Mein Herz hört deine Worte. Joanne Bischof

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      Sieben

      Thor lehnte sich über den Rand des Wagens und zählte die leeren Eimer, die er aufgeladen hatte. Jeder von ihnen fasste drei Gallonen und er würde heute mindestens achtzig Gallonen Beeren brauchen. Die Früchte an den Büschen nahe des Teiches standen in voller Reife und da sich sein Brombeerschnaps bisher gut verkauft hatte, sollte er die Beeren bald zu Geld machen.

      Thor holte aus dem nördlichen Ende der Brennerei eine weitere Ladung Eimer hervor und verstaute sie auf dem Wagen. Ein Teil der 327 Hektar großen Norgaard-Farm gehörte rechtmäßig der Familie Sorrel. Mit dem Preis von $ 3,25 pro Hektar kein geringer Preis. Nach Pas Tod waren Thor und seine Brüder nachlässig geworden. Mehrere Hundert Dollar schuldeten sie ihrem Nachbar bereits – nicht zu vergessen die acht Dollar Zinsen pro Monat – und es war langsam an der Zeit, diesen Betrag auszuzahlen.

      Da Jorgan nächsten Monat heiraten würde, wusste Thor, dass seine Brüder ihm zustimmten.

      Noch immer hatten sie die westliche Hütte nicht fertiggestellt. Und dann hatte Haakon auch noch vor einem Jahr den Hühnerstall in die Luft gejagt und Jorgan hatte ihn unbedingt durch einen neuen ersetzen müssen. Dadurch hatten sie jetzt eine größere Rechnung beim Kaufmann als geplant. Es war höchste Zeit, dass seine Brüder etwas Verantwortung lernten. Beginnend mit der Arbeit auf dem Beerenfeld.

      Aus Furcht, er würde vergessen, die Brennerei abzuschließen, schob Thor die schweren Türen zu, schob den Riegel vor und verschloss sie. Das schwere Eisenschloss wurde mit einem Schlüssel verschlossen, zu dem nur Jorgan und er Zugriff hatten.

      Thor hob den nächsten Stapel Eimer über die Seitenwand des Wagens und fuhr dann mit dem Daumen an den Rändern entlang, um sie zu zählen. Sechsunddreißig. Siebenunddreißig. Achtund…

      Eine Berührung an seinem Ellbogen ließ ihn aufschrecken. Thor riss seinen Arm fort und drehte sich um. Ava stand neben ihm.

      Sie riss die Augen auf und trat einen Schritt zurück. „Oh Schreck. Es tut mir so leid“, sagte sie.

      Obwohl ihm sein Herz bis zum Hals schlug, schüttelte Thor den Kopf. Er hasste es, wenn jemand das machte. Dachten die Leute wirklich, er würde sie kommen hören? Ava schluckte schwer und Thor stieß seinen Atem aus. Als sein Puls sich verlangsamte, nickte er kurz, um Ava zu zeigen, dass alles in Ordnung war.

      Jorgan hatte ihm erzählt, dass ihr Mann ein Trinker gewesen war. Genauso wie er selbst. Fürchtete sie sich deshalb so vor ihm? Thor wusste nicht viel über Ava. Und noch weniger von Benn. Aber dass sein verstorbener Cousin dieses Laster mit sich trug, ließ widersprüchliche Gefühle in Thor aufsteigen. Zunächst hatte Ärger sich in ihm breitgemacht, dass ein Mann sich sogar im Rahmen einer Ehe von seiner Sucht bestimmen ließ. Einem Versprechen, bei dem sich die Frau dazu entschied, sich ihrem Mann in allem anzuhängen und ihn zu achten. Und in dem der Mann seiner Frau Liebe, Schutz und Sicherheit zusicherte. Anschließend überkam ihn eine Welle des Mitgefühls, weil Thor genau wusste, was für ein Kampf das war – die Anziehungskraft der Flasche in jeder Sekunde an jedem einzelnen Tag.

      Wer war er, dass er darüber urteilen könnte? Wäre er nicht genauso als Ehemann?

      Noch immer blickte Ava ihn unsicher an. In seiner Nähe verhielt sie sich immer besonders vorsichtig, oder? Wie er sich gerade benahm, half ihrer Unsicherheit auch nicht weiter. Thor fasste in den Wagen und zog ein Klemmbrett hervor, an das einige Blätter geheftet waren. Nachdem er die oberste Liste abgelöst hatte, drehte er das Papier um und schrieb ein paar Worte nieder.

      Das Brett mit dem Papier reichte er an Ava.

      Ich gebe viele Gründe, dass du entschuldigst.

      War das ein Lächeln? Sichtlich entspannter blickte Ava von ihm zu dem Wagen. Dann legte sie die Hand auf den Rand und spähte hinein. Als sie die vielen Eimer erblickte, hob sie ihre Augenbrauen, sagte jedoch kein Wort. Eine winzige Kette hing um ihren Hals. So zierlich, dass man sie leicht übersehen konnte. Außerdem duftete sie nach frisch gebackenem Brot, so wie Ma früher. Obwohl Ida oft backte, hatte Thor diesen Geruch nicht mehr gerochen, seit er ein kleiner Junge war. Kardamom. Die Zutat eines norwegischen Rezeptes, das Ida nie gemacht hatte, weil sie es nicht kannte. Bis jetzt hatte Thor nicht gewusst, wie sehr er den Duft nach Mas Brot vermisste.

      Ava lächelte ihm zu und er schluckte schwer. Dann sah er sich um. Sie waren allein. Eine seltene Gelegenheit … vor allem mit einer Frau. Was taten Männer normalerweise in einer solchen Situation? Thor dachte nach und langsam dämmerte es ihm – sie unterhielten sich.

      Er versuchte es, indem er einen neuen Satz aufschrieb, doch in diesem Moment drehte sich Avas Kopf nach links. Auch Thor blickte in diese Richtung und sah Haakon die Stufen der Veranda herunterkommen. Er sagte etwas zu Ava und diese wandte sich ab, um ihm zu antworten. Die Welt versank wieder in einsamer Stille. Thor strich den Satz durch und legte Brett und Stift zurück in den Wagen. Als er wieder zu Ava blickte, beobachtete sie ihn erneut. In ihrem Blick lag Bedauern. Weil er das Papier zur Seite gelegt hatte? Bestimmt nicht. Sie konnte sich ja mit Haakon unterhalten.

      Thor lief um den Wagen herum und überprüfte, ob die Ladeklappe verschlossen war. Haakon sprang auf den Wagen, während Ava einen Schritt zurückmachte. Bestimmt hatte sie einiges mit Ida zu erledigen. Ava schirmte ihre Augen mit der Hand vor der Sonne ab, um ihnen zuzusehen. Thor war sich nicht sicher, aber ihm schien es, als würde sie gerne einmal vom Haus wegkommen. Noch hatte sie nicht besonders viel von der Gegend gesehen und seine Brüder und er würden jede Hilfe gebrauchen können.

      Er gestikulierte seine Idee Haakon zu und war sich in diesem Moment mehr denn je bewusst, dass Ava ihn beobachtete. Kopfschüttelnd gestikulierte Haakon zurück, dass sie anschließend schwimmen gehen würden.

      Na und? Sie könnten ja auf anständige Art schwimmen gehen.

      Als Thor seinem Bruder das mitteilte, schüttelte dieser wieder mit dem Kopf.

      Avas Mund bewegte sich mit einer Frage: „Worüber sprecht ihr?“

      Thor nickte seinem Bruder zu.

      Seufzend drehte Haakon sich zu ihr um. „Er will wissen, ob du heute mit uns Brombeeren pflücken möchtest.“ Er sah zu Thor hinüber, als hätte dieser seinen Verstand verloren.

      Thor ignorierte das und lenkte seine Aufmerksamkeit stattdessen zu Ava. Ein Lächeln brachte ihr Gesicht zum Leuchten und mit wild klopfendem Herzen wartete er auf ihre Antwort.

      „Ich würde mich freuen.“

      Thor nickte und als er mit seinem Blick von ihrem Mund hinauf zu ihren Augen wanderte, merkte er, dass sie nicht mit Haakon, sondern mit ihm gesprochen hatte.

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      Nachdem Ava auf der Sitzbank Platz genommen hatte, glättete sie den Rock ihres Trauerkleides. Neben ihr saß Haakon und lenkte schweigend den Wagen. Mit einer Hand hielt Ava den Strohhut fest, der einst Dorothee gehört hatte. Dankbar für die breite Krempe, die ihrer irischen Haut Schatten spendete, wandte Ava sich zu Thor und Jorgan um. Sie hatten es sich auf der Ladefläche des Wagens bequem gemacht und lehnten sich mit ausgetreckten Beinen und verschränkten Stiefeln an die Außenwand. Thor hatte einen Arm auf den Rand gelegt und schien sich mehr für das zu interessieren, was hinter ihnen lag, als für das Ziel ihrer Fahrt. Seine andere Hand ruhte auf dem Lauf einer Flinte, die neben ihm lag.

      Im Osten stieg der Rauch eines entfernten Kochfeuers auf und aus dem Gestrüpp im Süden drang das laute Summen einer Schar von Bienen. Der Wagen holperte über die staubige Straße, dann fuhren sie durch einen seichten Bach. Bei der nächsten Biegung erhaschte Ava einen Blick auf einen glitzernden Teich mit einem kleinen Steg, der ins Wasser führte. Dahinter lagen weite Felder, deren vertrocknete Gräser still in der Hitze aufragten.

      Die Hündin trottete neben dem Wagen her. Von Haakon wusste sie, dass sie Grete hieß. Obwohl sie auf der Farm jedem hinterherlief, schien Grete Haakon am liebsten zu mögen. Wenn er seinen Arbeiten nachging, schwänzelte sie ihm zwischen den Beinen herum, und ruhte er, dann lag auch Grete irgendwo


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