Heimat bist du großer Namen. Dietmar Grieser
Geographischen Gesellschaft, die am 29. September 1874 im Beisein mehrerer Regierungsmitglieder sowie des noch jungen Kronprinzen Rudolf im Festsaal der Akademie der Wissenschaften stattfindet, glaubt eine der anwesenden Erzherzoginnen Payers Expeditionsbericht mit einem halblaut geäußerten »Wenn’s wahr wäre!« in Zweifel ziehen zu müssen. Der solcherart zutiefst Verletzte nimmt daraufhin, obwohl erst 33, seinen Abschied von der Armee und zieht sich, von Kaiser Franz Joseph in den erblichen Ritterstand erhoben, ins Privatleben zurück.
Aber auch dort erwartet ihn nichts als Enttäuschung: Die erhoffte Professur für Geographie bleibt Payer ebenso versagt wie eine Aufbesserung seiner kümmerlichen Pension – erst Jahre später wird das ihm gebührende Gnadengehalt bewilligt werden. Ein »Nationalheld« muß sich als Vortragsredner durchbringen, geht verbittert ins Ausland.
In Frankfurt heiratet er, gleichzeitig nimmt er am dortigen Städelschen Kunstinstitut Malunterricht: Der Forschungsreisende a.D. muß sich um einen neuen Beruf umsehen. Sein zeichnerisches Talent hat er bereits mit den Hunderten und Aberhunderten Landschaftsskizzen bewiesen, die er sowohl von seinen Bergtouren wie von seinen Polarreisen mitgebracht hat – nun geht es darum, auch mit Öl umgehen zu lernen. Schon an seiner nächsten Station, der Akademie der bildenden Künste in München, heimst er für seine Werke – allen voran der Bildzyklus über die legendäre Polarfahrt des Engländers John Franklin – die ersten Auszeichnungen ein.
Niemals aufgeben – das hat sich Julius Payer schon seinerzeit als Expeditionsleiter zur Maxime gemacht. Jetzt braucht er dieses Durchhaltevermögen ein weiteres Mal: Schon seit jungen Jahren unter Kurzsichtigkeit leidend, büßt er kurz nach seiner Übersiedlung nach Frankreich die Sehkraft des linken Auges ein. Ist es eine Spätfolge der Überanstrengung durch das Gletscherlicht, dem er während seiner Polarexpeditionen ausgesetzt war? Oder ist es bei einer schlampig ausgeführten Augenlidoperation zu einer unheilvollen Infektion gekommen? Wie auch immer: Selbst als Einäugiger malt Payer weiter, nur muß er nun zu noch größeren Bildformaten übergehen.
Als zu allem übrigen Unglück auch noch seine Ehe zerbricht – Gattin Fanny geb. Gumperz und die beiden Kinder bleiben in Paris, nehmen die französische Staatsbürgerschaft an und werden Julius Payer niemals wiedersehen –, kehrt der inzwischen knapp Fünfzigjährige nach Wien zurück. Im ehemaligen Makart-Atelier an der Gußhausstraße eröffnet er eine Malschule, die vor allem unter kunstbeflissenen jungen Damen beträchtlichen Zulauf hat; er selber setzt die Erinnerung an seine Polarreisen teils in Gemälde, teils in Fresken um, die bis heute so manche renommierte Sammlung schmücken (und nicht nur in Österreich, sondern auch in Amerika).
In der Öffentlichkeit läßt sich Julius Payer schon lange nicht mehr blicken, seine Ehrenmitgliedschaft in der Wiener Geographischen Gesellschaft hat er zurückgelegt, im persönlichen Umgang beschränkt er sich auf seinen engsten Freundeskreis, und das einzige Vergnügen, das er sich gönnt, sind die sommerlichen Fußwanderungen in den geliebten Alpen, begleitet von »Schnauzl«, einem späten Abkömmling seiner braven Polarschlittenhunde.
Während der Sommerferien 1912, die er wie alljährlich im Oberkrainer Kurbad Veldes (dem heute slowenischen Bled) verbringt, raubt ihm ein Schlaganfall das Sprechvermögen: Der Siebzigjährige kann sich von Stund an nur noch schriftlich verständigen. Die Gefährtin seiner letzten drei Lebensjahre – Julius Payer stirbt am 29. August 1915 und wird in einem Ehrengrab der Stadt Wien auf dem Zentralfriedhof beigesetzt – geht in der Sorge für ihren Pflegling so sehr auf, daß sie ihm kurz darauf freiwillig in den Tod folgt. Österreich-Ungarn steht seit einem Jahr im Krieg: Die Nekrologe auf einen seiner besten Männer fallen denkbar knapp aus, das Land hat momentan andere Sorgen …
Isto Maza
Patty Frank
Der Vater handelt mit Porzellan, der Großvater bemalt es – die Tobis stammen aus Böhmen, sind aus der Gegend um Karlsbad nach Wien zugewandert. Ernst ist der einzige Sohn, und er schlägt völlig aus der Art. Was bei seinen Kameraden eine transitäre Kindheitsphase bleibt, wird ihm, dem am 19. Jänner 1876 Geborenen, zum Lebensschicksal: das Indianerspielen.
»Robinson Crusoe«, »Waldläufer« und »Lederstrumpf« lesen auch die anderen, er hingegen will’s genau wissen: Die Eltern schenken ihm ein Abonnement von Spemanns illustrierter Knabenzeitung »Der gute Kamerad«, und als im Sommer 1886 die »Bud Atkinson Wild West Show« mit ihrer Truppe in der Prater-Rotunde auftritt (Eintrittspreis 20 Kreuzer), ist es um den kleinen Ernst vollends geschehen: Die Lasso-Würfe, Reiterkunststücke und Kampfrufe der Sioux-Indianer gehen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Als Bastelwerkzeug kommen fortan nur noch Federbusch und Tomahawk in Betracht, aus seinem Spielplatz wird ein Wigwam, und wer bei dem Zehnjährigen Gehör finden will, tut gut daran, ihn nicht »Ernstl« zu rufen, sondern »Eisenarm«.
Drei Jahre später, die Familie Tobis geht auseinander. Während der Vater in Wien bleibt und weiterhin seinen Geschäften als Porzellanhändler nachgeht, übersiedelt die Mutter mit den Kindern nach Frankfurt, wo Gabriele, das älteste, Gesang studiert (und sich später als erste Koloratursopranistin der Oper einen Namen machen wird).
Ernst ist soeben mit der Volksschule fertig geworden – was nun? Wenn es nach ihm ginge, würde er am liebsten als Schiffsjunge anheuern. Da wird im Frankfurter Palmengarten eine Lehrstelle frei: Mutter Tobis, fest entschlossen, die Abenteuerlust ihres Sprößlings zu zügeln, läßt ihn zum Kunstgärtner ausbilden. Und wieder ist es das Gastspiel einer amerikanischen Wandertruppe, das ihm den Kopf verdreht: »Buffalo-Bill’s Wild West« erobert mit ihren 200 Indianern und Cowboys, ihren Wildpferden und Büffeln für mehrere Tage die Stadt am Main – und noch dazu im Palmengarten!
Gärtnerlehrling Ernst Tobis gehört der Brigade an, die darauf zu achten hat, daß bei dem Massenansturm der Besucher die Grünanlagen nicht verwüstet werden – er ist also mittendrin im Geschehen. Und noch etwas: Er erfährt, daß die Buffalo-Bill-Leute einen Stallburschen suchen! Ernst Tobis reißt von daheim aus und schließt sich den Artisten an, bis ihn seine verzweifelte Mutter in der Gegend um Straßburg aufspürt und zurückholt. Einziger Trost: ein Paar Original-Mokassins, das er einem der Mitglieder der Truppe abgebettelt hat. Es wird der Grundstock seiner später weltberühmten Sammlung sein …
Ernst Tobis hat Zirkusluft geschnuppert, und das bleibt nicht ohne Folgen. Während er tagsüber seine Gärtnerlehre abschließt, trifft er sich in der Freizeit mit Gleichgesinnten im Turnverein »Helvetia« und erlernt die Grundbegriffe der Parterreakrobatik. Doch der Weg in die Manege ist steinig: Beim ersten Engagement in einem kleinen Wanderzirkus muß sich der inzwischen Siebzehnjährige noch mit Zeltaufbau und Kulissenschieben begnügen, und sein Debüt als »Coupletsänger Ernst Teuber« endet überhaupt mit einem Fiasko. Erst als er bei einer auf Saltos und Pyramiden spezialisierten Akrobatentruppe als Ersatzmann einspringen darf, kommt er endlich seinem Ziel näher, und drei Jahre später ist er sein eigener Chef: Unter dem Künstlernamen Patty Frank zieht er mit fünf weiteren Artisten von Stadt zu Stadt, von Land zu Land. Ob Schumann oder Hagenbeck, ob Sarrasani oder Medrano – alle namhaften Zirkusunternehmen nehmen die »Acrobatic Wonders« unter Vertrag, und mit der Nr.1, Barnum & Bailey, steigt der Wiener Kraftlackel sogar ins amerikanische Showbusineß ein.
Fragt sich nur: Wie lange kann man einen solch mörderischen Beruf ausüben? Als der Erste Weltkrieg ausbricht, ist Patty Frank alias Ernst Tobis ein Mann von 38; einer Fußverletzung wegen bleibt er vom Militärdienst entbunden. Erst mit der Weltwirtschaftskrise der Zwanzigerjahre wird’s für ihn kritisch: Ein Zirkus nach dem anderen geht bankrott, am 30. April 1926 steht Patty Frank zum letztenmal in der Manege. Und was nun?
Die Antwort lautet kurz und bündig: Karl May. Patty Frank hat alle Bücher seines Lieblingsautors verschlungen, ist ihm sogar auf dessen Amerikareise persönlich begegnet. Nun, 14 Jahre nach Karl Mays Ableben, lernt er die Witwe kennen. Klara May ist dabei, den Nachlaß ihres Mannes einer sinnvollen Nutzung zuzuführen und ein Museum zu gründen. Dafür braucht man einen Kustos. Und noch etwas braucht man: weiteres Material. Patty Frank, der sich vom »Eisenarm« aus Kindertagen längst zum autochthonen »Isto Maza« gemausert hat, besitzt es in Hülle und Fülle: All die Jahre hat er wie ein Besessener indianische Gebrauchs- und Kultgegenstände gesammelt, hat, wann