Das kommt nicht wieder. Georg Markus
in der Geschichte des Akademischen Gymnasiums in Wien. Denn auch die Erlangung der Reifeprüfung war für Mädchen in jenen Tagen mit großen Schwierigkeiten verbunden. Und in ihrem Abschlußzeugnis fehlte der Passus »Erteilung der Reife zum Besuch einer Universität«, wie er für männliche Maturanten vorgesehen war.
Also mußte sie ihr Studium im Ausland absolvieren. Sie inskribierte an der Universität Zürich, wo sie 1893 mit einer Dissertation über eine besondere Form der Netzhautentzündung zum Dr. med. promovierte und einige Semester als Assistentin an der Universitäts-Augenklinik tätig war. Nach Wien zurückgekehrt, suchte sie im Ministerium für Kultus und Unterricht um Nostrifizierung* an. Ihr Antrag wurde aber »mit Rücksicht auf bestehende Vorschriften gar nicht in Verhandlung genommen«. Und das, obwohl in Österreich großer Bedarf an weiblichen Ärzten – vor allem an Schulärzten für Mädchen – herrschte.
Gabriele Possanner hatte einen eisernen Willen. Und den unbändigen Wunsch, in ihrer Heimat als Ärztin zu arbeiten. So sandte sie innerhalb von zweieinhalb Jahren eine Unzahl weiterer Gesuche an Universitäten, Kliniken, Ministerien, an den Verwaltungsgerichtshof, das Abgeordnetenhaus. Und obwohl die spätere Nobelpreisträgerin Bertha von Suttner und die Hotelbesitzerin Anna Sacher als prominente Mitglieder des Vereins zur erweiterten Frauenbildung ihren Kampf unterstützten, wurden ihre Eingaben entweder
a) abgelehnt oder
b) nicht beantwortet bzw.
c) auf gut österreichisch: »schubladiert«.
Denn: Würden Mädchen studieren, hatte Wiens Akademischer Senat schon 1873 gewarnt, »müßten Docenten vieles, was sich für das Ohr der Männer eignet, erst jenem der Frauen, namentlich züchtiger Jungfrauen, anpassen«. Und Unterrichtsminister Paul Gautsch von Frankenthurn hielt »die Concurrenz der Frauen für eine volkswirtschaftliche Gefahr«.
Am 8. Juli 1895 wandte sich Gabriele Possanner (mittlerweile Baronin) von Ehrenthal in ihrer Not an den Kaiser, den sie um »gnadenweise« Ausübung der ärztlichen Praxis ersuchte, zumal »zahlreiche Mädchen und Frauen sich scheuen, beim Beginne einer Krankheit einem männlichen Arzte sich anzuvertrauen, infolgedessen solche Leiden sich steigern und oft unheilbar werden«. Ihrem Gesuch lag ein »Appell« ihres 73jährigen Vaters an den Kaiser bei: »Nun soll sie im Alter von fünf und dreißig Jahren vor die Alternative gestellt sein; entweder Familie und Vaterland zu verlassen oder ihren Beruf aufzugeben. Ihre durch so schwer errungene, durchgreifende Ausbildung gewährleistete Befähigung für ihren Beruf soll brach liegen bleiben, ihr langjähriges, so ausdauerndes und ehrenhaftes Streben nach einem der edelsten Ziele, welche im menschlichen Leben überhaupt erreichbar sind, soll vereitelt werden, die schweren Geldopfer an das Ausland, welche ich, da uns das Inland verschlossen blieb, bringen mußte, müßten fruchtlos hinausgeworfen bleiben – kurz das Alles soll knapp vor dem Gelingen scheitern – an Motiven, welche die Wissenschaft sowie die sämmtlichen Cultur-Staaten der Welt als werthlosen Ballast schon längst über Bord geworfen haben!«
Die dramatischen Worte des Vaters verfehlten ihre Wirkung nicht, und jetzt endlich kam die Sache in Bewegung. Kaiser Franz Joseph beauftragte den Innenminister, den Fall zu prüfen, worauf dieser eine Verordnung erließ, mit der »die Nostrifizierung ausländischer Doktordiplome auch für weibliche Ärzte geregelt« wurde.
Possanner trat an der Universität Wien innerhalb von neun Monaten zu 21 Prüfungen an, die sie alle mit gutem Erfolg bestand. Am 2. April 1897 feierte sie im Großen Festsaal der Alma Mater ihre (zweite) Promotion zum Doktor der gesamten Heilkunde, wobei der Rektor der Universität die inzwischen 37jährige Ärztin in seiner Ansprache als »muthige Vorkämpferin um die Erweiterung der Frauenrechte« würdigte. Ihr Bild fand sich in mehreren Zeitungen, »da an der Wiener Universität zum ersten Male eine Dame zum Doctor promovierte«.
Dr. Gabriele Possanner blieb unverheiratet und ließ sich in Wien IX., Günthergasse 2/1. Stock als praktische Ärztin nieder, wo sie »täglich von 15 bis 16 Uhr« ordinierte. Einige Jahre auch in Wiener Spitälern tätig, behandelte sie nach dem Ersten Weltkrieg von der Caritas betreute Kinder. 1928 wurde ihr von Bundespräsident Michael Hainisch – wieder als erster Frau in Österreich – der Titel Medizinalrat verliehen. Sie starb im März 1940 im Alter von achtzig Jahren.
Ihr Kampf hat sich gelohnt. An Österreichs Universitäten schlossen 1996 fast so viele Frauen (4768) wie Männer (5842) ein Studium ab. An den medizinischen Fakultäten promovierten sogar mehr Frauen (529) als Männer (480).
Nur bei den Lehrern herrschen heute noch Zustände wie beim alten Kaiser: unter den 128 ordentlichen Professoren, die an Österreichs Universitäten Medizin unterrichten, sind 125 männlichen Geschlechts.
Und 3 (in Worten: drei) sind weiblichen Geschlechts.
* Anerkennung der ausländischen Diplome
»So werde ich es machen …«
Große der Weltgeschichte begehen Selbstmord
Selbstmord. Die Tat der Verzweiflung, der letzte Aufschrei einer gequälten Seele macht vor keinem Stand halt. Auch vor den ganz Großen nicht. Tschaikowsky, van Gogh, Hemingway, Adalbert Stifter, Stefan Zweig sind unsterblich.
Und waren nicht fähig, zu leben.
Wie manch andere Künstler, wie Könige, Prinzen und Politiker.
Ferdinand Raimund hatte so viel Schwermut und Melancholie in sich, daß er sich das Leben nahm, nachdem sein Hund ihn gebissen hatte. Am 29. August 1836 ereignete sich ein zunächst unbedeutend erscheinender Vorfall: der Volksdichter und Schauspieler war, von einer erfolgreichen Gastspielreise aus Hamburg kommend, auf seinen Besitz im niederösterreichischen Gutenstein zurückgekehrt, wo ihn sein Hund liebevoll empfing. Das Tier hatte unglücklicherweise kurz vorher mit einem anderen Hund im Dorf gerauft und sich dabei eine schmerzhafte Verletzung zugezogen. Bei der Begrüßung berührte Raimund den geliebten Hund unabsichtlich an der Wunde, so daß dieser instinktiv nach seinem Herrchen schnappte und an der Hand verletzte.
Was noch lange kein Drama gewesen wäre, weitete sich infolge der angekränkelten Psyche des Dichters zur Katastrophe aus. Nachdem ihm eine Zigeunerin in jungen Jahren prophezeit hatte, er würde dereinst an den Folgen eines Hundebisses sterben, war Raimund nun überzeugt davon, er wäre durch die Verletzung an Tollwut erkrankt und müsse elendiglich zugrunde gehen. Zwar ließ er noch eine Kutsche anspannen, um seinen Arzt zu konsultieren, doch als er unterwegs von einem schweren Gewitter überrascht wurde und im Gasthof Zum Goldenen Hirschen in Pottenstein übernachten mußte, verlor er die Nerven.
Um vier Uhr früh schoß er sich mit seinem Revolver, den er immer bei sich hatte, eine Kugel in den Kopf. Ferdinand Raimund starb nach einer Woche qualvollen Leidens.
Und hatte damit im Alter von 46 Jahren wahrgemacht, was er den Tischler Valentin im Verschwender singen läßt: Da leg’ ich meinen Hobel hin und sag’ der Welt ade …
Vincent van Gogh hatte mehrere Selbstmordversuche hinter sich, ehe er tatsächlich starb: Nach einem Streit mit seinem Freund Paul Gauguin schnitt er sich einen Teil der linken Ohrmuschel ab, worauf er, da die Aorta durchtrennt war, fast verblutete. Wieder genesen, schluckte er mehrmals giftige Malutensilien und begab sich dann freiwillig in die Irrenanstalt von Saint-Rémy in der Nähe von Arles.
Auch – und gerade – in den schlimmsten Phasen der Selbstzerstörung und während seiner stationären Behandlungen in Nervenheilanstalten schuf van Gogh einige der bedeutendsten Werke der Kunstgeschichte.
Bis er am 27. Juli 1890 in Auvers-sur-Oise bei Paris zum Revolver seines Zimmerherrn griff, die Waffe gegen seinen Unterleib richtete und abdrückte. Er starb zwei Tage danach.
War es die Verzweiflungstat eines erfolglosen Genies, dessen Bilder zu seinen Lebzeiten unverkäuflich waren? (Während sein Porträt Dr. Gachet bei einer Auktion in New York vor einigen Jahren umgerechnet mehr als 800 Millionen Schilling erzielte.)