Ministerium der Liebe. Bettina Gugger
Bettina Gugger
Ministerium
der
Liebe
short cuts
Impressum
© 2018 boox-verlag, Urnäsch
Alle Rechte vorbehalten
Cover: Katrin Haslbeck (Untitled, 2017, Ölkreide auf Papier)
Lektorat: Tanja Steinlechner
Korrektorat: Beat Zaugg
ISBN
978-3-906037-46-2 (Taschenbuch)
978-3-906037-47-9 (ebook)
(Mit 1% seiner Einnahmen unterstützt der Verlag eine Umweltschutzorganisation)
Autorin
Bettina Gugger wurde 1983 in Thun geboren. Sie studierte Theaterwissenschaft, Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft in Bern und literarisches Schreiben in Biel.
Für die vorliegenden short cuts erhielt sie die Berner Schreibstipendien 2016. Ihre literarischen Tagesbetrachtungen finden sich auf: bettinagugger.wordpress.com. Die Autorin lebt und arbeitet im Engadin.
Diese Textarbeit wurde unterstützt durch:
Dank
Für die wertvolle Unterstützung dankt die Autorin dem Amt für Kultur des Kantons Bern, der Stadt Bern, Verena Schneider Müller und boox-verlag, Jens Nielsen, Tanja Steinlechner, Silvio Huonder, Dr. med. François Trümpler Moll, Jan Wälti, Christoph Borer, Christiane und Felix, Mam und Pap, Sändy und Chrischä.
short cuts
Warum wir die Tauben nicht verstehen (Entwurf) von Mircea Zerbes
Unter der Schneedecke
Nathalie war immer schon da gewesen. Sie war die Freundin der Schwester seines besten Freundes. Mikesch konnte sich nicht daran erinnern, wie sie ihm aufgefallen war oder warum sie ihm nicht auf Anhieb gefallen hatte. In der Erinnerung verschwamm ohnehin alles zu einem Nebel aus Sätzen und Bildern, aus dem nur schwerlich eine Geschichte herauszukristallisieren war.
Irgendwann lag Nathalie einfach neben ihm.
Vermutlich hatten sie getrunken wie unzählige Abende zuvor, Wochenende für Wochenende. Sie hatten alle das dreissigste Lebensjahr hinter sich gelassen. Dennoch lebten sie weiterhin einfach in den Tag hinein.
Alles drehte sich um Musik, um Feiern, um Sex. Tranken sie keinen Gin Tonic, dann rauchten sie Gras, warfen sich Ecstasy ein oder taten alles davon gleichzeitig.
Nathalie hatte immer noch etwas Mädchenhaftes in ihrem Wesen. Das Manko, nicht mehr zwanzig zu sein, wurde dadurch noch unterstrichen. Auch die Beiläufigkeit, mit der sie regelmässig bei Mikesch landete, verwies sie mehr auf dieses Manko als auf ihre Mädchenhaftigkeit.
Heimlich kämpfte sie um Mikeschs volle Aufmerksamkeit. Mikesch wusste nicht, wie Nathalie empfand. Dass sie eigentlich gerne frühstückte, obwohl sie sich nie hungrig zeigte, um ihm keine Umstände zu machen. Er konnte nicht ahnen, wie viel Kraft es sie kostete, so wenig zu beanstanden. Er mochte ihre blasse, feste Haut. Er verfing sich gerne in ihren Gliedern, die er ganz ohne Scheu bog und bettete, als ob sie ganz ihm gehörten. Er liebte diesen Zustand der mühelosen Liebe. Mit Nathalie war alles leicht. Ihre Bemerkungen schienen manchmal wie aus einer anderen Welt zu kommen und hatten mit ihm auf eine herrliche Art nichts zu tun.
Ihre seltsame Gestik unterstrich die Spontanität ihrer Gedankengänge. Sie sagte beispielsweise: «Wenn jemand anfinge, die Form der Schneeflocken zu verändern, wem würde das als Erstes auffallen?» Auf solche Fragen antwortete er nonchalant: «Na sag schon, meine kleine Philosophin! Mir würde es jedenfalls nicht auffallen, da ich immer nur auf deine Titten schaue.»
Nathalie und er unternahmen nie etwas zu zweit, da sie im eigentlichen Sinne kein Paar waren. Keiner von ihnen sprach diesen Zustand an, und so verwandte Mikesch keinen Gedanken daran, dass sich Nathalie genau das wünschen könnte.
Mikesch war meilenweit davon entfernt, eine Beziehung eingehen zu wollen. Dafür liebte er zu sehr die Möglichkeiten, die sich ihm überall darboten. Er pflückte Frauen wie Blumen, erinnerte sich eher an Blütenkelche, die er mit ihnen assoziierte, als an ihre Haarfarbe.
Eines Nachmittags, es war Samstag, klingelte sie bei ihm, daran erinnert er sich noch genau. Es schneite, die Sonne drang seit Tagen nicht durch die Wolkendecke hindurch. Er hatte sich wegen seiner miserablen Stimmung Johanniskraut verschreiben lassen und dachte daran, seinen Job bei der Haftpflichtversicherung zu kündigen. Die Schadensfälle zogen sich immer häufiger in die Länge, da sie als Schadensberater angehalten waren, immer detaillierte Belege einzufordern, was wiederum verärgerte Versicherte zur Folge hatte. Ihm selbst missfiel die Praxis, den Versicherungsnehmern im Schadensfall gleich einen Betrugsversuch zu unterstellen, zumal die Versicherung Gewinne in Millionenhöhe erzielte.
Er wollte gerade einkaufen gehen und war ärgerlich, dass Nathalie unangemeldet aufkreuzte. Er hatte jetzt keine Lust auf Sex und noch weniger Lust, ihr zu erklären, warum er keine Lust hatte. Ausserdem konnte er mit enttäuschten Gesichtern nicht umgehen.
Er sagte: «Nat, später, ich muss gleich los, ich bin verabredet und spät dran.»
Und Nathalie sagte: «Ich bin schwanger.»
Der Satz breitete