Heimat bist du großer Namen. Dietmar Grieser
seine Schätze fachgerecht aufzubereiten und zu katalogisieren.
Klara May macht dem gebürtigen Österreicher ein Angebot, das seinem Leben eine neue Richtung geben wird: Sie erwirbt seine Indianersammlung, vereinigt sie mit der ihres Mannes und läßt Patty Frank dafür auf dem Areal von Karl Mays Alterssitz »Villa Shatterhand« in Radebeul bei Dresden ein Blockhaus im Wildwest-Stil errichten, das nicht nur dem zu gründenden Museum, sondern auch dessen Hüter als Unterkunft dienen soll. Dreißig Jahre hindurch – bis knapp vor seinem Tod im Sommer 1959 – wird das Bleichgesicht Patty Frank in der »Villa Bärenfett« den Greenhorns aus aller Welt Leben und Gebräuche der Rothäute erklären: Die Besucherstatistik spricht von 300 000 Gästen pro Jahr. Daß er es, pittoresk durchsetzt mit Sprachbrocken aus den Idiomen der verschiedenen Indianerstämme, im angestammten Wiener Dialekt tut (und sich im privaten Wohntrakt sogar eine Tiroler Bauernstube eingerichtet hat), sorgt für zusätzlichen Reiz. Natürlich trägt er, wenn er im Dienst ist, stets den obligaten Trapperhut auf dem Kopf, und damit die Besucher des Karl-May-Museums auch etwas nach Hause tragen können, das sie lange an ihren Besuch in Radebeul erinnern wird, greift er zur Feder und schreibt eine Reihe von Büchern, die allesamt riesige Auflagen erreichen: »So lebten und starben die Indianer«, »Die Indianerschlacht am Little Big Horn«, »Ein Leben im Banne Karl Mays«.
Sieben Monate nach seinem dreiundachtzigsten Geburtstag geht Patty Frank alias Ernst Tobis alias Eisenarm alias Isto Maza in die ewigen Jagdgründe ein und wird auf demselben Radebeuler Friedhof beigesetzt, auf dem auch sein Idol begraben liegt: Karl May. Zwei Jahre darauf folgt ihm die Frau nach, die er mit 65 geheiratet hat, und siehe da, auch dieses Kapitel ist nicht ohne Pointe: Marie Barthel war zwar nicht, wie man fast vermuten möchte, eine waschechte Indianerin, aber immerhin 20 Jahre lang die Haushälterin von Klara May.
Der burgenländische Patient
Ladislaus von Almásy
Von Romanbiographien und gar von deren Verfilmung ist man einiges an Geschichtsklitterung gewohnt. Doch beim »Englischen Patienten«, der 1992 als Buch und vier Jahre darauf auch als Film weltweit Furore macht, werden alle Rekorde in punkto dichterischer Freiheit gebrochen. Wäre Ladislaus Almásy, das reale Urbild der Titelfigur, noch am Leben, er würde sich weder in der von dem niederländischen Autor Michael Ondaatje gezeichneten Romangestalt noch in dem Hollywood-Schauspieler Ralph Fiennes wiedererkennen, der ihm in dem »Oscar«-gekrönten Kinofilm Statur und Stimme gegeben hat.
Wie also war’s wirklich?
Auf Burg Bernstein kommt unser Held am 22. August 1895 zur Welt. Auf halber Strecke zwischen Lockenhaus und Oberwart gelegen, gehört der Stammsitz der Grafen Almásy um diese Zeit zum habsburgischen Westungarn (und seit 1921 zum Burgenland). Der Vater, ein namhafter Ethnologe, hat eine Steirerin geheiratet, Sohn Ladislaus drückt in Graz die Schulbank. Als er 1914 von seinem College aus England zurückkehrt, beherrscht er sechs Sprachen, darunter Arabisch.
Seine Leidenschaft gilt der Aeronautik: Schon der Vierzehnjährige bastelt sich sein eigenes Segelflugzeug, im Ersten Weltkrieg erringt er als Kampfpilot an der italienischen Front die Tapferkeitsmedaille – die leicht gebückte Haltung, die ihm sein Leben lang bleiben wird, rührt von den Folgen eines Absturzes her.
Von Exkaiser Karl – zum Dank dafür, daß er ihn 1921 zu dem (gescheiterten) Versuch, die ungarische Königskrone zu retten, nach Budapest chauffiert hat – in den Grafenstand erhoben, muß sich der engagierte Monarchist, da ohne eigenes Vermögen, um einen bürgerlichen Beruf umsehen: Bei Steyr in Graz ist eine Stelle als Werksfahrer frei, und als seiner Firma die Konstruktion eines wüstentauglichen Geländewagens gelingt, geht er als deren Repräsentant nach Ägypten, wo er mit einer abenteuerlichen Testfahrt auf der als unbefahrbar geltenden Strecke von Assuan durch die nubische Wüste nach Khartum und den Nil entlang bis tief in den Sudan zum erstenmal für Aufsehen sorgt. Auf den Rückzug der Österreicher von ihrem Afrika-Projekt antwortet der Enddreißiger mit der Eröffnung einer eigenen Flugschule: Noch heute ist Kairos alte Landepiste nach ihm benannt – El Almas.
Schließlich aber wendet sich sein Interesse Substantiellerem zu: Beflügelt von ersten Erfolgen als Expeditionsleiter im Dienst von Fürst Antal Esterházy und Prinz Ferdinand von Liechtenstein, geht Ladislaus Almásy auf eigene Faust daran, die noch unerforschten Gebiete der östlichen Sahara zu erkunden. In lebensgefährlichen Einsätzen am Steuer seines Spezialautos, im Cockpit seines Motorflugzeuges und in gewaltigen Fußmärschen gelingt es ihm unter anderem, die legendäre Oase Zarzuara ausfindig zu machen sowie ein Ensemble prähistorischer Felsbilder zu entdecken, das den berühmten Höhlenzeichnungen von Altamira in nichts nachsteht. Und da Almásy nicht nur ein begnadeter Spurensucher, sondern auch ein exzellenter Kartograph und Reiseschriftsteller ist, hält er seine Forschungsergebnisse in Aquarellskizzen und Tagebuchaufzeichnungen für die Nachwelt fest: 1934 erscheint sein Buch »Unbekannte Sahara«, 1943 gefolgt von dem Bericht »Die Straße der vierzig Tage«. »Vater des Sandes« nennen ihn die Beduinen voller Hochachtung. Auch seine Reisebegleiter greifen zur Feder, und ein österreichischer Kameramann, der Almásys Expeditionsteam angehört, bringt Material für eine fünfstündige Filmdokumentation mit.
Als 1941 Rommel mit dem Afrikakorps zu seinem Wüstenfeldzug aufbricht, schlägt sich der mittlerweile fünfundvierzigjährige Almásy auf die Seite der Deutschen. Für den tollkühnen Coup, zwei Spione – 900 Kilometer quer durch feindliches Terrain – hinter die englischen Linien zu schmuggeln, wird er (im Range eines Hauptmanns der deutschen Luftwaffe) mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet, und auch ein weiteres Buch entsteht bei dem Unternehmen: »Mit Rommels Armee durch Libyen«.
Nach Kriegsende in Budapest, nehmen die Kommunisten den »Staatsfeind« in Haft; seiner Verurteilung entgeht er nur dank der massiven Fürsprache ungarischer wie ägyptischer Freunde. Einer neuerlichen Ausreise nach Nordafrika steht mithin nichts im Wege: Ladislaus Almásy macht sich um den Aufbau des ägyptischen Flugwesens verdient. Nur den ihm offerierten Posten eines Leiters des Ägyptischen Wüstenforschungsinstituts kann er nicht mehr antreten: Von einer schlecht ausgeheilten Amöbenruhr niedergestreckt, tritt er 1951 schon als Todkranker die Heimreise an. Bis Burg Bernstein schafft er es nicht mehr, lediglich bis Salzburg, und dort, nach dreiwöchiger aufopfernder Pflege durch das Sanatoriumspersonal und seine aus dem Burgenland herbeigeeilte Nichte, stirbt Ladislaus Almásy am 22. März und wird auf dem Kommunalfriedhof beigesetzt.
Als vier Jahrzehnte später – durch den Bestseller »Der englische Patient« und den nach der Romanvorlage gedrehten Kinofilm gleichen Titels – die Welt auf den Namen Ladislaus Almásy aufmerksam wird, lebt auch in der Heimat des Helden die Erinnerung an ihn wieder auf: Die Ungarn erneuern zu seinem 100. Geburtstag die seit Jahren aufgelassene Grabstätte und bringen eine Sonderbriefmarke heraus, auf Burg Bernstein wird eine Gedenkplakette enthüllt, Almásys Standardwerk »Unbekannte Sahara« kommt unter dem Titel »Schwimmer in der Wüste« frisch auf den Markt, und die Biographen gehen daran, das durch Roman und Film verfälschte Bild vom »Englischen Patienten« (der zwar ein Forscher von Graden, aber in politischer Hinsicht eine schillernde Figur und übrigens auch kein Frauenheld, sondern homophil gewesen ist) zurechtzurücken.
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