Catch and Kiss. Jennifer Schreiner
durch. Eineinhalb Stunden lang, während ich einen Rundgang im Gefängnis machte und anschließend die Unterkünfte der Wachen überprüfte. Als ich zurückkam, saß sie auf dem Bett, reglos. Sehr merkwürdig.
»Machen Sie den Ton an!«, befahl ich und hätte meinem Angestellten am liebsten den Hals umgedreht, weil er nicht von allein auf diese Idee gekommen war.
Sekunden später klang leiser Gesang aus dem Lautsprecher, gefolgt von einem Gedicht und einigen Texten, die ich nicht zuordnen konnte, aber die wie eine Rezitation klangen. Der Mann vor dem Monitor warf mir einen irritierten Blick zu und auch die anderen Angestellten wirkten zwar aufmerksam, schienen aber keine Ahnung zu haben, warum mich das Verhalten der Gefangenen störte oder warum sie überhaupt begonnen hatte, für eine selbstgesprächige Unterhaltung zu sorgen. Unwillkürlich entfuhr mir ein Schnauben. Anscheinend war ich die einzige Person, die begriff, dass sie sich so nicht nur die Zeit vertrieb, sondern auch geistig rege hielt – gewillt, weiterhin Widerstand zu leisten.
Bei soviel falschem Ehrgeiz wusste ich nicht einmal, ob ich beeindruckt sein, oder das Weib zum Kotzen finden sollte. Erst Recht nicht, als sie nach der Sprechpause weitermachte und zum Kampfsport überging.
Trotzdem sah ich mir ihre Show bis zum Ende an, beobachtete in verpixelten Farben und unscharfen Konturen, wie sie duschte und dann wieder zum Sitzen auf dem Bett überging. Dieses Mal still. Aber ich war mir sicher, dass sie ihren Kopf beschäftigt hielt. Wollte ich wirklich wissen mit was?
Die Antwort war eindeutig: Ja, unbedingt!
Aus diesem Grund brachte ich ihr das Essen persönlich vorbei und behielt sie und ihre Reaktionen genau im Blick. Und wie ich es mir gedacht hatte, sie blinzelte zwar und hielt sich im Dunklen, schwieg aber. Normalerweise flehten die meisten Gefangenen bereits jetzt um ihre vorzeitige Strafmilderung oder versprachen Gott weiß was. Sie wartete nur.
Die Helligkeit, die durch den Türspalt fiel, schmerzte in meinen Augen. Und das bereits nach so kurzer Zeit, ich war erst … Ich rechnete kurz meine Trainingseinheiten zusammen und fügte die ungefähre Dauer der Lieder und Gedichte hinzu … acht Stunden hier. Das machte mir Angst vor dem, was noch kommen würde, denn es sah nicht so aus, als sei Hobbs hier, um mich zu befreien.
Anders als er gab ich mir Mühe, ihn nicht anzustarren und offensichtlich zu prüfen, sondern beäugte ihn unauffällig: Er musste sich umgezogen haben, was meine Acht-Stunden-Theorie kurz ins Wanken brachte.
Aber nein, ich wusste, dass meine Schätzung stimmte! Vielleicht hatte der Direktor ja Wechselsachen vor Ort oder es war etwas vorgefallen. Oder vielleicht will er nur, dass alle glauben, es sei mehr Zeit verstrichen, schlug meine innere Stimme vor, ließ mich ihn dann aber weiter betrachten. Heute trug er ein schwarzes Hemd unter einem dreiteiligen schwarzem Anzug mit passender Weste. Wäre der Stoff nicht so teuer und nach Maß geschnitten, hätte er wie ein gut gekleideter Totengräber gewirkt. Sogar sein Einstecktuch war schwarz. Der geringfügig andere Ton passte zum Hemd und unterstrich den leicht schimmernden Anzugstoff.
»Essen!«, meinte er in einem ruhigen Befehlston und reichte mir ein Tablett auf dem sich zwei Teller befanden. Einer war gefüllt mit Haferschleim, Banane und Honig. Genau das, was ich hatte essen wollen, bevor die Frau mich angegriffen hatte. Es zeigte mehr als alle Worte und Erklärungen, wie genau Hobbs hinsah.
Der andere Teller war gefüllt mit Kartoffel-Saucen-Hackmatschpampe, dazu gab es zwei kleinere Schälchen. Eines mit Salat und eines mit Obst. Zusammen mit der Flasche Wasser war das wahrscheinlich mehr als eine Gefangene erwarten konnte.
»Danke!«, meinte ich und wartete.
Worauf wusste ich nicht, aber ich war nicht entlassen worden und obwohl ich meine Aufmerksamkeit absichtlich auf das Tablett gerichtet hielt, ahnte ich, dass mich Hobbs sehr genau unter die Lupe nahm.
»Sie werden sich an meine Regeln halten?!« Mein Gegenüber machte eine Frage aus seiner Forderung und kurz war ich versucht einfach einzuwilligen, um der Dunkelheit zu entkommen. Dann griff mein Trotz ein und ließ mich die Wahrheit sagen, die ich im letzten Moment tarnen konnte.
»Ich habe das Handgemenge nicht angefangen.«
»Dafür sind die Wachen da«, maßregelte Hobbs, vermutlich wohlwissend, was ich eigentlich hatte sagen wollen.
»Und in der Zwischenzeit lasse ich mich von irgendeiner Schlampe verprügeln?«, fauchte der Teil von mir, der Recht hatte und sich keiner Schuld bewusst war.
»Sie werden gehorchen!«
Die Betonung in Hobbs ruhiger Stimme reichte, um mich noch wütender zu machen.
»Leck mich am Arsch!«, meinte ich aus einem tiefsitzenden, von drei Brüdern geprägten, Reflex heraus und sah Hobbs direkt an. Eine Sekunde lang dachte ich, er würde mich schlagen, aber dann zuckte ein Lächeln über sein Gesicht.
»Seien Sie vorsichtig, was Sie sagen oder mir anbieten! Ich fürchte, ich bin ein Mann, der Dinge sehr wörtlich nimmt oder nehmen könnte.«
Einen Moment lang hielt ich seinem Blick stand, dann senkte ich den Blick. Auf keinen Fall wollte ich, dass jemand diesen Satz ernst nahm. Weder Hobbs, noch sonst wer. Aus diesem Grund war ich auch extra-brav und stellte das Tablett aufs Bett, als mich Hobbs mit einer Tageszeitung fotografieren wollte und mir Blut abnahm.
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