Codename Brooklyn.. Peter Pirker
Weber nach der Aufnahme zum OSS, Bari, Februar 1945.
Tatsächlich hatten Fritz Molden, die O5 und die angebliche österreichische Untergrundregierung POEN (die zu diesem Zeitpunkt nur in Moldens beeindruckendem Vorstellungsvermögen existierten) mit der Idee, der Planung und der Durchführung von Fred Mayers Operation Greenup nicht das Geringste zu tun; die Kemater Alm im Tiroler Gebirge als Ausbildungsort für Widerständler blieb der schwärmerische Traum eines bürgerlichen Wieners; und der aus Österreich stammende mythenumrankte Künstler Rudolf Charles von Ripper war zwar beim OSS, hat während des Krieges aber weder die Berge bei Bleiburg gesehen noch die waghalsige Flucht aus Kärnten erlebt, die Molden in seinem Buch so dramatisch beschrieben hat. Rippers OSS-Projekt ›Gilpin‹ wurde zwar geplant, aber nicht mehr realisiert. Als Mitarbeiter des OSS kam Ripper erst am 7. Mai 1945 ganz unspektakulär in einem Lastwagen des OSS über Paris und Regensburg nach Salzburg.13 Als Tatsachenbericht, wie im Vorwort angekündigt, untauglich, nahm Fepolinski & Waschlapski vielmehr das Drehbuch von Inglourious Basterds vorweg, mit dem einen Unterschied, dass bei Molden nicht zurückgekehrte Juden, sondern verwegene Tiroler und Wiener Burschen Austriaca-Szenen wie die folgende auf der Kemater Alm gaben: »Wir haben ihnen eine halbe Stunde lang ein ordentliches Gefecht geliefert, dann ging uns die Munition aus, und ich sagte den Burschen, unseren Partisanen-trainees, sie sollten hinten über die Alm verschwinden, wir würden die SS schon noch zehn Minuten aufhalten. Zuerst wollten die jungen Burschen nicht abhauen, das waren ordentliche Gesellen, aber dann gingen sie endlich doch. Wir verschossen die letzte Munition, und die SS kam immer näher. Karl und ich hatten noch ein paar Handgranaten. Die warfen wir hinaus, und dann rannten auch wir. Wir kamen ganz gut davon und waren schon fast oben auf dem Hügelkamm, hinter dem wir geschützt gewesen wären, als es Karl erwischte. Sie schossen uns mit einem Maschinengewehr nach, und eine ganze Garbe muss ihn erwischt haben. Er fiel um wie ein Baum. Ich drehte mich um und kniete neben ihm nieder, aber es war schon zu spät.«14
Der andere gravierende Unterschied wäre, dass es bei Molden zwar viel um Waffen und ihre dringend notwendige Lieferung an die (fiktiven) österreichischen Partisanen ging, auch wilde Schießereien vorkamen, Widerstandskämpfer heldenhaft starben, nicht aber Nazis. Schießen ja, Handgranaten werfen ja, aber den Tod von Nazis beschreiben, das ging nicht. Molden kannte sein Publikum. Seine Protagonisten waren eben keine ›Inglourious Basterds‹, sie waren ›ordentliche Gesellen‹. Das Modell funktionierte in den 1970er-Jahren in Buchform so prächtig, dass es Hugo Portisch in den 1980er-Jahren auch in den TV-Dokumentarfilm einführte. Sein Epos Österreich II frönte ebenfalls dem kämpferischen Widerstand, der keinem Nazi ein Härchen krümmte. Sein Kronzeuge war neben Fritz Molden vor allem Karl Gruber, der erste Landeshauptmann von Tirol und Außenminister der Republik Österreich, der nach Jahren der Anpassung in den letzten Apriltagen 1945 in Innsbruck als Führer des Widerstands aufgetreten war. Im Zusammenhang mit der Befreiung Innsbrucks schilderte Gruber in seinem Interview für das Nationalepos Österreich II wilde Gefechte von Patrioten mit der SS. Tote SS-Männer oder Nazis sucht man in den Erinnerungen und auch in den Matrikeln jedoch vergeblich. Wahrscheinlich wurde in die Luft geballert, oder es handelte sich um Freudenschüsse über die Wiedergeburt Österreichs. Laut Wikipedia war es Gruber sogar gelungen, »Innsbruck als einzige Stadt Nazi-Deutschlands vor dem Einmarsch der Alliierten von der nationalsozialistischen Herrschaft zu befreien«.15 Auch Moldens zweiter ›Tatsachenbericht‹ mit dem Titel Die Feuer in der Nacht. Opfer und Sinn des österreichischen Widerstandes 1938 bis 1945, im Jahr 1988 während der Waldheim-Krise als Verteidigungsschrift der österreichischen Geschichtspolitik publiziert, enthielt viele solcher Mythen. Hier modellierte er Fred Mayer gar zum Verbindungsoffizier zwischen den Alliierten und seinem POEN.16 Weit verlässlicher ist ein Bericht von Ludwig Steiner, einem Protagonisten des Tiroler Widerstands der letzten Stunde aus dem in Tirol stationierten Gebirgsjägerersatzregiment 136. Er bietet eine gute Orientierung durch die verworrenen Ereignisse Ende April und Anfang Mai 1945. Der spätere Diplomat stellte die Kooperation zwischen den amerikanischen Agenten und den lokalen Widerständlern sachlich und ausgewogen dar, wenngleich sie aus seiner Erzählung für Portischs Österreich II wieder verschwand.17
Obwohl Fritz Molden und in geringerem Maße sein Bruder Otto18 die Operation Greenup gewissermaßen patriotisch kassiert haben, muss man ihnen auf jeden Fall zugutehalten, dass sie ihr immerhin Raum gaben.19 Sie schlossen damit an die bereits im Jahr 1945 erschienene Broschüre Kampf um Tirol an, die aus der Sicht lokaler Regimegegner die »entscheidende(n) Taten zur Befreiung Innsbrucks« darstellte. Zieht man den aus der Zeit verständlichen lokalpatriotischen Überschwang ab, so bescheinigten die Autoren Fred Mayer und seinem OSS-Team immerhin, »einen wichtigen Anteil« an der Befreiung gehabt zu haben.20 Die Würdigung einer Kooperation mit amerikanischen Agenten im Kampf um die Befreiung vom Nationalsozialismus hielt jedoch nicht lange an. Sehr bald wurde sie von den Wehrmachtsveteranen als ›Verrat‹ des Vaterlandes denunziert, von linken Widerstandskämpfern als unpatriotische Packelei mit dem Imperialismus angeprangert, während rechtskonservative Politiker und Meinungsmacher von der amerikanischen Kultur und Politik ohnehin wenig hielten. In dieser antiamerikanischen Atmosphäre dementierte die ÖVP 1949 sogar heftig, dass Karl Gruber mit OSS-Chef Alan Dulles vor Kriegsende Kontakt gehabt hatte.21 Die Gelegenheit, Jahre nach dem Kalten Krieg den Blick wieder zu weiten, vergab 1995 die offiziöse Tiroler Ausstellung zum 50. Jahrestag des Kriegsendes, Das Jahr 1945 in Tirol. Ende und Neubeginn im Tiroler Landesmuseum.22 Ganz ähnlich wie bei Österreich II wurde weder die Arbeit von Joseph Persico wahrgenommen noch die zu diesem Zeitpunkt bereits vorliegende verdienstvolle Präsentation einer längeren Erzählung von Fred Mayer über die Operation Greenup inklusive zentraler Dokumente aus den Archiven des OSS, für die Luis Schönherr in der Kulturzeitschrift Das Fenster gesorgt hatte.23 Stattdessen wurde am Mythos von der eigenständigen Befreiung durch eine von Karl Gruber geführte Tiroler Widerstandsbewegung weitergearbeitet. Fortgeschrittener war da die Dorfchronik von Oberperfuss, die im selben Jahr publiziert wurde. Hier wurde immerhin festgehalten, dass Greenup »aus heutiger Sicht […] eine wichtige Rolle zur Vorbereitung eines kampflosen Einmarsches der Amerikaner in Innsbruck zuerkannt [wird]«.24 Die grundlegende militärhistorische Studie zum Kriegsende in den Alpen schöpfte im Wesentlichen aus Quellen, die von Akteuren der Wehrmacht angefertigt wurden – auch hier blieb der Anteil der Operation Greenup außen vor.25
007 Plakat zur Ausstellung Das Jahr 1945 in Tirol im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, 1995.
Das vorliegende Buch profitiert in starkem Maße von der jüngeren regionalen zeitgeschichtlichen Forschung zum Nationalsozialismus in Tirol, in der Aspekte der Operation Greenup in verschiedenen Zusammenhängen thematisiert wurden, etwa im Kontext des Widerstands26, des Bombenkriegs27, der Gestapo28 und der Nachkriegsjustiz29. Darauf wird auf den folgenden Seiten vielfach Bezug genommen. Vor dem Hintergrund des skizzierten Forschungsstands wird hier jedoch der Versuch unternommen, eine transnationale Betrachtung der Operation Greenup zu generieren. Gemeint ist damit, die unterschiedlichen, grenzüberschreitenden sozialen, politischen und militärischen Erfahrungsräume der Protagonisten zu berücksichtigen, die für die Entstehung, Durchführung und Nachgeschichte der Operation Greenup bestimmend waren.30 Diese Erfahrungsräume waren über ganz Europa und Nordamerika verteilt. Sinnvoll erscheint dies vor allem deshalb, weil die betroffene Generation durch Repression, Verfolgung und Krieg im Vergleich zu den Nachkriegsjahrzehnten ungeheuer stark mobilisiert wurde. Damit waren persönliche Erfahrungen verbunden, die mitgenommen wurden, die Grenzen überschritten und unter neuen lokalen Umständen Vergleiche ermöglichten, die Rückwirkungen auf die Beurteilung der Ausgangspositionen mit sich brachten. Nicht umsonst projizierten Fred Mayer und Hans Wijnberg ihre neue Heimat Brooklyn und deren Bezirke als Codenamen auf Städte im Feindesland, nicht umsonst sprach Franz Weber nicht von einem ›KZ Tirol‹ oder ›KZ Österreich‹, sondern von einem »KZ Europa«, gegen dessen Etablierung er nach den Kriegserfahrungen in Ost- und Südosteuropa auftreten wollte. Was dafür zu tun war, hatten ihm die kroatischen Partisanen mit ihrem unnachgiebigen Kampf gegen die Nationalsozialisten und die mit ihnen verbündeten kroatischen Faschisten vor Augen geführt.
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