Die Einsamkeit der Haut. Bodo Kirchhoff
alt bist du? Wie alt?
Sie schweigt, und ich sehe ihr abermals zu. Sie benützt gewöhnliche Seife, und ihre Finger sind geschickter, als ich annahm. Falls sie mich reinlegen will, auf ein vorzeitiges Ende spekuliert, hätte sie keine Chance; ich bin ganz woanders, weit entfernt von mir. Ich streichle über ihren Rücken, entlang der Wirbelsäule, bis in die Höhe des Steißbeins und merke, daß ihr schauert. Ich wiederhole den Weg, doch sie entzieht sich kurz vor dem Punkt.
Die Waschung ist gründlich, nicht nur auf bestimmte Stellen konzentriert. Augenblicklich hat sie die Oberhand.
Ich dich auch? frage ich und deute es an. Sie reicht mir die Seife und hockt sich auf den Beckenrand. Ich habe noch nie eine Frau gewaschen, nur zugesehen dabei. Genau verfolgt sie meine Hände, und ich lasse nichts aus, spüle den Schaum dann noch weg, trockne sie überall ab und nenne meinen Namen. Sie spricht ihn nach, ich korrigiere. Beim vierten Mal betont sie ihn richtig, in Verbindung mit einer Geste. Ein seltsames Zeichen, das meinen Namen unterstreicht und mich vorübergehend sprachlos macht; sie weist mir einen Platz auf ihrer Liege an, sie flüstert ein Wort dazu.
Die Liege muß unendlich dreckig sein, anzunehmen, daß sie schon seit Jahren in der Kammer steht. Das Muster aus Rauten ist kaum noch erkennbar. Über die Mitte der Liege ist ein Tuch gebreitet. Auch das Tuch ist nicht mehr frisch. Ich setze mich auf die Kante.
Wie alt bist du?
Sie drückt meinen Oberkörper nach unten, beugt sich über ihre Arbeitsstelle und sagt zwanzig.
In der Decke oberhalb von meinem Kopf ist ein Loch. Sicher hing dort mal eine Lampe, wenn nicht ein Lüster. Die Kammer ist im nachhinein entstanden, durch Unterteilung eines großen Raumes in mehrere Verschläge. Ich drehe meinen Kopf zur Seite, spüre, wie sie tätig wird, mich teilnahmslos macht, ein Stück weit verschlingt, während ich schaue. In meinem Blickfeld nichts Persönliches von ihr, oder ich nehme es nicht wahr. Vieles zieht ja an mir vorbei, ohne daß es auffällt. Es erreicht mich so wenig, daß ich mir ungestört das Gegenteil einbilden kann, das Gegenteil von dem, was mir passiert; alles ist denkbar. Denkbar, daß ihr die Arbeit Vergnügen bereitet, nirgends ein Hinweis auf Haß. Meine Hand liegt jetzt auf ihrem Schenkel, dort ist es warm.
Draußen sind jetzt Stimmen zu hören, ich verstehe kein Wort; an ihrer Körperhaltung hat sich etwas verändert. Wie spät mag es sein? Zwanzig nach vier vielleicht, allenfalls halb fünf; mein Zeitgefühl ist in Ordnung. Wir liegen nebeneinander, ich auf dem Rücken, sie auf der Seite. Gerne würde ich ihre Brüste halten, wenigstens eine davon, umgehe sie aber. Ich möchte mich nicht vergreifen, das muß nicht sein, und biete meine Hand als Stütze an für ihren Kopf, und so komme ich, ganz nebenbei, mit der Wange in Kontakt.
Überrascht von dieser Wendung zögert sie. Es dauert eine Zeitlang, bis der Kopf Gewicht erhält. Behutsam richte ich mich auf, und beide sehen wir zu der Stelle, um die sich unser Vorgespräch gedreht hat. Ich weiß nicht, was geschehen wird. Sie will mich in der Hand behalten, soviel steht fest.
Als ich in gleicher Höhe bin mit ihrer Schulter, benützt sie noch einmal das Stichwort, gegen mich gerichtet. Ich sinke wieder zurück, versucht, sie dabei mitzunehmen. Ihre Finger setzen die Arbeit noch fort, mit ihren Augen scheint sie mir nachzugeben; nicht mehr diese Wachsamkeit, bilde ich mir ein.
Bist du müde? Du schlafen? Sag …
Rosalia sieht mich an; sie möchte wissen, was die Frage soll, da könnte ich wetten. Ich stehe auf, gehe zu meiner Hose und hole aus der Tasche einen weiteren Schein und lege ihn auf die Schachtel.
Wie lange kann ich bleiben? Wie lange ich hier? Ich, hier bei dir, wie lang?
Sie greift nach dem Geld, gibt einen A-Laut von sich, irgendwie erfreut, und findet dann ein Wort für Dauer und Art des Aufenthalts: Gemutlich.
Gemütlich, verbessere ich und frage sie, wie lange ist das? Wie lange dauert Gemütlich? Eine Stunde? Bis halb sechs? Ich übersetze ihr das durch Zeichen, und sie nickt. Wir nehmen wieder unsere Positionen ein, nichts weiter. Die Entwicklung ist stehengeblieben, ich bin noch immer woanders, sie kann meine Abwesenheit buchstäblich fühlen; nicht auszuschließen, daß es sie verletzt, so erfolglos zu sein. Ich schaue an ihren Augen vorbei, suche nach Spuren auf ihrer Gesichtshaut, und plötzlich öffnet sie den Mund und führt mir eine Zungenleistung vor.
Ach so, denke ich.
Kein Zweifel, daß sie noch mehr haben will, mein ganzes Geld. Und kopfschüttelnd lehne ich das Angebot ab. Fast mit einem Gefühl von Enttäuschung, in das ich mich hineinsteigern könnte, wie ich mich auch in das Leben an sich hineinsteigere; ich will leben, jawohl.
Und sie? Die Nutzlosigkeit macht ihr offenbar angst. Hält sie mich für ihren Mörder? Mitten in das Schweigen fragt sie: Du Lisboa? und ich summe ihr den Anfang von April in Portugal. Doch sie scheint das Lied nicht zu kennen. Vielleicht kennen es auch nur die Touristen, und ich versuche es mit Namen. Amalia Rodriguez? Keinerlei Wirkung; dann die Helden der Revolution, mit entsprechender Betonung. Aber auch das geht daneben. Es gibt keinen Anknüpfungspunkt, jedenfalls nicht im Moment. Und um es wieder voranzutreiben, weiterzukommen, taste ich ihr Becken ab, gleite langsam über ihren Oberschenkel, über die Außen- und die Innenseite und versuche nun meine Hand zwischen die Beine zu schieben, gegen keinen spürbaren Widerstand, im Gegenteil, wenn auch nicht erkennbar wird, wie sie dabei behilflich ist, nicht mir, sondern sich; nur eine unscheinbare Verschiebung, durch die meine Hand einen größeren Spielraum erhält. In meine Ohren strömt Blut.
Noch immer stützt sie sich mit einem Ellenbogen ab, aber der Körper verrät eine Neigung: Sie will sich gehenlassen, glaube ich. Etwas über sie gebeugt schon, in noch unverfänglicher Distanz, betrachte ich sie. In ihrem Gesicht herrscht Unruhe. Die Augen springen hin und her, die Stirn ist in Bewegung, ihr Mund ist sprechbereit. Ich komme noch ein Stückchen näher, und sie hält mir meinen Namen vor, ja verwendet ihn, fragt mich, was ich mache, was für eine Arbeit.
Was ich bin?
Was arbeit? wiederholt sie.
Ich suche nach einem Buch, doch es liegen nur illustrierte Zeitschriften herum.
Buch. Bibliothek. Bibliotheka. Ich in Bibliotheka.
Und noch einmal der gewohnte Laut, nur etwas höher als sonst. Sie scheint sich zu freuen, mehr als vorhin, strahlt über Wiedererkanntes, ein Wort, vielleicht auch nur eine Silbe. Freude einer Silbe wegen, und unterdessen lege ich ihr eine Hand auf die Stirn, beschwere sie, bis ihre Haare endlich die Liege berühren.
Jetzt wieder Wachsamkeit in den Augen. Alles übrige, die Haut, die ich erblicken kann, wirkt offen.
Ich wandere mit meiner Hand nach unten, aus ihrem Magen dringt ein Geräusch. Nach einer Umkreisung des Nabels fange ich an, ihren Namen zu schreiben, Rosalia, vom Bauch über die Leiste Richtung Knie, mit der Spitze meines kleinen Fingers, der in die Oberfläche drückt. Bei der Verschleifung von S zu A öffnet sie das rechte Bein noch etwas weiter, so daß der Schritt nun freiliegt. Das Schamfleisch ist dunkel, beinahe schwarz und geschlossen; ich streife es auf dem Rückweg.
Wie lange bist du hier? Wie lange du arbeiten hier?
Zwei Uhr.
Und in der anderen Zeit? Wenn du nicht arbeiten?
Schlafen, sagt sie.
Und wenn du nicht schläfst?
Mit den Händen deutet sie mir Essen an, Essen und Schlafen. Inzwischen bin ich wieder auf dem Innenschenkel und teile ihn ein in Quadrate. Für einen Moment schließt sie die Augen, etwas länger, als es notwendig wäre zur Erholung der Augen, und ich dringe weiter in sie. Kennst du Frankfurt? Römer, Zoo, Airport?
Aeroporto! ruft sie.
Wieder so ein Gemeinschaftswort, Erstaunen auf beiden Seiten. Sie gibt den A-Laut von sich, und ich greife ihr ins Haar; allmählich wird sie unvorsichtig, unterschätzt die Situation. Den linken Schenkel habe ich beschrieben, für den anderen muß ich meine Lage noch weiter verbessern. Etwas von ihrer Unruhe kehrt zurück. Was? will sie wissen, was?
Ich … dich, beginne ich zu erklären, und sie mischt sich gleich ein,