Fundstücke. Georg Markus
dass das einstige Liebespaar in freundschaftlicher wie in geschäftlicher Weise verbunden bleibt.
Julius Schuster gewährt dem Sacher ein großzügiges Darlehen
Als Julius Schusters Frau im Frühsommer 1904 stirbt, hätte für Anna Sacher und Julius Schuster die Möglichkeit bestanden, die mehrjährige geheime Liaison zu legalisieren, wovon sie lange Zeit geträumt haben. Doch es ist zu spät, der Tod der Tochter respektive Schwiegertochter liegt als dunkler Schatten über ihrer Liebe und lässt eine Wiederaufnahme der einst leidenschaftlichen Beziehung nicht zu.
Julius Schuster hat einmal noch Gelegenheit, seine Zuneigung zu Anna unter Beweis zu stellen: als der 48-jährigen Witwe im Jahr 1907 angeboten wird, ein dem Sacher benachbartes, vierstöckiges Haus in der Maysedergasse zu kaufen, womit das aus allen Nähten platzende Hotel erheblich vergrößert werden könnte. In dem neuen Trakt sollen weitere Gästezimmer, ein Restaurant und zusätzliche Separees errichtet werden, die sich als Rendezvousplätze adeliger Herren mit jungen Schauspielerinnen, Ballettmädchen und anderen Vorstadtschönen größter Beliebtheit erfreuen. Julius ist zur Stelle, um mit einem großzügigen Darlehen aus seiner Privatschatulle auszuhelfen.
Schuster ist auch Berater der Fürstin Metternich
Er muss in seinen Dienstjahren im Bankhaus Rothschild tatsächlich ein Vermögen verdient haben, übergibt er Anna Sacher doch in den folgenden beiden Jahren mehrere Schuldscheine in Höhe von insgesamt 670 000 Kronen*. Viel Geld für einen Mann, der in seinem ganzen Erwerbsleben immer angestellt gewesen ist – abgesehen davon, dass er eine Zeit lang auch Berater der Fürstin Pauline Metternich war, die es als Enkelin des legendären Staatskanzlers und durch ihren alljährlich stattfindenden Blumenkorso im Prater zu großer Popularität brachte.
Beliebter Rendezvousplatz adeliger Herren mit jungen Schauspielerinnen, Ballettmädchen und anderen Vorstadtschönen: das Sacher-Separee
Nachruf auf Julius Schuster in der »Neuen Freien Presse«
Auf die Spur zu den Darlehen, die Julius Schuster seiner früheren Geliebten überließ, kam Monika Czernin, als ihr der Verlassenschaftsakt nach Julius Schuster in die Hände fiel. Dem auch zu entnehmen ist, dass im Sacher wertvolle Möbel und Bilder aus Schusters Besitz aufbewahrt wurden.
In der »Neuen Freien Presse« vom 27. Juli 1916 findet sich ein kurzer Nachruf auf »Herrn Dr. Julius Schuster, Zentraldirektor i. P. des Barons Nathaniel Rothschild und Berater der Fürstin Pauline Metternich, der im Alter von 75 Jahren verstorben ist«.
Das Darlehen wird nie zurückgezahlt
Anna Sacher hat mit ihm ihren engsten Freund und Berater verloren. Und wenn man den Worten ihrer Cousine Carla Sacher Glauben schenkt, ist sie an seinem Tod verzweifelt, hat sich danach statt ums Hotel nur noch um Pferdewetten gekümmert.
Die fast 700 000 Kronen, die Julius Schuster seiner Freundin geliehen hatte, dürfte sie nie retourniert haben, sie wäre auch gar nicht in der Lage dazu gewesen. In ihrem letzten Lebensjahr war Anna Sacher zahlungsunfähig, am 25. Februar 1930 ist sie siebzigjährig im Hotel Sacher gestorben.
*Richtig ist, dass Julius Schuster bereits während des Ersten Weltkrieges, am 25. Juli 1916, starb.
*Siehe Stammbaum Seite 164.
**Heute Šilheřovice in der Tschechischen Republik.
*Entspricht laut »Statistik Austria« im Jahr 2017 einem Betrag von rund 3,8 Millionen Euro.
Das Tagebuch des Adjutanten Vertrauliches aus Kaiser Franz Josephs letztem Lebensjahr
Heute den Dienst als Flügeladjutant angetreten. Seine Majestät gnädig wie immer, reichte mir, als ich das erste Mal Sein Arbeitszimmer betrat, die Hand und begrüßte mich mit den Worten: ›Freue mich sehr, dass Sie wieder bei Mir sind.‹* Diese Begrüßung ist mehr wert als ein hoher Orden.«
Franz Joseph, 1830–1916, Kaiser von Österreich, König von Ungarn
Mit dieser Eintragung vom 26. Mai 1915 beginnen die Tagebuchaufzeichnungen des k. u. k. Oberstleutnants Adalbert von Spanyi, der dem alten Kaiser von nun an eineinhalb Jahre lang näher war als irgendjemand anderer. Der Offizier stand praktisch Tag und Nacht in Franz Josephs Diensten, hörte sich dessen Sorgen an, verfolgte mit ihm das Kriegsgeschehen, war Zeuge seiner Einsamkeit und erlebte den gesundheitlichen Verfall des Monarchen. Und schließlich auch seinen Tod.
Franz Joseph stand in seinem 85. Lebensjahr und war von erstaunlicher Frische, als Spanyi seinen Dienst antrat. »Seine Majestät«, notiert der Adjutant gleich am ersten Tag, »sieht geradezu blühend aus, viel besser als im vergangenen Jahr, als ich ihn gelegentlich meiner Audienz sah«.
Adalbert von Spanyi, 1858–1930, österreichisch-ungarischer Offizier
Der Kaiser durchlebt einen aufreibenden Alltag: »Früh ½ 4 Uhr steht Seine Majestät auf, um ½ 5 beginnt die Arbeit …« Gegen acht Uhr lässt Franz Joseph mit einem Glockenzeichen den im Nebenzimmer wartenden und zu seiner persönlichen Dienstleistung zur Verfügung stehenden Offizier zu sich kommen, um mit ihm die Planung des Tages durchzugehen. Bis Mittag empfängt der Kaiser Regierungsmitglieder, Militärs und andere Gäste, meist acht bis zehn Personen. »Von 8 Uhr früh bis 1 Uhr 15 waren fast ununterbrochen Empfänge. Ist zum Staunen, dass Seine Majestät diesen Anstrengungen in seinem Alter gewachsen ist … Mit kurzer Pause um ½ 12 Uhr, um welche Zeit Seine Majestät ein kleines Frühstück nehmen – nur Schinken und Tee, sonst nichts. Um 5 Uhr ist Diner, Seine Majestät fast immer allein – alle Mahlzeiten werden auf seinem Schreibtisch serviert – es geht alles sehr rasch: Frühstück 10–12 Minuten, Diner höchstens 25 Minuten.« Nach dem Diner geht der Flügeladjutant ins Billardzimmer und wartet, bis Seine Majestät aus dem Schreibzimmer heraustritt und mit den Worten »Danke sehr, brauche heute nichts mehr, Gute Nacht wünsch ich« den Adjutanten entlässt. Oberstleutnant Spanyi staunt immer wieder nach einem langen Arbeitstag: »Dabei ist Seine Majestät nicht im geringsten müde … Um 8 Uhr geht Seine Majestät zur Ruhe.«
»Um 8 Uhr geht Seine Majestät zur Ruhe«
Dass sich die Monarchie in einem blutigen Krieg befindet, ist im Schloss des Kaisers vorerst kaum spürbar. »Im lieben Schönbrunn ist alles wie es war, still und traumverloren, dieselben Menschen, dieselbe Tageseinteilung«, notiert Spanyi. Noch ist alles voll Optimismus: »Auf den Kriegsschauplätzen steht es sehr gut, Seine Majestät dementsprechend in bester Stimmung«, so die Tagebucheintragung vom 26. August 1915. Auch zu Weihnachten ist »Seine Majestät frisch und in guter Stimmung – hoffentlich bringt das neue Jahr Sieg und Frieden.«
Eine Kopie des 45 Seiten umfassenden Tagebuchs
Es war im Herbst 2016, als mich Adalbert von Spanyis Enkel Georg Graf Walterskirchen anrief und mir mitteilte, dass er im Besitz des noch nie veröffentlichten Tagebuchs seines Großvaters sei. Und Walterskirchen fragte mich, ob ich Interesse hätte, Auszüge aus der Niederschrift des letzten Flügeladjutanten Kaiser Franz Josephs abzudrucken.
Die Frage musste er mir nicht zweimal stellen, und so trafen wir uns in seinem niederösterreichischen Schloss Walkersdorf, wo er mir eine Kopie des 45 Seiten umfassenden Tagebuchs übergab, das sich als wahrhaftiges Fundstück erweisen sollte. Das Tagebuch wurde zwischen 26. Mai 1915 und 21. November 1916 von seinem Großvater mütterlicherseits verfasst und später