Tango der Lust. Lilly Grünberg
Angebot schmackhaft zu machen.
Jessica seufzte. »Ach Martha, es ist ja nicht so, dass ich etwas vorhätte und das Geld kann ich auch brauchen, aber ich muss an diesem Wochenende soviel lernen.«
»Ich weiß, du bist ein fleißiges Mädchen, Jess.«
Martha wusste über alle ihre Callgirls genau Bescheid, kannte jede Lebens- und Leidensgeschichte. In den meisten Fällen waren Schulden oder andere Geldnöte der Hintergrund der Zusammenarbeit, weil die jungen Frauen, die für Martha arbeiteten, alleinerziehende Mütter oder mittellose Studentinnen waren. Sie war für jede von ihnen so etwas wie eine Ersatzmama, immer offen für ein Gespräch. So konnte man ihr nichts abschlagen, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben.
»Aber morgen kannst du auch noch lernen. Du schaffst das schon. Jess bitte, du bist meine letzte Rettung. Du wirst es nicht bereuen. Er ist wirklich nett.«
Es war schwer, Martha eine Absage zu erteilen. Ihre Stimme verfügte über so eine gewisse unterschwellige Dominanz, der man sich kaum zu entziehen traute. Schließlich wollte man sie nicht verärgern.
Jessica beschloss, sich wenigstens mal anzuhören, wie der Auftrag im Detail aussah. »Erzähl mir was über ihn. Was ist es denn für ein Typ?«
»Sehr gut situiert, immer charmant, ein sehr kluger Kopf, aber nicht überheblich. Eigentlich reißen sich die Mädels, die schon mal dort waren, um ihn.« Martha legte eine Kunstpause ein, um ihre Worte wirken zu lassen.
»Nun ja …, also wenn es nicht die ganze Nacht dauert.«
»Prima. Ich will dir allerdings nicht verschweigen, dass er etwas mag, was du noch nie gemacht hast. Er bezahlt dafür aber auch mehr.«
Jessica runzelte die Stirn. Was wollte er, was sie noch nie probiert hatte? »Aha, und weiter?«
»Er steht auf spezielle Sexspiele. Auf Fesseln, Peitschen und …«
»Was? Martha, ich bitte dich! Du kannst mich doch nicht zu einem Kerl schicken, der auf Sadomaso steht! Das ist überhaupt nicht mein Ding!« Jessica war empört. Wie konnte Martha ihr so etwas anbieten?
»Das macht doch nichts, Schätzchen. Ihn stört das nicht, dass du ein Frischling bist, dann sollte es dich auch nicht stören. Er findet es bestimmt interessant und spannend, dich in diese Praktiken einzuweisen.«
»Nein, so perverse Sachen mache ich nicht.« Eigentlich hatte sie nur eine vage Vorstellung von SM, aber das genügte ihr völlig. Noch mehr Abenteuer, als sie bisher erlebt hatte, brauchte sie weiß Gott nicht.
»Das ist nicht pervers, Jess. Das ist nur anders. Es ist ein Spiel, ein Spiel mit der Erotik.«
Jessica atmete tief ein und aus. »Und du würdest es ihm vorher sagen, dass ich davon keine Ahnung habe?«
»Aber natürlich, Jess! Ich kann dich doch nicht als Profi anpreisen. Er würde das sofort merken und sich hintergangen fühlen.«
»Ich weiß nicht … Nein Martha, das ist so …«
Jessica fehlten die Worte. Sie wusste nur ein wenig aus Karins Erzählungen, die damit ganz offen umging, was Männer bei SM-Spielen mitunter verlangten. Zu ihrem eigenen Entsetzen hatte sich in ihrem Unterleib beim Zuhören ein lüsternes Ziehen eingestellt und so hatte sie Karin schließlich gesagt, sie wolle davon nichts mehr hören. War es nur der Reiz des Voyeurismus gewesen, dass sie die Vorstellung erregt hatte, sie könnte die Unterworfene sein, oder war es viel mehr? Nie hatte sie einen ernsthaften Gedanken daran verschwendet, es mal ausprobieren zu wollen. Sie war dafür viel zu ängstlich. Doch nun – sie hätte die Gelegenheit herauszufinden, wie es sich anfühlte. Einmal nur. Sie bräuchte es dann ja nie wieder zu machen. Ihr Herz klopfte empört über diese waghalsige Idee. Genau so gut kannst du über einen Gebirgsgrat wandern, obwohl du Höhenangst hast, protestierte ihr Gewissen.
»Nun, hättest du nicht Lust, mal SM auszuprobieren?« Martha war ganz schön hartnäckig und einfühlsam. »Komm schon, Jess, vielleicht macht es dir Spaß. Solange du es nicht versucht hast, kannst du es doch nicht wirklich wissen.«
Am liebsten hätte Jessica laut aufgelacht. Wie bitte? Sie und Spaß bei SM? Knebel, Peitschen und Klammern? Sie würde vermutlich vor Angst sterben und überhaupt alles falsch machen. Ein nervöses Kribbeln setzte auf ihren Armen ein, als würde sie von kleinen Fliegen gekitzelt.
»Martha, ehrlich, das ist nix für mich.« Sie fror beim Gedanken, sich den Hintern versohlen zu lassen.
»Ich wüsste nicht, wer sonst mutig genug sein könnte. Wie schon gesagt, es ist keines der Mädchen frei, die auf SM spezialisiert sind. Und Jess, komm schon – du erhältst auch einen dicken Extra-Bonus. Es wäre doch schade, wenn ich absagen müsste. Komm, gib dir einen Ruck.«
Jetzt appelliert sie wieder an mein schlechtes Gewissen, falls ich nein sage, dachte Jessica resignierend. Ihr Herz klopfte so heftig, als wolle es ihren Brustkorb sprengen. Gleichzeitig fühlte sie sich kurz vor einer Ohnmacht. Ich bin alles andere als mutig. Andererseits – warum sollte ich nicht wenigstens einmal über meinen eigenen Schatten springen.
Als sie antwortete, kam es ihr dennoch so vor, als spräche nicht sie selbst, sondern eine andere Person, die als Symbiont in ihr steckte. »Also gut. Aber wenn es mir nicht gefällt, mache ich das nie, nie wieder!«
»In Ordnung.«
Das Haus war so exklusiv, dass auf den Klingelschildern und an den Wohnungstüren keine Namen zu lesen waren, sondern vierstellige Zahlkombinationen. Wie der Postbote hier wohl die Briefe zustellte oder ob alle Bewohner über ein Postfach verfügten?
Jessica klingelte am Appartement 32. Sie wartete darauf, Schritte zu hören, aber von drinnen klang kein Laut zu ihr. Dann öffnete sich die Tür.
»Guten Abend. Ich bin Jessica«, sagte sie höflich.
In ihrem eigenen Interesse hatte sie trainiert, ihr Gegenüber schnell von oben bis unten zu taxieren, ohne dass es zu neugierig wirkte. Immerhin wollte sie wissen, mit wem sie es zu tun hatte. Ihre Menschenkenntnis wuchs an der Kombination von Optik und Erfahrung wie eine regelmäßig gefüllte Datenbank. Noch irrte sie sich zwar manchmal in ihrer Einschätzung, aber mit jedem Mal nahm ihre Trefferquote zu.
Der Mann war groß und attraktiv, ganz in schwarz gekleidet. Er trug ein seidenmatt glänzendes Hemd, dessen Ärmel mit silbernen Manschettenknöpfen geschlossen waren, um den Hals ein silbernes Schaltuch, dazu eine eng sitzende Lederhose und modische, saubere Schuhe.
Eitel und sehr selbstbewusst, vielleicht ein wenig zu arrogant, kombinierte Jessica. Sein wacher Blick lässt auf Intelligenz schließen, aber auch auf Dominanz. Wahrscheinlich ist er nicht leicht zufrieden zu stellen. Ich werde auf der Hut sein müssen, alles richtig zu machen, damit Martha es nicht bereut, mich ausgewählt zu haben.
Ihr Gastgeber musterte Jessica seinerseits aufmerksam und vollkommen ungeniert. Sie kam sich vor, als stünde sie nackt vor ihm, nicht körperlich nackt, sondern innerlich. Schließlich nickte er mit einem zufriedenen Lächeln und reichte ihr die Hand.
»Guten Abend, komm doch rein, Jessica.«
Sie ging an ihm vorbei, er nahm ihr ihren Mantel ab und bat sie dann mit einer Handbewegung ins Wohnzimmer. Ein schneller Rundumblick bestätigte Marthas Informationen, dass dieser Mann äußerst wohlhabend sein musste. Möbel, Bilder und Accessoires waren exklusiv, aber alles in allem geschmackvoll kombiniert. Dass die Ausstattung nicht protzig wirkte, macht ihren Besitzer sympathisch.
Erwartungsvoll sah Jessica zu ihm auf. Er allein würde das Spiel bestimmen und ihr sagen, was sie zu tun hatte. Unter seinem durchdringenden Blick wurde ihr wieder ein wenig mulmig zumute.
»SM kann man nicht für Geld machen«, sagte er mit sonorer Stimme, ruhig und bestimmt. »SM muss man wirklich wollen, muss man aus Überzeugung leben.«
Warum bin ich dann hier?, fragte sich Jessica, wenn Martha mit offenen Karten gespielt und ihn über ihre Unerfahrenheit in diesen speziellen Dingen informiert hatte. Sie machte eine Kopfbewegung zur Tür.
»Soll ich wieder gehen?«