Haus der Hüterin: Band 1 - Das Erbe. Andrea Habeney
Das Buch
Rylee wächst in ärmlichen Verhältnissen bei ihren alkoholkranken Stiefeltern auf. An ihrem 18. Geburtstag steht völlig überraschend der Nachlassverwalter ihrer leiblichen Eltern vor der Tür, um ihr ein altes, halb verfallenes Haus an der Ostsee als Erbe zu übertragen. Rylee fällt aus allen Wolken, tritt aber das Erbe an. Nach und nach findet sie heraus, was es mit dem seltsamen Haus, dessen Hüterin sie sein soll, auf sich hat. Es entpuppt sich als Herberge für seltsame Reisende, und bald steht der erste Gast vor der Tür ...
„Das Erbe“ ist der erste Band der Fantasy-Serie „Haus der Hüterin“ von Andrea Habeney.
Die Autorin
Andrea Habeney, geboren 1964 in Frankfurt am Main, in Sachsenhausen aufgewachsen. Nach dem Abitur studierte sie in Gießen Veterinärmedizin. 1997 folgte die Promotion. Bis 2013 führte Andrea Habeney im Westen Frankfurts eine eigene Praxis. Heute arbeitet sie als Tierärztin für eine Pharma-Firma.
Als Autorin hat sie sich einen Namen gemacht mit ihrer Frankfurter Krimi-Reihe um Kommissarin Jenny Becker: „Mörderbrunnen“ (Frühjahr 2011), „Mord ist der Liebe Tod“ (Herbst 2011), „Mord mit grüner Soße“ (April 2012), „Arsen und Apfelwein“ (2013), „Verschollen in Mainhattan“ (2014) und „Apfelwein trifft Weißbier“ (Oktober 2015)
ISBN 978-3-944124-69-8
Copyright © 2015 mainbook Verlag
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Gerd Fischer
Covergestaltung: Olaf Tischer
Coverbild: © Christian Müller - fotolia
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Andrea Habeney
Haus der Hüterin
Band 1: Das Erbe
Fantasy-Serie
Tag 1
Ärgerlich warf Rylee die marode Wohnungstür ins Schloss. Hoffentlich war ihr Vater, sie korrigierte sich schnell, ihr Stiefvater, nicht zu Hause. Wobei Stiefvater es ebenfalls nicht richtig traf. Schließlich hatten er und seine Frau sie nie adoptiert, obwohl sie fast achtzehn Jahre, also praktisch ihr ganzes Leben, in der Familie aufgewachsen war.
Wie für alle Handlungen ihrer Pflegeeltern waren auch hier finanzielle Gründe ausschlaggebend. Das Jugendamt zahlte gut, wie ärmlich die Versorgung der Schutzbefohlenen in den Pflegefamilien auch ausfiel.
Rylee kannte es nicht anders. Sie hatte nicht hungern müssen und es gab Schlimmeres, als Kleider von der Wohlfahrt zu tragen.
In der Schule hielt sie sich abseits. Mit dem schlecht gekleideten Kind wollte niemand etwas zu tun haben, und sie hatte nie Geld, um etwas mit den anderen zu unternehmen. So oft es ging verließ sie die enge Wohnung, in der es schmutzig war und stank und ihre Pflegeeltern meist in unterschiedlichen Stadien des Betrunkenseins auf der Couch und im Sessel lungerten, und streunte durch ihr Viertel. Als sie einer Gang in die Quere kam, boxte sie mehr aus Schreck als mit Absicht dem Wortführer auf die Nase und brach ihm das Nasenbein. Zu ihrer Überraschung brachte ihr das keine Prügel, sondern widerwilligen Respekt ein, und sie durfte ab und zu mit ihnen abhängen. So schnappte sie einige Tricks auf, und als ihr Stiefvater ihre erwachende Pubertät mit immer gieriger werdenden Blicken belohnte, stellte sie die Sache ein für alle Mal klar, indem sie ihm beim ersten Versuch, sie anzufassen, zwischen die Beine trat.
Seitdem war sie nur noch geduldet und sehnte den Tag herbei, an dem sie ihr Zuhause, wenn man es überhaupt so nennen konnte, verlassen würde.
Morgen würde sie achtzehn Jahre alt werden und wäre theoretisch ihr eigener Herr, doch immer noch wusste sie nicht, wohin sie gehen sollte.
Sie war gut in der Schule und entschlossen, Abitur zu machen, auch wenn das hieß, noch etwas länger bei den Pflegeeltern aushalten zu müssen.
Doch noch war unklar, ob das Amt weiter zahlen würde. Der Bescheid sollte morgen ergehen. Falls nicht, musste sie wohl ab morgen auf der Straße schlafen.
In der Wohnung war es still. Ihre Pflegemutter war am Tag zuvor im Suff gestürzt und hatte sich eine Rippe gebrochen. Wahrscheinlich holte ihr Stiefvater sie aus dem Krankenhaus ab.
Sie ging in die Küche und öffnete hoffnungsvoll den Kühlschrank, fand aber nichts darin, das halbwegs essbar aussah.
Sie seufzte. Zwar verdiente sie ein paar Euro mit dem Austragen von Zeitungen und Werbeprospekten, doch hatte sie nicht vor, das schwer verdiente Geld für Essen auszugeben. Im Schrank fand sie noch ein paar trockene Kekse und zog sich damit in ihr winziges Zimmer zurück, nicht ohne die Tür hinter sich abzuschließen.
Eine Stunde später kamen ihre Stiefeltern nach Hause und klopften an ihre Tür. Sie ignorierte das Klopfen und zog sich das Kopfkissen über die Ohren.
Morgen würde sie achtzehn Jahre alt werden, und wie immer in den letzten Jahren würde niemand sich um ihren Geburtstag kümmern. Wie sollte sie es nur anstellen, hier heraus zu kommen und sich ein eigenes Leben aufzubauen? Über diesen Gedanken schlief sie irgendwann ein.
Wie erwartet gratulierte ihr am nächsten Morgen niemand. Ihr Vater saß unrasiert im Unterhemd am Tisch. „Hättest ruhig mal einkaufen können gestern, wo deine Mutter so krank ist.“
Rylee setzte Wasser für einen Tee auf. Kaffee war seit Tagen aus. „Und wovon?“, fragte sie ehrlich interessiert.
„Verdienst doch genug Geld! Du könntest endlich auch mal an uns denken! Jahrelang haben wir dich ernährt! Oder glaubst du, die paar Kröten, die wir vom Amt bekommen, reichen?“
Rylee hatte die Leier schon öfter gehört. „Klar, Klamotten von der Fürsorge und Resteessen von der Tafel. Ihr habt euch richtig für mich in Unkosten gestürzt!“
Er blickte sie aus blutunterlaufenen Augen an. Ah, dachte Rylee, daher weht der Wind. Der Alk ist alle.
Sie wollte gerade den Mund öffnen, um zu antworten, als es klingelte. Überrascht schloss sie ihn wieder. Es kam selten jemand zu den Webers, am frühen Morgen erst recht nicht. Ob das Amt …? Nein, die würden den Bescheid schicken und sicher nicht selbst vorbeikommen. Rylee hatte seit Jahren keinen von ihnen gesehen. Sie wollten von den Zuständen, in denen sie lebte, nichts wissen.
Mit einem Blick auf ihren Pflegevater, der sich nicht rührte, ging sie zur Tür und öffnete. Ihre Wohnungstür lag unter der Eingangstreppe und führte direkt auf die Straße. So sah sie nicht nur den Mann im schwarzen Anzug, der vor ihr stand, sondern auch die große dunkelgraue Limousine, die hinter ihm parkte.
Verblüfft starrte sie ihn an.
„Fräulein Rylee Montgelas?“, fragte der Mann und zog seinen Hut.
„Äh, was?“, fragte sie wenig intelligent. Ein Hut, was um alles …?
Er räusperte sich ungeduldig. „Sie sind doch Rylee Montgelas?“
„Montgelas? Mein Name ist Rylee, aber ich trage den Nachnamen meiner Pflegeeltern, Weber.“
Er sah sie von oben herab an. „Aber sie werden doch Ihren richtigen Namen kennen?“
Sie zögerte. „Ich war sehr klein, als ich zu Pflegeeltern kam. Ich weiß nichts über meine richtigen Eltern und habe den Namen noch nie gehört.“
Er murmelte etwas, das sich anhörte wie „das wird ja immer besser“. Laut sagte er: „Glauben Sie mir, das dürfte Ihr richtiger Name sein, es sei denn, es wohnt hier noch eine junge Dame, die Rylee heißt. Könnten wir den Rest vielleicht drinnen besprechen?“
Diesen Moment benutzte ihr Pflegevater, um aus dem Hintergrund „Wer issn da, Mädel?“, zu grölen. Unangenehm berührt sah Rylee sich um. „Möchten Sie mit meinem Stiefvater sprechen?“
„Eigentlich