko blieb keine Zeit, um sich Sorgen zu machen. Die toten Dinger quollen über den Dachfirst und wälzten sich auf ihn zu, klappernd, raschelnd, knirschend und knackend. Das Dach gab ein hölzernes Stöhnen von sich. Ohne nachzudenken, holte Yuriko Luft und blies eine gewaltige Flammenwolke gegen seine Angreifer, größer und viel heißer als die erste. Reste von Haut, Haaren und Organen fingen Feuer. Es stank fürchterlich. Doch dass sie brannten, machte ihnen ebenso wenig zu schaffen wie die Tatsache, dass sie tot waren.
Der erste verlor den Halt und stürzte