Halt. Michael Donkor

Halt - Michael Donkor


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voller Blusen, manche waren gefaltet, andere hingen schon halb auf dem Boden. Frauen rissen Kleidungsstücke von den Bügeln, prüften rasch die Schilder am Ärmel und warfen die Sachen achtlos hin. Junge Mädchen – die Töchter dieser Frauen? – fanden alles komisch und lachten darum unentwegt, zeigten dabei winzige Zähne, die von Metalldrähten umspannt waren. Nana drehte sich plötzlich um und presste Belinda ein grünes Oberteil mit nur einem Ärmel an die Brust, strich es mit resoluten Gesten glatt. Belinda hielt die Luft an, als Nana die Nase rümpfte, das Oberteil fallen ließ und es mit einer blauen Version versuchte. Auch diese gefiel ihr nicht.

      So machten sie noch eine Weile weiter. Nana hielt Belinda Getüpfeltes, Gerüschtes und Samtiges hin. Nach gefühlt zehn Minuten erblickte Belinda, in deren Kniekehlen sich allmählich Feuchtigkeit sammelte, die Kinderabteilung weiter vorne. Sie wurde durch ein Plakat angezeigt, das von der Decke hing. Darauf lächelte ein nicht ganz weißes, nicht ganz schwarzes Mädchen in der denkbar dümmlichsten Weise. Belinda wurde auf einmal bewusst, dass hier viele Plakate mit multiethnischen Mädchen warben. Nachdem Nana sie in eine Umkleidekabine gescheucht hatte, schnaubte Belinda, weil sie genau wusste, was Mary am liebsten tun würde. Mary würde dieses eine Bild am liebsten herunterreißen, darauf herumtrampeln und der Abteilungsleitung sagen, dass sie es durch etwas viel, viel Besseres ersetzen sollten, nämlich durch ein schönes Foto von ihr, Mary. Und wieder schnaubte Belinda. Die weiße Box um sie herum war eng und rein, ihr Spiegelbild reglos. Das Stimmengewirr der Kauflustigen war nur noch als Rauschen im Hintergrund zu vernehmen. Da war nichts als diese alberne Vision von Mary und der Luftzug um ihre Knöchel. Aber dann stieß eine Hand durch den Vorhang. Sie umklammerte drei Jeanshemden.

       11

      Tratschend wie die verhutzelten Frauen, die Belinda vor dem Costcutter-Supermarkt in der Norwood Road gesehen hatte, erzählte Mary, dass Aunty und Uncle für ihre Kinder Antoinette und Stephen kleine »Ferienhütten« neben ihrem Haus bauen lassen wollten. Belinda hätte sich daran beteiligen und Mary verraten können, dass die Otuos mehrere Wohnungen und Häuser besaßen, Häuser, die sie nicht einmal selbst benötigten, Häuser, die für Fremde gebaut worden waren. Pim-li-co. Vaux-hall. Das neueste in Clap-ham. Aber das behielt sie für sich.

      Das Treppenhaus um sie herum – in einer vornehm zurückhaltenden Farbe namens »Entenei« gestrichen, wie sie inzwischen wusste – war langweilig, und so spielte sie mit dem Top, das Nana bei Monsoon für sie gekauft hatte, eine unerwartete Belohnung. Hübsch, zart und luftig. Es gehörte zu den Dingen, die Belinda ihrer Mutter höchstens nach reiflicher Überlegung zeigen würde. Als hätte sie auf dem Heimweg von der Schule Kiesel gesammelt, die wundersamerweise alle die gleiche Größe, die gleiche Form und die gleiche Farbe hatten. Es war zwar schwer, bis ins kleinste Detail vorauszusehen, wie Mutter auf etwas so Besonderes reagieren würde, aber das Ergebnis stand von vornherein fest. Es kam Belinda grundfalsch vor, sich vor der eigenen Mutter zu fürchten.

      Belinda hörte auf, das Blumenmuster zu befingern. Sie hatte bemerkt, dass Mary am anderen Ende der Leitung die Sprechgeschwindigkeit gewechselt hatte.

      »Und du?«

      »Und ich?«

      »Mach jetzt nicht den Papa-Papagei, Belinda.«

      »Sagen wir’s mal so: Ich gehe ganz, ganz behutsam vor, damit es besser wird.«

      »Was besser wird?«

      »Mein Verhältnis zu Amma. Das ist so oder so die Hauptsache.«

      »Aane! Hatte ich es dir nicht gesagt? Du bist die Größte.« Mary machte ein Geräusch, das tiefe Weisheit signalisieren sollte. »Erzähl mir mehr.«

      »Viel Neues habe ich nicht zu berichten, wenn ich ganz ehrlich sein soll. Im Grunde nur, dass sie … sie hat meinen Namen gekürzt. Mir einen Spitznamen verpasst. Be. Be statt wie sonst Belinda. Nur ›Be‹. Nicht schlecht, eh?«

      »Be? Wie … Bäh?«

      »Na ja –«

      »Klingt nach einem Baby – wie wenn sie dich kleiner machen will, als du bist. Damit sie weniger Angst haben braucht. Was hat meine Belinda nur gemacht, um der weißen Königin so viel Angst einzujagen? Ha, muss was richtig Schlimmes gewesen sein, wenn sie dir den Namen abschneidet, damit du weniger Macht hast!«

      »Ich glaube, das war nett gemeint. Freundschaftlich.«

      »Vielleicht. Vielleicht habe ich es falsch verstanden. Kommt manchmal vor.« Mary hielt kurz inne. »Hast du für sie auch einen eigenen Spitznamen? Für deine neue Busenfreundin oder wie immer man das nennt?«

      »Nein. Gar nicht. Wie ich dir schon letztes Mal erzählt habe, reden wir kaum miteinander, und so brauche ich auch keinen Spitznamen für sie. Mich nennt sie erst seit ein paar Tagen ›Be‹. Seit sie zwischendurch doch mal den Mund aufmacht. Das lässt mich hoffen.«

      »Ist ihre Zunge immer noch so verschlossen? Und du bist doch schon zwei ganze Wochen da. Kai! Dann bin ich also nicht die einzige, die Probleme hat.«

      »Probleme? Was denn für Probleme?«

      »Nur das Übliche. Die gleichen wie immer.«

      »Was soll das heißen? Raus damit, Mary. Oder ›Mare‹. Wie hört sich das an? Gut?«

      Mary atmete tief und hörbar durch.

      »Soll mein ganzes Leben daraus bestehen, dass ich nur klitzekleine klitzekurze Gespräche mit dir führen darf und dann die Vogelscheiße von der Veranda kratze, und so geht das hundert Jahre weiter und dann ist mein Kopf so grau wie der von Uncle? Ist doch so. Den ganzen Tag darf ich nur mit diesem schrecklichen Spezialtuch über alle Glasflächen wischen, und das stundenlang, damit alles schön glänzt, wenn Aunty nachprüft. Von diesem Tuch kriege ich Juckreiz an den Händen, weißt du ja. Und es dauert ewig, bis man diese weißen Wasserränder weghat. Ich weiß, wie viele Stunden ich mit diesen Gläsern zubringen werde, und dann hasse ich sogar das Wasser, obwohl wir es doch alle trinken müssen, sonst sterben wir.« Mary schmatzte. »Ich warte auf nichts anderes als darauf, dass Aunty lächelt und mir sagt, damit könnte ich vorläufig aufhören und mir das Nächste auf der Liste vornehmen. Wie soll ich das ein Leben lang durchhalten? Als Roboter ohne Träume.«

      Belinda drehte die Anglepoise-Lampe auf dem Beistelltisch weg, sie wollte sich nicht blenden lassen. »Du darfst eins nicht vergessen, Mary: Es ist ein großes Glück, dass wir in diesem Haus gelandet sind.«

      »Glück? So empfinde ich das nicht. Ganz im Gegenteil.«

      »Ich weiß, manchmal ist die Arbeit hart –«

      »Manchmal? Immer. Jeden Tag sitze ich hier auf dem Boden in der Küche und versuche –«

      »Du musst es dir vorstellen. So bin ich da rangegangen.«

      »Was vorstellen?«

      »Dir vorstellen, dass du zu den Mädchen gehörst, die damit klarkommen, auch wenn das nicht der Fall ist. Stell dir sogar vor, du gehörst zu denen, die daran richtig Spaß haben. Wenn du es als Mary nicht schaffst, musst du bei der Arbeit eben eine andere sein, eh? Wa te?« Mary brummelte. »Erzähl es mir, eh, erzähl mir, wer du sein wirst, lass uns ein bisschen spielen – wer ist das Mädchen, dem es nichts ausmacht, Haare aus dem Abfluss zu fischen? Wir könnten ihr einen –«

      »Kann nur eine Verrückte sein. Das steht schon mal fest.«

      »Lass uns diesem Mädchen einen Namen geben und ein Alter und eine Geschichte. Komm schon, Mary. Versuch es wenigstens. Mach die Augen zu.«

      »Okay. Wenn’s dich glücklich macht.«

      »Hey, Mini-Lady! Ich seh doch, dass deine Augen noch offen sind.«

      »Eine Hexe! Meine Schwester ist eine Übersee-Hexe.«

      »Mach sie zu!«

      »Mach ich.«

      »Braves Mädchen.«

      »Darf ich mir den Namen selbst aussuchen?«

      »Nur


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