Die Einsamkeit der Haut. Bodo Kirchhoff
Fernsehzeitung. Heute ist Donnerstag, der siebenundzwanzigste März. Abba! Abba! heißt die Sendung um einundzwanzig Uhr fünfzehn im Ersten. Viertel vor zwölf kommt Basketball-Europapokal. Ich senke den Kopf, bis zwischen ihrem Bein und meinen Augen kaum noch ein handbreiter Raum bleibt. Im Dritten gibt es einen Spielfilm; auf ihrer Haut fast keinen Hinweis. Nur durch den Mund atmend, zeichne ich Rauten. Und schon wieder diese Furcht vor einer Infektion, womit auch immer. Für einen kurzen Zeitraum hinterläßt der Fingernagel Spuren. Zuerst einen hellen Streifen, dann einen rötlich gefärbten, wenn Blut in die Druckstellen nachfließt. Plötzlich bewegt sich ihr Fuß. Ich fahre die Strecke noch einmal ab, bis an den Punkt, an dem ihr wieder etwas durch und durch geht – das gleiche wie eben, vielleicht auch dasselbe, nicht zu entscheiden –, und wende mich um. Ich sehe, daß sie zur Wand schaut, in einen Spiegel, der dort hängt. Und der Drang, ihr etwas zuzufügen, wächst.
Auf dem vorgeschriebenen Weg, vom Innenknie bis an die Falte zwischen Oberschenkel und Gesäßansatz, geht mein Blick nun hin und her. Rosalia.
Sie sieht mich an, ihre Pupillen haben sich verändert. Das Spähende ist weg oder ist nunmehr nach innen gerichtet, in den Schädel hinein; zu mir schaut nur die empfängliche Seite. Ein schöner Name – und noch während ich das sage, schließe ich die Augen, setze sie dem eine Zeitlang aus, öffne sie dann kurz und wiederhole das Spiel. Beim vierten Nachsehen hält sie ihre Augen auch geschlossen, aber blinzelt noch. Was sie danach macht, kann ich nur ahnen; ich wende mich wieder ab, ihr Schenkel ist das nächste, was ich sehe. Die vertraute Anordnung zweier Leberflecken, darunter ein Haar, darunter eine winzige Narbe, sonst nichts von Bedeutung; zwar ließe sich schon eine Karte anlegen von diesem Gebiet, doch nahezu weiß. Stück für Stück bewege ich mich auf der unsichtbaren Bahn, und ihre Beine geben weiter nach, jetzt weder ihr noch mir zuliebe, denke ich und mache einen Sprung.
Sicher kommt sie vom Land, aus einer gottverlassenen Gegend, und wahrscheinlich hat sie dort schon Kontakte gehabt, wenige Übergriffe, die aber zählen. Keine großen Geschichten. Was anschließend kam, war spätestens nach dem Waschen aus dem Gedächtnis. Ich spreize meine Finger, damit sich die Handfläche etwas breiter anfühlt, grabe die Kuppen ein Stück ein und lege noch einmal empfindlich die Spur, entlang einer Grenze zum Schmerz, bei deren Überschreitung für sie der Eindruck entstehen könnte, ich sei nicht ganz richtig im Kopf, und dabei stelle ich weitere Fragen, im Grunde eine Ermittlung in eigener Sache. Wo bist du geboren? Wo lebst du in Portugal? Wo zu Hause.
Beja! ruft sie.
In Beja, aha. Also doch in einer gottverlassenen Gegend. Ein Schweißtropfen löst sich von meiner Nase, fällt auf ihre Haut und gleitet die rechte Schrittfalte runter. Auf einem ausgedehnten Weg, der mich bis an ihren Schamhaarrand führt, nehme ich ihn wieder zu mir.
Du Beja kennen?
O ja, sage ich, heiß dort, heiß.
Beja liegt weit im Süden. Das Umland ist flach. Viele Ortschaften haben nur eine einzige Straße, die vor allem den Hunden gehört. Die meisten liegen schlafend herum und lassen ihren Hunger damit hinter sich. In manchen dieser Dörfer gibt es, jeweils am Ende der Straße, eine Discotheca, die nur am Samstagabend aufhat. Und oft beginnt dahinter das Feld, und nur die Sträucher auf den aufgegebenen Äckern bieten Paaren eine Deckung. Wer auch hingegriffen hat bei ihr, er konnte es sowenig genießen wie sie, denke ich. Eine einfache Überlegung, die erste seit langem, und ich stelle gleich noch eine weitere an: Beja, Lisboa, Frankfurt?
Sie stimmt mir zu. Jemand könnte sie also hierhergelockt haben. Oder auch nicht; vielleicht gefällt ihr Frankfurt sogar besser als ihr Dorf, es wäre ja möglich.
Die freien Flächen zwischen den einzelnen Haaren sind heller als andere Partien. Ich mache mir eine Schneise, bis an den Übergang zu den äußeren Merkmalen. Ein schmaler, kerbenreicher Kamm, auf den ich meinen Mittelfinger schiebe.
Frankfurt gut? lenke ich sie ab – oder nicht gut?
Wiederum der A-Laut, langgezogen diesmal. Also wohl eher nicht so gut; bei fremden Leuten muß man immer raten. Unter dem vorderen Glied meines Fingers teilt sich die Haut, und ihr Körper kommt mir noch einmal entgegen, mit einer eigenen ruhigen Bewegung, als könne der Unterleib atmen und holte gerade tief Luft. Und ich drücke meinen Mund auf ihr Geschlecht.
Die Bewegung in der Lichtorgel ist schwächer geworden. Die kleinen bunten Plättchen drehen sich wie von selbst, ich schließe die Augen. Milliarden von Bakterien haben ihren Wirt gewechselt und nisten sich in einer neuen Flora ein. Ich fürchte mich nicht mehr; wir kennen uns ja jetzt etwas: Sie könnte viel fremder sein, denke ich, eine Namenlose.
Zu einem Abschluß ist es nicht gekommen. Ich habe ihr statt dessen eine Frage gestellt, wann sie wieder nach Hause fährt, mich umgedreht und ihre Augen gesehen. Sie hat die Frage nicht verstanden beziehungsweise verkehrt und mich noch einmal angefaßt. Ich habe ihr gesagt: kaputt. Und bin dann aufgestanden und habe sie hinter meinem Rücken gehört, wie sie mich bedauert hat, mit ihrem ewigen A-Laut. Und während ich mich angezogen habe, ist sie vor die Waschgelegenheit getreten und hat sich zwischen den Beinen gespült.
Einem Händedruck zum Abschied ging ich aus dem Weg. Ich lief hinunter und hinaus und kühlte mein Gesicht an der Luft. In der Main-Pension in der Elbestraße bekam ich ein preiswertes Zimmer.
Jetzt putze ich mir gerade die Zähne und will mich nicht weiter erinnern. Morgen werde ich auf die Beerdigung meiner Mutter gehen und übermorgen vielleicht schon ihre Räume bezogen haben.
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