Von A bis Z. Ägidius Zsifkovics

Von A bis Z - Ägidius Zsifkovics


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Menschen haben Angst. Angst vor Schmerz, Verletzung und Krankheit; Angst vor dem Altwerden und dem Tod; Angst vor Verlust, vor Enttäuschung und Zurückweisung, Angst, nicht dazuzugehören, aber auch Angst vor der großen Liebe, die einen verletzlich machen könnte. Wir haben Angst, dass uns das Geld ausgehen könnte, dass wir unseren Beruf und unsere Ehre verlieren könnten und dass unsere Freunde, wenn es uns so richtig schlecht geht, sich verabschieden könnten. Angst ist eine Farbe unseres Lebens. Schlimmer als der Schmerz ist die Angst davor – das gilt für eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt ebenso wie für die Wechselfälle des Lebens, vor denen die diversen Lebens-, Unfall- und Rechtsschutzversicherungen uns schützen wollen und daher auf unsere wohlwollenden Beitragszahlungen vertrauen dürfen. Doch seien wir ehrlich: „Leben ist immer lebensgefährlich“ (Erich Kästner).

      Die große Aufgabe, der sich der Mensch angesichts dieses weitverbreiteten Gefühls stellen muss, ist nicht, sich in Scheinsicherheiten zu flüchten, sondern zu lernen, die grundlegende Unsicherheit seiner Existenz ohne Panik zu ertragen. Menschen, die von einer christlichen Grundhaltung des Glaubens und der Zuversicht getragen sind – und das sind beileibe nicht alle, die einen Taufschein besitzen! –, können zu furchtlosen Menschen werden, die in sich ruhen und das Leben lieben. Solche Menschen haben nicht den weitverbreiteten Mangel an Selbst, der in unserer Gesellschaft so viel Angst erzeugt. Es sind selbstbewusste Menschen, die sogar die Angst, zum Außenseiter zu werden, nicht kennen – eine Angst, die in einer Gesellschaft, die von herrschenden Meinungen und vorgegebenen Trends geprägt ist, bei vielen noch größer ist als die Angst vor dem Tode.

      Als ich im Jahr 2013 als Bischof meine burgenländischen Landsleute in den USA und in Kanada besuchte, stießen wir auf einem Parkplatz in Niagara, kurz vor den großen Fällen, auf einen „Inukshuk“ – eine jener überdimensionalen steinernen Figuren der kanadischen Indianer. Solche Figuren, deren Name übersetzt soviel wie „Jener, der einem Menschen gleicht“ bedeutet, erfüllten für die als Nomaden lebenden Inuit lebenswichtige Aufgaben. Diese „Inukshuiit“ (so der Plural) wurden aus herumliegenden, grob behauenen Steinblöcken zusammengesetzt und kennzeichneten für die indianischen Jäger und Sammler besondere Stellen: Orte, an denen ein Inuit etwa seine Waffen zurückgelassen hatte; Verstecke von Lebensmitteln für Frau und Kinder, die dem jagenden Familienoberhaupt in sicherem Abstand folgten; oder auch eine Warnung für andere Stammesmitglieder vor drohender Gefahr. Entlang der Küste markierten die steinernen Giganten oft einen vom Meer her nur schwer zu erkennenden Anlegeplatz für die Kajaks. Oft aber zeigten die Inukshuiit einfach nur die richtige Richtung an. Blickte man durch ihre steinernen Beine hindurch, ergab sich die Blickachse, in deren Verlängerung sich selbst bei Schnee und Nebel die nächste riesige Figur zeigte und so den Weg durch die Einöde wies. Noch heute markieren hunderte solcher Figuren in der kanadischen Wildnis Rucksacktouristen den Weg. Wer ihrer Route folgt, verirrt sich nicht. Der Inukshuk sagt dem Wanderer also „Jemand war schon hier“ oder „Du bist auf dem richtigen Weg“.

      Das Faszinosum dieser teils aus vorchristlicher Zeit stammenden Figuren erschließt sich auch dem christlichen Welt- und Menschenbild. Nur das Christentum kennt einen Gott, der nicht in entfernten Sphären bleibt, sondern der sich auf den Weg in die Elementarwelt gemacht hat, nicht nur um den Menschen zu suchen, sondern auch um bei ihm zu sein, den Weg mit ihm zu gehen. Alle Wege, die der Mensch geht oder jemals gehen kann, hat er, der menschgewordene Gott, Jesus Christus, schon durchschritten. Er ist den Menschen – als „jener, der einem Menschen gleicht“ – bereits vorausgegangen, selbst durch die Wirrnisse und Schrecken des Lebens. Niemals sind wir alleine, weder in schönen noch in dunklen Tagen unserer Existenz. Er ist immer schon überall da gewesen, wo der Mensch hinkommt oder hinkommen könnte, um alle Wege zu sich zu führen, damit am Ende alles gut wird. Und dieser menschgewordene Gott ruft uns zu, keine Angst zu haben. Wohl niemand hat dies radikaler auf den Punkt gebracht als der heilige Papst Johannes Paul II. in einer Ansprache im Jahr 1978, am Beginn seines Pontifikats:

      „Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus! Öffnet die Grenzen der Staaten, die wirtschaftlichen und politischen Systeme, die weiten Bereiche der Kultur, der Zivilisation und des Fortschritts seiner rettenden Macht! Habt keine Angst! Christus weiß, was im Innern des Menschen ist. Er allein weiß es!“

      Wer den Mut hat, sich diesem „Inukshuk“ anzuvertrauen, wer der Blickachse des menschgewordenen Gottes folgt, verirrt sich nicht. Er ist und bleibt auf dem richtigen Weg. Einem Weg, der zum Ziel führt.

      A wie ANTI-AGING

      Oder: Was macht ein König in der Midlife-Crisis?

      Anti-Aging, Botox und Chemisches Peeling sind das ABC, aus dem die postmodernen Heilserwartungen derer buchstabiert sind, die sich’s leisten können. Sie sind die Signatur einer Gesellschaft, die ihre Kinder zu kleinen Erwachsenen stilisiert und Erwachsene als dauervitale Berufsjugendliche zeigt. Von diesem Phänomen ausgehend lenkt Ägidius Zsifkovics den Blick auf die Heiligen Drei Könige als Sinnbild der Vergänglichkeit des Menschen und seiner Suche nach dem Sinn.

      Man muss nicht unbedingt die Kirche als moralische Instanz bemühen, um die Verirrungen des modernen Menschen zu benennen. Selbst die Popkultur übt Kritik am grassierenden Jugendwahn. Beispiel einer solchen Kritik, wie sie die biblischen Propheten nicht schärfer hätten formulieren können, ist der Song „Warum sind wir hier?“ der Popgruppe Ganz Schön Feist. Die jungen Musiker stellen darin folgende Fragen:

      „Sind wir hier, um in einer Wohnung zu wohnen,

      Die Schuhe auszuziehn‘ und den Teppich zu schonen?

      Sind wir hier, um zum Erhalt der Menschheit beizutragen,

      Kinder zu zeugen und sie dann zu schlagen?

      Sind wir hier, um mit Sägespänen Tiere auszustopfen,

      Tiere mit ´nem Hammer an die Wand zu klopfen?

      Sind wir hier, um uns Fett in die Lippen zu spritzen,

      Das Fett aus dem Arsch, auf dem wir sitzen?

      Warum sind wir hier? Warum sind wir hier?“

      Die titelgebende Frage – „Warum sind wir hier?“ – wird in diesem Song ganze 24 Mal wiederholt. Sie wird zwischendurch sogar als „Mutter aller Fragen“ bezeichnet, und sie ist es wirklich. Dass sie mit gesellschaftlichen Praktiken des Präparierens und Konservierens – von Tieren wie von Menschen – in Verbindung gebracht wird, ist ebenso wenig ein Zufall wie ihr Konnex zum untätigen „Auf dem Arsch“-Sitzen. Denn wo die menschliche Sinnfrage nicht ausreichend beantwortet wird, beginnt der Mensch und mit ihm die ganze Gesellschaft krank zu werden und auch in seinem Vermögen zu gesunder, weltverbessernder Aktion zu stagnieren.

      Warum also sind wir hier?

      Die Kirche feiert am 6. Januar, dem Dreikönigsfest, das Fest der Erscheinung (Epiphanie) des Herrn. Christus, der als Sohn Gottes das Menschsein angenommen hat, offenbart im Evangelium an drei Stellen seine Herrlichkeit: Einmal in der Huldigung der Weisen vor dem Kind in der Krippe, dann in der Stimme des Vaters bei der Taufe Christi im Jordan und zuletzt durch das Weinwunder auf der Hochzeit zu Kana. In der Kunstgeschichte wird aber gerade die Huldigung der Weisen bzw. Könige auf oft sehr interessante Weise dargestellt. Auf spätmittelalterlichen Tafelgemälden fällt auf, dass die drei Weisen in drei unterschiedlichen Lebensaltern gezeigt werden.

      Dabei ist der junge König am weitesten von der Krippe entfernt platziert; meist exotisch-prachtvoll gekleidet, ist er in der Krippenszenerie noch mit den Reittieren beschäftigt. Er ist anpackend dargestellt, widmet sich den praktischen Dingen des Lebens, lebt ganz für das Tun. Das ist der junge, wilde und ungestüme Macher-König.

      Der König in der Lebensmitte dagegen wirkt in den Darstellungen oft nachdenklicher, mehr in sich gekehrt; er schaut nach dem Sinn aus, wirkt um Orientierung und Ziel bemüht. Das ist der König in der Midlife-Crisis.

      Der alte König hingegen kniet vor dem Kind in der Krippe; die Krone als Zeichen seiner irdischen Güter und Prioritäten hat er abgelegt und die Goldschatulle geöffnet. Er betet an, lässt sich selbst los und hat dadurch alles gefunden. Das ist der weise König. Und er ist auch ein „weißer“ König. Sein weißes, schütteres Haar ist Zeichen eines durchlebten Reifeprozesses, der


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