Elfenzeit 5: Trugwandel. Uschi Zietsch

Elfenzeit 5: Trugwandel - Uschi Zietsch


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weiter zu verfolgen. Der Aurenseher war viel zu schwach, um sich darüber zu beschweren, er musste von zwei Helfern hinausgeschleift werden. So schnell war er nicht wieder zu gebrauchen.

      Das Hündchen hatte die Tür geöffnet und war dann zielstrebig zum Portal gegangen … und hindurch.

      Verblüfft trat der Getreue ein Stück auf den Weg zwischen den Welten, und tatsächlich, da waren die Fußspuren, und das letzte geflüsterte Wort des Mannes hing noch in der Sphäre: Cagliostro. Der Getreue konnte es deutlich wahrnehmen, wenngleich die dafür benötigte gestohlene Energie rasch erlosch.

      Zuerst zornerfüllt, lachte der Getreue plötzlich. »Arme Menschen!«, rief er aus. »Ich möchte nicht an eurer Stelle sein, wenn dieser wahnsinnige Untote euch heimsucht!« Das war tatsächlich überraschend: Ein echter menschlicher Zauberer, und untot dazu! So etwas war zum letzten Mal vor … mindestens fünfzehnhundert Jahren vorgekommen. Vielleicht war es geschehen, während der Getreue den Stab gesetzt und der magische Schock alle Welten erschüttert hatte. Jedenfalls war Cagliostro frei, und wie es aussah, hatte er die Menschenwelt unbeschadet erreicht und sich umgehend aus dem Staub gemacht. Nun gut, sollte er sein Unwesen treiben, auf die eine oder andere Weise könnte er sich später noch als nützlich erweisen. Bis dahin sollte er seinen Spaß haben.

      Nach weiteren intensiven Bemühungen fand der Getreue heraus, dass die Königin sich hierher zurückzogen hatte, nachdem sie zuletzt Cagliostros Seele getrunken hatte, und dann geschah alles gleichzeitig. Das einzelne Geschehnis war kaum zu erkennen, genau wie der Aurenseher das erste Mal berichtet hatte. Sie hatte das Portal geöffnet … aber warum hatte sie dann nicht auf ihn gewartet? Warum war sie gegangen? Oder war es ihre Absicht gewesen? Aber weshalb sollte sie sich vor ihrem Vertrauten und Liebhaber verbergen wollen, der ihr den Weg zur Macht bereitete und ihr treu ergeben war? Er verstand es einfach nicht. Doch jetzt war es gewiss: Er hatte keine Möglichkeit, sie zu finden. Er hätte sich all die Wege durch die Menschenwelt sparen können, sie war durch das Portal gegangen, aber nie auf der anderen Seite angekommen.

      Verdammt! Der Getreue schlug gegen die Wand, riss ein Loch hinein, dann stürmte er durch das Schlafgemach auf den Gang hinaus, bog gleich bei der ersten Möglichkeit nach rechts ab und rannte die Treppe hinunter, die zum Verlies führte.

      Diese Treppe ging mitten durch die Felsen, die Basis des Schlosses. Gebildet aus Elfen, die sich selbst aufgegeben hatten und versteinert waren, denn das Schattenland bot keine natürlichen Felsen. Das Stöhnen und Seufzen rings um ihn beruhigte den aufgebrachten Getreuen etwas. Diese Versteinerten hatten nichts anderes verdient, es war genau das, was tief in ihnen verborgen lag. Statt zu jammern sollten sie vielmehr dankbar sein, dass sie das Fundament für dieses einzigartige Bauwerk bilden durften, das die Dunkle Königin aus dem Nichts erschaffen hatte. Auch die Versteinerten waren nicht mehr dem erbarmungslosen Licht, den schwarzen Wolken und dem Spiegelboden ausgesetzt. Sie konnten sich ungestört ihrem Leid hingeben, in dem sie sich so gern suhlten. Freie Wahl.

      Das Gestein war porös, schrundig und kantig. Ab und zu konnte man das Abbild des ursprünglichen Geschöpfes darin erkennen, wie es anklagend herausblickte. Es wurde immer dunkler, je tiefer der Getreue hinabstieg, die steinerne Treppe wand sich in engen Biegungen. Schließlich erreichte er den Kerker durch einen von Fackeln erhellten Gang, der feucht und muffig roch. Knorrige, verkrümmte, verstümmelte Hände, Pfoten und Tentakel streckten sich durch die Gitter, als er an den Verliesen vorbeiging, Gefangene flehten um Vergebung und Befreiung. Doch der Mann ohne Schatten suchte ein bestimmtes Ziel, am Ende des Gangs, in einer Ausbuchtung, ohne Gitter.

      Dort hing in eisenverstärkten Ketten, alle vier Gliedmaßen gespannt, Alebin.

      Der Kopf des Elfen hing nach unten, die verklebten, strähnigen Haare hingen wie ein Vorhang vor dem Gesicht. Der halbnackte Körper war zerschunden von Peitschen, Stockhieben, Brandwunden und Messerstichen. Er atmete kaum. Doch als er den Getreuen nahen fühlte, hob Alebin langsam den Kopf, die Haare fielen zur Seite und gaben den Blick auf sein eingefallenes Gesicht frei. Schorf, noch nicht ganz verheilte Blutergüsse und Schnittwunden hatten Alebin gezeichnet, doch in seine hellen Augen kehrte augenblicklich das Leben zurück.

      »Du brennst«, stellte er schadenfroh fest. »Machst es wohl nicht mehr lange.«

      »Lange genug, um dir ausdauernde Pein zu bereiten«, knurrte der Getreue und schlug mit der Faust zu.

      Die ohnehin geschwollene Oberlippe platzte auf, Blut floss aus der frischen Wunde, und Alebin spuckte einen der letzten Zähne aus, die ihm noch verblieben waren.

      »Oh, sind wir heute etwa schlecht gelaunt?«

      Eines musste man diesem Mann lassen: Er hatte Mumm. Kein einziges Mal hatte er darum gebettelt, dass die Folter enden sollte. Gewiss erholte er sich jedes Mal wieder. Das Tabu verhinderte, dass er starb. Er gesundete, egal was der Getreue ihm antat. Damit bot er sozusagen endlose Möglichkeiten, immer neue Variationen des Schmerzes an ihm auszuprobieren.

      Doch heute war der Getreue nicht zu Experimenten aufgelegt, er wollte einfach nur jemandem Qualen zufügen, um seine Wut und Frustration abzureagieren. Er griff zur Peitsche und schlug damit auf Alebin ein, bis dessen Körper nur noch ein blutiger Klumpen Fleisch war. Der Elf brüllte seinen Schmerz hinaus, aber er flehte nach wie vor nicht um Gnade. Hass und Bosheit in ihm waren stärker als alles andere, unüberwindlich. Er konnte nicht gebrochen werden, niemals.

      Irgendwann, als der Getreue sich etwas beruhigt hatte, bewegte er die Lippen und stieß durch platzende Blutbläschen hervor: »Sag mal, was hast du eigentlich gegen mich? Das nimmt ja nie ein Ende!«

      »Du hast Rhiannon getötet und damit einen Königsmord begangen«, grollte der Getreue. »Du hast meine Befehle missachtet und Hochverrat an der Königin verübt. Und nicht nur an ihr, du hast dein ganzes Volk verraten …«

      »Das ist alles?«, tat Alebin erstaunt. »Ich meine, ich wusste ja schon immer, was für ein sadistischer Miesepeter du bist, aber dass du deswegen einen Dauerausraster kriegst, ist schon ein wenig übertrieben, findest du nicht?« Sein Kopf ruckte zur Seite, als der Getreue ihm den zweiten Fausthieb versetzte – mit gebremster Kraft, sonst hätte er ihm das Genick wie einen trockenen Zweig gebrochen.

      »Es ist schlimmer als alles«, zischte der Getreue.

      »Das glaube ich nicht. Du bist doch sonst immer recht kontrolliert, und wenn es dich nach körperlicher Verausgabung gelüstet, hast du ganz andere, viel bessere Möglichkeiten, dich zu entfalten … oh, aber warte mal, da wir beim Thema sind – da fällt mir was ein, was ich ja noch getan habe: Ich habe Nadja Oreso gevögelt. Und wie ich das getan habe!« Er schrie gleichzeitig lachend auf, als der Schlag diesmal von der anderen Seite kam und ihm die Nase zum wiederholten Mal brach. Sein magerer Körper wurde von Gelächter geschüttelt, als er sah, dass er den Getreuen außer Fassung gebracht hatte.

      »Darum geht es hier doch wirklich, oder? Ja, Leidenschaft, die einzig wahre Herrscherin, die stets im Verborgenen lauert, sie ist allen Lebewesen zueigen, ohne Ausnahme«, kicherte der Geschundene. »Wir alle sind ihr unterworfen und ausgeliefert, selbst du. Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Mich hat das Mischblut rangelassen – nicht dich!«

      Der Getreue hielt inne, die Faust erhoben. »Was?«

      »Mann, wirklich jeder weiß, was du von ihr willst! Aber du wirst es nie kriegen … doch tröste dich, du kannst noch in den Genuss aus zweiter Hand kommen. Soll ich es dir erzählen? Oder warte, ich kann dir helfen, wie du bei ihr landen kannst. Ich weiß genau, was sie will …«

      Der Hieb saß diesmal mitten im Gesicht und brachte Alebin für eine Weile zum Verstummen. Der Getreue wischte das Blut vom Handschuh ab, säuberte die Peitsche und hängte sie ordentlich auf. Er hatte sich wieder in der Gewalt. In Alebin war fast kein Leben mehr, der Boden schwamm in Blut. Warum verlangte er auch immer wieder danach, forderte es heraus …

      »Du wirst ihr nie mehr nahekommen«, sagte er ruhig. »Genieße die Erinnerung und sei dir bewusst, dass sie auf deinen Leichnam spucken wird.« Er wandte sich scheinbar zum Gehen, hielt jedoch in der halben Drehung inne. »Ach, und eines sollst du erfahren: Nicht dein Samen ist auf fruchtbaren Boden gefallen.«

      Alebin


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