Tango der Lust. Lilly Grünberg
Ich weiß, dass du Neuland betrittst.« Er deutete auf die dunkelgrüne Ledercouch. »Bitte, setz dich Jessica. Was möchtest du trinken? Ein Glas Wein zur Entspannung? Oder lieber Saft, Wasser?«
»Ein Glas Wein bitte.«
Ihre Nervosität war einem anderen unerklärlichen Gefühl gewichen. Vielleicht würde sie der Alkohol ein wenig ablenken.
Dieser Mann war anders als die Männer, von denen sie bisher gebucht worden war. Er strahlte eine Souveränität aus, eine natürliche Dominanz, die nicht unangenehm war, nicht arrogant, nur – ein wenig einschüchternd. Sie wusste nicht recht, was er vorhatte, was er von ihr erwartete, wie sie sich verhalten sollte. Martha hatte ihr als letzten Rat mitgegeben, sie solle einfach abwarten. Aber was bedeutete das? Warten worauf? Dass er sie fesselte und auspeitschte? Ihr wurde bei dem Gedanken daran ganz schwindlig. Martha war nicht bereit gewesen, ihr Details zu verraten.
Verstohlen wischte sie ihre feuchten Handflächen an ihrem Rock ab.
»Nervös?«, fragte er ein wenig spöttisch, als er ihr das Glas reichte.
Allzu gerne hätte sie ihm entgegen geworfen, nein, wie kommen Sie denn darauf? Aber der Blick aus seinen dunkelbraunen Augen genügte, ihre Lippen zu versiegeln.
Mit einem Glas Rotwein in der Hand setzte er sich ihr gegenüber, hob es ihr zuprostend empor und trank.
Wenn sie es genau bedachte, wirkte er jetzt, wo er Platz genommen hatte, viel weniger bedrohlich. Eher wie ein gesättigtes Raubtier, das besänftigt, aber nicht zu unterschätzen ist. Nur bei leichtsinnigem Handeln ging davon Gefahr aus. Welche Gefahr?
Jessica fluchte innerlich. Hunderte Gedanken schossen ihr durch den Kopf, sie konnte nicht klar denken, ihr Puls wechselte ständig die Geschwindigkeit, und ihr Körper mochte sich auch nicht zwischen aufsteigender Angst und kribbelnder Lust entscheiden. Lust in der Erwartung von was?
Auf einmal stand er auf, stellte sein Glas weg, trat ganz nah vor sie und hob mit den Fingern seiner rechten Hand ihr Kinn an.
»Du bist außergewöhnlich.«
Das sagte er bestimmt zu jeder.
»Du solltest das glauben, wenn ich es sage.« Es klang tatsächlich wie ein Tadel, als hätte er ihre Gedanken erkannt. Das lag bestimmt daran, dass er darin geübt war, sich als strenger Dom zu präsentieren.
»Wenn du mir widersprechen möchtest, dann sag es lieber laut!« Sein Spott klang nun beißender und wie eine Provokation. »Du sollst nicht denken, dass für mich eine Sklavin wie die andere ist, nur weil ich dafür bezahle.«
Das Wort Sklavin jagte ihr einen Schauer über den Rücken und sie fühlte, wie es in ihrem Schoß warm und feucht wurde. Es war noch nicht oft vorgekommen, dass sie ohne zärtliche Berührung erregt worden war. Aber wenn es passierte, dann war sie gleichermaßen fasziniert wie erschrocken, dass so etwas überhaupt möglich war.
Der Griff um ihr Kinn wurde fester. »Erste Lektion. Kein Widerspruch, nicht einmal gedacht. Versuche nicht mich zu hintergehen. Zweite Lektion. Wenn doch Widerspruch, dann nimm mit Freude dafür eine Züchtigung entgegen und bedanke dich anschließend dafür.«
Jessica war sprachlos vor Staunen. Sie ertrank in dem Blick seiner Augen. Ihr gefiel sein Gesicht, die rasierte, leicht sonnengebräunte Haut, der Schwung seiner schwarzen Augenbrauen, die schlanke Nase. Alles an ihm erschien ihr männlich herb und überaus perfekt. Wie alt er wohl sein mochte? Mitte dreißig, oder doch schon vierzig? Ihn zeichnete die Alterslosigkeit einer griechischen Statue aus und sie wagte kaum noch zu atmen.
Endlich gab er ihr Kinn frei, nahm wieder sein Glas in die Hand, setzte sich auf seinen Platz zurück und nippte. Dabei sah er sie unverwandt an und sie schlug verlegen die Lider nieder. Was erwartete er von ihr? Sein Blick versetzte ihren Körper in Schwingungen, die sie bei Treffen mit ihren Kunden nur selten empfand. Überaus angenehme, sinnliche Schwingungen, die ihr Verlangen nach Berührung schürten. Sie hielt es nicht länger aus, ihm in die Augen zu sehen, aber sie fühlte auch so, dass er sie weiterhin ansah.
Jessica hatte keine Ahnung, was sie sagen oder tun sollte. Dies war eine Situation, auf die sie völlig unvorbereitet war. Sie traute sich nicht, nach ihrem Glas zu greifen, das sie auf dem Tisch abgestellt hatte, weil sie befürchtete, ihre Hand würde unter seiner Beobachtung zittern.
»Möchtest du lieber gehen?«, brach er auf einmal die Stille. »Wegen des Geldes musst du dir keine Sorgen machen. Ich werde trotzdem den vollen Betrag bezahlen.«
Jessica räusperte sich. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. »Warum?«, presste sie verwirrt heraus, zu mehr nicht in der Verfassung. Sie fühlte sich in ihrer Ängstlichkeit ertappt und kam sich wie ein unwissender Teenager vor. Wobei – sie war ja auch unwissend. Das kam nun davon, dass sie nie gewollt hatte, dass Karin ihr mehr darüber erzählte.
»Wie ich schon sagte. SM lebt man. SM kauft man sich nicht. Wenn du also lieber gehen möchtest …«
Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen. »Ich habe keine Ahnung, was Sie von mir erwarten. Sie müssen – Martha hat Ihnen doch gesagt, dass …«
Seine abwehrende Handbewegung ließ sie verstummen. Diese einfache Geste, sie war eindeutig, herrisch, und sie wagte es nicht, sich dagegen aufzulehnen. Jessica schluckte. Sie hatte auf einmal das Gefühl laut aufstöhnen zu müssen. Was machte dieser Mann mit ihr? Seine Gegenwart erdrückte sie. Ihr fiel plötzlich ein, dass sie immer noch nicht wusste, wie er überhaupt hieß. Martha hatte es ihr nicht sagen wollen. Sie fühlte ein geradezu schmerzliches Bedürfnis, unterwürfig vor ihm niederzuknien und bettelnd zu ihm aufzuschauen. Spinnst du?, rief sie sich zur Ordnung. Wer hat dir denn ins Hirn geschissen?
»Martha hat keinen Hehl daraus gemacht, dass du nicht weißt, ob dir das Spiel aus Dominanz und Unterwerfung gefallen könnte. Es bestand immerhin eine gewisse Chance, es zu versuchen. Schau mich an.«
Jessica gehorchte. Seine Miene war ernst und sie wagte kaum zu atmen. Jetzt wurde er der Rolle eines Herrn gewiss gerecht, wie er mit übereinander geschlagenen Beinen auf der Ledercouch saß, stolz und unnahbar, das Glas kaum mit den Fingern berührte und nun an seine Lippen führte.
Diese Lippen. Es war viel leichter, auf diese schön geschwungenen Lippen zu schauen, wie sie die Worte formten, die seinem Mund mit einem angenehm sonoren Klang entwichen, als seinem Blick stand zu halten.
»Schau mich an, Jessica.«
Diesmal war es nur ein Flüstern, als hätte er es nicht ausgesprochen, sondern als wäre das nur der erinnerte Widerhall in ihrem Kopf. Ein Kribbeln jagte ihr von den Haarspitzen beginnend den Rücken hinunter und endete mit einem heftigen Pulsieren ihrer Schamlippen. Sie gehorchte und hob den Kopf.
»Möchtest du gehen oder bleiben?«
Ja und Nein. Wieso wusste sie nicht klipp und klar die Antwort darauf? Wieso hatte sie das Gefühl, unter diesem strengen Gesichtsausdruck im Boden versinken zu müssen? Als sauge er sämtliche Energie aus ihr. Zugleich entfachte er eine Glut, die geradezu unheimlich war, die ihren gesamten Körper erfasste, in ihrem Schoß sich zu einem rasanten Feuer ausbreitete. Es war unmöglich nachzudenken, einen klaren Gedanken zu fassen, eine rationale Entscheidung zu finden. Eigentlich war es überflüssig darüber nachzudenken. Sie war hier, also musste sie das jetzt durchziehen. Ein Rückzug würde ewig an ihrem Selbstbewusstsein nagen und auch Martha wäre von ihr enttäuscht.
»Ich möchte bleiben«, hauchte Jessica kraftlos. »Bitte sagen Sie mir, was ich zu tun habe, Herr.« Wie leicht es ihr von den Lippen kam. Herr. Noch nie hatte sie das zu jemandem gesagt, aber nichts anderes passte zu ihm. Ihre Knie begannen zu zittern und sie presste sie fest gegeneinander.
Ein frisches Lächeln formte seine Lippen und Jessicas Anspannung ließ ein wenig nach.
»Schön. Du bist also bereit, deine Entscheidungsfreiheit an mich abzugeben, mir zu dienen und zu gehorchen?«
Nicht nachdenken, tu es einfach und sag ja. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt über Vernunft oder Unvernunft, über meine Ängste und Zweifel zu grübeln. Zaghaft nickte sie.
»Gut.