Brücken zwischen Leben und Tod. Iris Paxino
wie eine lebensumfassende Abfolge von Bildern und Erlebnissen, also ein zeitlich dynamischer und überaus komplexer Verlauf, als fast gleichzeitiges Erscheinen wahrgenommen werden kann, zudem noch in dieser detaillierten Weise. Auch ist es für unsere gewöhnliche Erlebniswelt kaum nachvollziehbar, Erlebender und gleichzeitig Zuschauer zu sein. Die physische Welt ist die Welt des Getrenntseins, von daher ist die Tatsache, dass die Verstorbenen parallel zum Erleben ihres Rückblickes ihre Hinterbliebenen wahrnehmen können, ein weiterer Aspekt, der unser physisches Eingebundensein in Zeit und Raum durchbricht.
Ein im komatösen Zustand sich befindender junger Mann, der innerlich dabei war zu entscheiden, ob er in der Geisteswelt bleiben oder doch wieder auf die Erde zurückkehren würde, beschrieb seine Wahrnehmungen in der Ätherwelt folgendermaßen:
«Noch etwas anderes konnte ich wahrnehmen in dieser Zeit. Mit Erstaunen konnte ich spüren, wahrnehmen, wie viele Menschen in dieser Zeit an mich gedacht haben. Ich habe gespürt, dass meine ganze Familie für mich gebetet hat, und diese Liebe, diese Gedanken, die an mich gerichtet waren, die habe ich so empfunden, dass sie mir behilflich waren. (…) Diese Liebe wirkte wie Wellen, wie Vibrationen, wie Schwingungen, das tat mir gut. Sie hatten auf jeden Fall eine … ja, heilende Wirkung für meinen Zustand. Auch Menschen, von denen ich es überhaupt nicht gedacht hatte, also junge Menschen, da konnte ich auch wahrnehmen, dass sie für mich eine Kerze in der Kirche angezündet haben oder so. Auch Menschen, von denen ich es gar nicht erwartet hätte, zum Beispiel jemand, über den ich davor negativ gedacht hatte, also so: ‹Ja, so eine dumme Schnepfe›, so, auch solche Menschen haben in dieser Zeit an mich gedacht. Und das habe ich gespürt und das hat mir sehr, sehr gut getan für meinen Zustand.»
Der in der Ätherwelt lebende Mensch kann also nicht nur Einblicke in die Ebene der unmittelbaren physischen Wirklichkeit haben, er kann bis in die Gedanken- und Gefühlsebene der Hinterbliebenen hinein wahrnehmen. Er fühlt die Trauer der Familie und der Freunde, er spürt ihre guten Gedanken und Gebete, die ihm Licht und Wärme schenken. Genauso nimmt er auch ihre negativen Gedanken wahr, die ihn betrüben und belasten. Die Verbundenheit mit denjenigen, die ihm innerlich nahestanden, ist noch sehr stark. Somit tragen wir Erdenmenschen Verantwortung für all das, was wir dem Verstorbenen in dieser Zeit entgegenbringen.
Es geschieht auch weit häufiger als angenommen, dass ein Verstorbener in den ersten Tagen nach dem Schwellenübergang seinen Angehörigen oder Freunden «erscheint». Diese Präsenz kann sich spontan und unerwartet einstellen, in ganz alltäglichen Situationen. Dabei entsteht das intensive Empfinden einer Anwesenheit im Raum, die Ausstrahlung des Verstorbenen wird unmittelbar wahrnehmbar. Meist sind solche Erlebnisse mit einem Empfinden von Frieden, von innerer Wärme und Liebe verbunden. Für viele Menschen stellt sich dabei die Gewissheit ein, dass der Verstorbene nach dem Tod in einer anderen Weise oder Dimension weiterlebt. Andere wiederum schrecken vor solchen Wahrnehmungen zurück oder lassen sie erst gar nicht zu, denn sie entsprechen nicht ihren eigenen Vorstellungen über den Tod. Eine ablehnende Haltung der Hinterbliebenen ist schmerzhaft für den Verstorbenen, denn er möchte manchmal noch etwas mitteilen oder noch eine Bitte zum Ausdruck bringen. Hierzu ein Beispiel:
In der Klinik betreute ich für kurze Zeit eine junge Patientin, kaum Mitte dreißig, die schwer lungenkrank war. Sie war verheiratet und Mutter einer vierjährigen Tochter. Sie konnte schon nicht mehr das Bett verlassen, das Atmen ging nur noch mithilfe eines Sauerstoffgerätes, das Sprechen bedeutete schon eine sehr große Anstrengung für sie. Medizinisch gesehen war eine Lungentransplantation ihre letzte Chance. Sie stand auf der Transplantationsliste, wartete, hoffte und bangte. Ihr Zustand verschlechterte sich zunehmend, und sie wusste, dass ihr Leben an einem seidenen Faden hing. An manchen Tagen dachte sie über das Sterben nach, an anderen hatte sie große Angst davor und wollte ihr Töchterchen nicht zurücklassen.
Bei unserem letzten therapeutischen Gespräch berichtete sie mir von einem Traum, den sie in der Nacht zuvor gehabt hatte: Sie saß schaukelnd auf einer schönen, großen Baumschaukel. Auf einem majestätischen, grünen Ast hinter ihr stand ihr Engel und machte ihr Mut, immer höher und höher zu schaukeln. – Sie fragte mich, was der Traum bedeuten würde. Ich ahnte es, doch wollte ich ihr keine vorgefertigte Antwort geben. Ich versuchte, einen Gesprächsraum für sie zu schaffen, in dem sie selbst mit den Bildern und Empfindungen des Traums umgehen konnte. Sie hatte Angst, dass der Traum ihren Tod voraussagen könnte; dann versuchte sie, ihn eher als Ausdruck ihrer Genesung umzudeuten. Es war deutlich zu spüren, dass sie innerlich haderte und noch nicht bereit war zu sterben. Ich schloss unser Gespräch ab mit den Worten:
«So oder so, Sie können auf jeden Fall darauf vertrauen, dass Ihr Engel bei Ihnen ist. Und er macht Ihnen Mut.»
«Mut ja, aber wozu?», fragte sie nachdenklich.
«Das wird sich sicherlich bald zeigen, haben Sie Vertrauen.»
Danach sah ich sie nicht mehr, sie wurde in eine andere Klinik verlegt. Ungefähr zehn Tage später verstarb sie, bevor es zur erhofften Lungentransplantation kommen konnte.
Nach ihrem Tod erschien mir diese Patientin völlig überraschend als ätherische Geistgestalt. Sie wirkte still, schwächlich und betrübt, das Licht ihrer Erscheinung war ein wenig matt. Ich fragte sie, was ich für sie tun könnte. Zunächst antwortete sie mir nicht. Ich fragte sie erneut und wartete geduldig. Und dann sagte sie ganz zaghaft:
«Niemand zündet ein Licht für mich an, niemand.»
«Meinen Sie eine Kerze? Ihre Familie zündet keine Kerze für Sie an? Auch Ihre Eltern nicht?»
«Nein, sie glauben nicht daran, dass es mich noch gibt. Ich stehe daneben und sie sehen mich alle nicht, sie schauen nie hin.»
«Und Ihr Mann?»
«Er weiß nicht damit umzugehen. Er verdrängt es. Alle kümmern sich um die Kleine und versuchen zu verdrängen. Alle blicken von mir weg. Sie haben Angst, an mich zu denken, mich zu sehen.»
«Es fehlt Ihnen also nicht nur das Licht einer Kerze. Sie meinen, das Herzenslicht Ihrer Familie fehlt Ihnen.»
«Ja, auch.»
«Wenn ich kann, helfe ich Ihnen gerne. Was brauchen Sie? Was kann ich tun?»
«Könnten Sie einfach eine Kerze für mich anzünden? Das würde reichen.»
Ich versprach ihr, dies so lange zu tun, wie sie es bräuchte. Ab da zündete ich jeden Abend eine Kerze für sie an und sprach dabei ein Gebet. Nach ungefähr zwei Monaten erschien sie wieder, für mich erneut sehr überraschend, doch dieses Mal wirkte sie nicht mehr so tief bedrückt. Sie bedankte sich in ihrer leisen Art und sagte, das habe ihr geholfen. Sie brauche das Kerzenlicht nun nicht mehr, sie könne ab jetzt selbst weiter ins Licht gehen. So nahmen wir Abschied voneinander und sie verließ die Ätherwelt.
Die erste Zeit nach dem Tod ist also eine Zeit des Rückblicks auf das eigene Leben, ein Loslassen und Abschiednehmen vom eigenen Irdischen, von geliebten Menschen und Orten. Manche Verstorbene empfinden sich von Beginn an ganz befreit, sie erleben Harmonie und Licht. Andere wiederum benötigen noch etwas Fürsorge, Begleitung und Hilfe seitens der Hinterbliebenen. Ganz unabhängig davon, Herzenswärme und aufrichtige Zuneigung, liebevolle und lichte Gedanken wirken für jeden Ätherverstorbenen hilfreich und kraftspendend.
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