Mitgeschrieben. Michael Rutschky

Mitgeschrieben - Michael Rutschky


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habe, erzählt sie, den Hund ausführend, Goetz auf der Straße getroffen, habe ihm erklärt, dass R. noch im Büro sei, aber gleich kommen werde – »gut«, habe er geantwortet, »dann warte ich so lange da drüben«.

      Er wollte also nicht mit ihr allein in die Wohnung kommen. Warum? – »Weil er es auf dich abgesehen hat, weil er eifersüchtig ist.« Zuerst kommt ein schlechter amerikanischer Film von 1977. Auf einem Passagierdampfer, der von den Philippinen nach San Francisco fährt, bricht eine Viruserkrankung aus; kurz vor seinem Tod gesteht der Schiffsarzt ein, dass er nur ein schlechter Mediziner war; der Erste Offizier erklärt seiner Reisebekanntschaft, dass er mit ihr die erste große Liebe seines Lebens erfahren hat; das flatterhafte junge Ding verlobt sich mit dem ernsthaften Chirurgen.

      Danach kommt ein berühmter amerikanischer Film von 1958. Ein schwarzer und ein weißer Sträfling fliehen, mit einer Kette aneinander gefesselt; auf der Flucht gehen ihnen sozusagen die Menschenrechte auf.

      »Herrlich«, sagt Kathrin hinterher, »wie Meeresrauschen; als ob man im Strandkorb sitzt und auf die Brandung schaut.«

      Zwar geht R. diesmal in ein anderes Friseurgeschäft. Aber auch hier gelingt es ihm nicht, dem Mädchen klarzumachen, dass sie die Haare im Nacken »anschneiden« soll (so hieß das in seiner Kindheit). Um den Wunsch zu äußern, steht ihm nur dies eine Wort zur Verfügung – er versucht es gar nicht erst mit anderen Worten, mit Umschreibungen. Und die Hoffnung, in diesem Laden werde man automatisch wissen, was ihm vorschwebt, bleibt unerfüllt.

      Zum Ritual gehört, dass R. pünktlich um fünf Uhr nachmittags nach oben geht und sich im ehemaligen Badezimmer der Bogenhausen-Villa, wo die Getränke lagern, eine Flasche Bier holt.

      Mit dieser Flasche in der Hand die Treppe hinuntergehend, weiß R. regelmäßig mit Sicherheit, wer gerade da ist, schaue auf diese Flasche und erkenne ihn als Alkoholiker.

      »Merkwürdige Stadt, dies Frankfurt«, sagt R. zu dem Mädchen, das ihn im Taxi zum Flughafen fährt, »ich habe Anfang der Sechziger mal hier studiert.« – »Ach ja. Und was?« – »Germanistik, Philosophie, Soziologie – all that jazz.« – »Und was macht man später als Germanist? Ich studiere nämlich auch Germanistik und weiß immer nichts zu sagen, wenn die Leute fragen, was ich später damit machen will.«

      R. erklärt ihr, er sei geworden, wovon viele Germanistikstudenten träumen, nämlich Redakteur, R. beschreibt ihr die Redakteursarbeit, und sie scheint angetan – von einem Job also, der R. tief missfällt, ihn unglücklich macht; alles andere als die Einlösung eines Jugendtraumes bietet.

      Am Flughafen dann bestaunt er ihren Kofferraumdeckel, der sich vom Armaturenbrett aus mit einem Knopfdruck öffnen und schließen lässt.

      Mittags geht R. mit N. im Olympiapark spazieren (Kathrin studiert in der Bibliothek). Der Wind weht frisch, ein dramatischer Wolkenhimmel mit immer wieder durchbrechendem Sonnenlicht – R. quält sich mit Erinnerungen an das Fest am Samstag, an den Frankfurter Aufenthalt insgesamt, der Alkohol, was er geredet habe, was zu ihm geredet wurde.

      Das Unbehagen hat keine Gestalt; ein undeutlicher Lärm; R. könnte nicht sagen, was er falsch gemacht hat. Unterdessen läuft der Hund am Wasser entlang und setzt sich immer wieder hin, damit R. endlich den Tennisball hineinwirft und er hinterherschwimmen kann.

      Doch R. weigert sich; es sei zu kalt, sagt er sich, allmählich müssten sie das Schwimmen des Hundes einschränken. Doch überzeugt ihn das immer weniger während des Spaziergangs; der Gedanke gerät in den Strudel der Selbstbeschuldigungen – genau jetzt mache er etwas falsch, indem er nämlich N. sein gewohntes Wasservergnügen verweigere.

      Er habe sich zurückmelden wollen, erzählt Goetz. Er habe Kathrin mit dem Hund auf der Straße getroffen und gefragt, wie es gehe. Nicht besonders, habe sie erwidert; vor allem gingen ihr in der letzten Zeit die Leute auf die Nerven – aber R. werde gleich zurück sein aus dem Büro.

      Da habe er, erklärt Goetz, selbstverständlich angenommen, Kathrins Unwille gegen »die Leute« beziehe sich auch auf ihn; deshalb habe er unten auf der Straße gewartet, bis R. käme – als R. endlich eintraf, habe er Kathrin gerade Bescheid sagen wollen, dass er jetzt verschwinde.

      »Niemand hätte das gedacht«, erzählt die Herausgeberin. »Die Druckerei hatte die besten Referenzen – im Frühjahr prüften sie noch ausführlich unsere Bücher, ob mit denen alles in Ordnung ist. Jetzt muss nur noch geklärt werden, ob sie richtig bankrott sind oder ob sie bloß liquidiert werden.« – »Das ist immer so«, erklärt Enzensberger überlegen. »So wird es auch laufen, wenn die Chase Manhattan Bank am Ende ist.«

      Später erhält die Herausgeberin einen Anruf, »ich muss jetzt rüber; anscheinend sind sie doch bankrott.« Unzweifelhaft belebt so etwas wie Freude den Raum.

      »Das ist ja scheußlich«, so Kathrin. – »Unglaublich«, so M. – »Das sieht ja aus wie Bebra«, so R.

      Sie befinden sich in Vaduz, Liechtenstein. Der Gedanke an das winzigkleine Fürstentum muss allerlei zauberhafte Phantasien geweckt haben; M. erinnerte sich bei der Herfahrt an das arme, aber anmutige Fürstentum Grimmburg in Thomas Manns »Königliche Hoheit«. Hier jedoch schaut es tatsächlich aus wie Bebra; nur dass es von einer mittelalterlichen Burg überragt wird, die man nicht besichtigen kann und in der die Fürstenfamilie residiert. Vielleicht versammelt sich dort alles Zauberhafte von Liechtenstein.

      Kempten. Im Restaurant Fürstenhof sitzt am Nebentisch ein Mann, allein, und liest Die Welt. Er trägt einen cognacfarbenen, leicht glänzenden Rollkragenpullover. Er hat eine ganze Flasche Weißherbst bestellt, mit der er den Abend verbringen will. Freilich kann er sich nicht selber nachgießen: Die Flasche ist in einem silberfarbenen Eiskübel deponiert, der auf einer gleichfalls silberfarbenen Säule so weit vom Tisch entfernt steht, dass jedesmal der Kellner für das Nachgießen herbeigewinkt werden muss. Kontrolliert das feine Restaurant so den Alkoholismus seiner Gäste?

      Um 15 Uhr findet eine Art Betriebsversammlung statt, der Verleger erklärt, dass die Druckerei pleite sei, dass man aber eine neue finden werde, dass die Lage nicht einmal ernst sei, dass vor allem strikter Termingehorsam gefordert werde.

      Durch das Fenster sieht man Klaus Kunkel aus dem Haus gehen. »Ich bin«, flüstert Michel, »einfach nicht Ratte genug, um das sinkende Schiff zu verlassen.«

      R. kommt in Michels Zimmer. »Ich habe keine Lust mehr«, klagt er. Den ganzen Nachmittag hat er mit Enzensberger, Frau K. und Gaston Salvatore in dessen Kellerquartier (das Michel Führerbunker nennt) zugebracht, Projekte machen. »Das sind doch alles Kinder.«

      Er leidet wieder an Kopfschmerzen; »Manuskripte lesen, das geht noch. Aber schon, wenn ich Sie ansehe« – er tut es – »sticht es richtig in die Augen.« Er ist geradezu herzlich, und R. wird geradezu fröhlich.

      Den ganzen Nachmittag grübelte er, ob er gleichfalls in den Führerbunker gehen und sich an der Konferenz beteiligen sollte. Doch wäre es wieder dasselbe gewesen wie von Anfang an: Dabeisitzen, lächeln, ein bis zwei belanglose Sätze sagen in das Phantasieren der Chefs hinein.

      R. kommt in das Zimmer von Frau K., wo sie sich mit Michel unterhält. »Der arme Gundolf.« – »Was ist denn?« – »Das können Sie sich doch denken.«

      Sein »Waldemar Müller« und nicht der von Gaston Salvatore steht im nächsten Heft, weil Gaston Salvatore zahllose Sachfehler unterlaufen sind, Fehler im Hinblick auf die Prozeduren einer Bundestagswahl, Rosi Cieslak hat sie im Einzelnen aufgelistet.

      Und überhaupt stört Gaston Salvatore die Produktivität von Gundolf Freyermuth – er habe sich schon mit der Herausgeberin darauf verständigt, dass das nicht der geeignete Nachfolger für R. sei.

      »Sie müssen es doch wissen, Michael«, sagt Michel und legt R. die Hand auf die Schulter, »dass in diesem Hause Sündenböcke gebraucht werden.« – »Wenn das so weitergeht«, sagt Frau K., »sage ich dem Gundolf Bescheid, dass er sich lieber einen anderen Job sucht.«

      »Ich bin mir böse«, erklärt R. weinerlich, mehrmals während des Tages, immer wenn Kathrin fragt, wie er sich fühle. Er nimmt es sich übel, dass


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