Haus der Hüterin: Band 1 - Das Erbe. Andrea Habeney

Haus der Hüterin: Band 1 - Das Erbe - Andrea Habeney


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Gesetze? Sie starrte ihn an.

      „Stehen Sie ihm nahe? Dann beziehen wir ihn natürlich ein.“

      Aus der Küche klang ein neuerlicher Ruf, dann ein Poltern. Sie zog die Tür hinter sich zu. „Was wollen Sie von mir? Wer sind Sie überhaupt?“

      Er verbeugte sich knapp. „Ich bin in gewissem Sinn der Testamentsvollstrecker Ihrer Eltern.“

      Rylee glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Sowohl das Amt als auch ihre Pflegeeltern hatten ihr, als sie alt genug war, erklärt, ihre Eltern wären mittellos bei einem Autounfall gestorben.

      Der Mann starrte sie ungeduldig an. Dann blickte er die Straße hinauf und hinab. „Vielleicht sollten wir uns in den Wagen setzen.“

      Rylee sah an ihm vorbei. Ob das eine gute Idee war? Die Limousine war riesig. Ein uniformierter Mann stieg in diesem Moment aus, kam um den Wagen herum und hielt die hintere Tür auf.

      Erst jetzt bemerkte sie, dass der Mann im Anzug ihr eine Karte hinhielt. Sie nahm sie und las. Ernst Friedrich Esterhazy stand in Goldprägeschrift darauf, sonst nichts.

      Er drehte sich um und ging auf den Wagen zu, ohne sich umzusehen. Sie folgte ihm wie an Schnüren, ihre Neugier war größer als die Vorsicht.

      Hinter ihm stieg sie ins Auto und fand sich in einer Art Minibüro. Zwei Sitzreihen waren so positioniert, dass man sich gegenüber sitzen konnte. Vor einem Sitz war ein Pult heruntergeklappt, auf dem ein Laptop stand. Sie setzte sich gegenüber von Esterhazy und sah ihn erwartungsvoll aber auch misstrauisch an. Er zog eine Mappe aus seiner Aktentasche und schlug sie auf. Mit unbewegter Miene blickte er ihr ins Gesicht. Sein Blick war undeutbar.

      „Lassen Sie mich zuerst offen sagen, dass ich es missbillige, dass Sie das Erbe Ihrer Eltern antreten sollen.“

      „Warum?“, entfuhr es Rylee spontan.

      „Ihre Eltern haben sich über die Gesetze unseres Ordens hinweggesetzt. Deswegen wurden sie hingerichtet. Das Haus sollte an einen anderen Hüter gehen, nicht an Sie.“

      Rylee verstand gar nichts. „Hingerichtet? Ich dachte, sie hätten einen Unfall gehabt.“

      Er sah sie an und sein Blick wurde etwas milder. „Natürlich verstehen Sie wenig von dem, was ich gesagt habe. Aber ich werde Ihnen nicht mehr erklären. Im meinen Augen haben Ihre Eltern Schande über uns gebracht. Aber Gesetz ist Gesetz und ich werde Ihnen das Haus übertragen, so wie es das Testament Ihrer Eltern zu Ihrem achtzehnten Geburtstag vorsieht. Meinen Glückwunsch übrigens.“

      „Das Haus?“, fragte Rylee schwach.

      „Unser Orden unterhält Häuser, in denen Reisende einen sicheren Unterschlupf finden. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Ihre Eltern haben ein solches Haus über dreißig Jahre geführt und sich so das Recht erworben, über seinen nächsten Hüter zu bestimmen. Ob das Haus Sie akzeptiert, ist allerdings fraglich. Selbst wenn, hat es lange geschlafen und ist vielleicht nicht mehr zu erwecken. Wir gehen sogar davon aus. Aber dann hätten Sie immerhin ein Zuhause.“ Er sah aus dem Fenster und nahm mit einem Blick die heruntergekommene Gegend in sich auf. „Oder möchten Sie lieber hier bleiben?“

      Sie starrte ihn an. „Was ist mit meinen Pflegeeltern? Und mit der Schule?“

      „Bestehen emotionale Bindungen? Das könnte schwierig werden. Sie müssen alle Brücken hinter sich abbrechen. Auch die Schule selbstverständlich.“

      Sie schüttelte den Kopf. „Keine emotionalen Bindungen. Sie kümmern sich nur wegen des Geldes um mich. Aber die Schule … Ich will doch Abitur machen.“

      Er zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Wie Sie wollen. Vielleicht ist es sogar besser so.“

      Rylee hob die Hand. „Moment! Bis wann müsste ich mich denn entscheiden? Zunächst sollte ich ja wohl etwas mehr wissen.“

      Er klappte den Ordner zu. „Sie werden nicht mehr erfahren, und Sie müssen sich hier und jetzt entscheiden. Ich werde Sie sofort mitnehmen und zu Ihrem Haus bringen. Wenn Sie das ablehnen, verzichten Sie auf das Erbe, und wir werden einen würdigen, gut ausgebildeten Hüter finden. Soviel kann ich Ihnen versprechen.“

      In Rylee regte sich Widerstand. „Sie wollen mich nicht, richtig?“

      Er lächelte dünn. „Natürlich nicht. Sie sind nicht ausgebildet und die Aufgabe übersteigt Ihre Fähigkeiten bei Weitem. Außerdem vererbt sich schlechtes Blut.“

      Rylee zog heftig die Luft ein. Sie kannte ihre Eltern zwar nicht, aber deshalb ließ sie sie noch lange nicht beleidigen. Was wusste der Anzugheini überhaupt von ihr? Sie würde ihm schon beweisen, wozu sie fähig war.

      „Ich nehme an“, hörte sie sich zu ihrer Überraschung sagen.

      Er verzog das Gesicht, setzte aber sofort wieder seine undurchdringliche Anwaltsmine auf. „Wie Sie wollen. Ich hoffe, Sie bereuen die Entscheidung nicht. Hier sind die Papiere. Wenn Sie das Erbe annehmen, verpflichten Sie sich, alle Verbindungen zu ihrem bisherigen Leben zu kappen. Kein Kontakt mehr zu wem auch immer. Verstanden?“

      Sie nickte. Erste Zweifel stiegen in ihr auf.

      Er stieg aus und hielt die Tür für sie auf. „Sollen wir Ihre Sachen holen?“

      Sie ging ihm voran in die Wohnung und in ihr Zimmer. Esterhazy folgte ihr und rümpfte fast unmerklich die Nase. Rylee wurde rot. „Ich kann nichts dafür, wie ich gelebt habe.“

      „Natürlich nicht.“

      Diesen Moment nutzte ihr Pflegevater, um ins Zimmer zu trampeln. „Wasssn los, Mädel. Wer issn das?“

      „Der Testamentsvollstrecker meiner Eltern. Ich werde mit ihm weggehen.“

      Ihrem Pflegevater fielen fast die Augen aus dem Kopf. „Weggehen? Wie meinstn das? Erbste was? Du wirst nich einfach abhauen. Nach allem, was wir für dich getan haben. Kannse ja jetzt was zurückzahlen!“

      Esterhazy sah ihn an, wie man ein widerliches Insekt betrachten würde. Angeekelt und doch fasziniert.

      „Sie wollen Geld von Ihrer Pflegetochter?“

      „Hab ja genug für sie ausgegebn. Was die immer alles bekommen hat. Auf alles ham wir für sie verzichtet, meine Frau und ich!“

      Esterhazy ließ seinen Blick über die ärmliche Einrichtung und die paar Kleidungsstücke schweifen, die Rylee gerade aus dem Schrank in eine Plastiktüte packte.

      „Ich verstehe.“ Er griff in seine Jacke und zog ein Bündel Geldscheine heraus. Weber starrte darauf und leckte sich die Lippen. Esterhazy legte sie auf einen wackeligen Tisch, holte ein Papier aus seiner Aktentasche und setzte einige Wörter ein. „Unterschreiben Sie hier. Sie werden Rylee nie mehr sehen oder kontaktieren. Dafür erhalten Sie die aufgeführte Summe.“

      Weber griff hastig nach dem Stift und unterschrieb, ohne Rylee eines Blickes zu würdigen. Dann streckte er die Hand nach dem Geld aus.

      Esterhazy hielt es einen Moment fest, dann ließ er es los. „Verlassen Sie jetzt das Zimmer!“

      Weber verschwand in die Küche, und Rylee sah ihm nach. Obwohl sie Weber verabscheute, tat es doch weh, dass er sie so einfach verkaufte. Immerhin war er achtzehn Jahre der einzige Vater gewesen, den sie gekannt hatte. Kurz dachte sie daran, sich von seiner Frau zu verabschieden, dann entschied sie sich jedoch dagegen. Sie würde noch bis mittags ihren Rausch ausschlafen und kaum ansprechbar sein.

      Sie holte im Bad ihre Zahnbürste und sah Esterhazy an. „Ich bin bereit.“

      Wortlos musterte er die Tüte, in der ihr gesamter Besitz war. Dann drehte er sich um und ging ihr voran. Ohne einen Blick zurück zu werfen, folgte sie ihm zum Wagen und stieg ein.

      Sie fuhren nach Norden aus der Stadt hinaus. Bald lagen die Außenbezirke der Stadt hinter ihnen. Die Autobahn schraubte sich durch bewaldete Hügel.

      Esterhazy saß unbeweglich neben ihr und blickte nach vorne. Rylee hielt ihre Tüte auf den Knien und sah


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