Taugenixen. Isabel Rohner

Taugenixen - Isabel Rohner


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war auch die perfektionistische Dame an der Rezeption irritiert. »Auf meiner Liste hier steht aber nur eines.«

      »Das ist mir wurst. Ich habe zwei reserviert. Zwei Zimmer, beide mit einem breiten Bett für ausgewachsene Frauen«, beharrte Bettina.

      Petra Knaus schien für den Bruchteil einer Sekunde die Fassung zu verlieren. Wieder lachte sie perlend, doch nun mit einem scheppernden Unterton. »Das tut mir leid. Das kann dann wohl nur ein Fehler in unserer Computersoftware sein.« Nervös pochte sie mit ihrem Kuli auf den Tresen. »Aber wir haben leider nur noch dieses eine Zimmer frei.«

      »Und was ist mit den beiden Männern, die gerade abgereist sind?«, fragte Linn.

      »Zimmer zweiundzwanzig wird heute noch frisch gestrichen.«

      »Was haben die beiden Jungs denn mit dem Zimmer gemacht?«, raunte Bettina.

      Pe ging auf die Bemerkung nicht ein. »Wir nutzen die Vorsaison, um frisch zu renovieren. Darum sind im Moment nur vier Zimmer für Gäste frei. Drei auf der ersten Etage und eins auf der zweiten.«

      »Vier von zweiundzwanzig?«, fragte Bettina ungläubig.

      Pe lächelte verlegen. »Nein, nein. Vier von acht. Es macht sich nur besser, wenn die Nummern höher sind. Dann haben die Gäste das Gefühl, das Hostal wäre größer.«

      »Clever. Hängen Sie doch noch eine Eins vorne dran, dann sind Sie knapp hinter Club Robinson«, schlug Linn vor.

      Die Besitzerin des Hostals überhörte den Sarkasmus und zuckte mit den Schultern. »Ich hoffe, es bereitet Ihnen nicht zu große Unannehmlichkeiten. Es ist mir wirklich sehr unangenehm, aber wir haben tatsächlich nur noch das eine Zimmer.«

      Die beiden musterten sich misstrauisch.

      »Na super«, grummelte Bettina schließlich. »Ich hoffe, du schnarchst nicht.«

      Linn rollte erneut mit den Augen. »Du hast wohl was gegen Duette.« An die Hotelbesitzerin gewandt, übersetzte sie: »Das heißt wohl soviel wie: Wir nehmen es.« Dann raunte sie Bettina zu: »Das hast du jetzt von deinem Klein-und-schnuckelig!«

      »Da bin ich aber erleichtert«, strahlte die Perfektion an der Rezeption ihr vollendetes Perlweiß-Lächeln und fuhr in ihrem Begrüßungstext fort: »Dann wünsche ich Ihnen einen traumhaft erholsamen Aufenthalt bei uns! Frühstück gibt es von sieben bis zehn im Bistro oder auf der Terrasse. Abendessen ab neunzehn Uhr, wenn Sie möchten, auch vegan. Das müssten Sie nur vorher anmelden. Das Bistro ist in der ganzen Region bekannt und immer gut besucht.«

      »Vegan? So tief werde ich nie sinken«, murmelte Bettina. »Höchstens mit Schinken oben drauf und mit Käse überbacken!«

      »Oh, unsere Daphne ist eine fantastische Köchin, Sie werden schon sehen! Zum Meer gelangen Sie, wenn Sie dem Klippenpfad weiter folgen bis zum höchsten Punkt. Das ist der Acantilado, die große Klippe. Von dort geht eine Steintreppe bis runter in die Bucht von Las Olvidadas.«

      »Olvidadas«, wiederholte Bettina versonnen. »Kommt sicher von Oliven.«

      »Ha«, lachte Linn laut auf. »Und Cerveza von Cervelat!«

      »Nein, nein«, lachte die Perfekte. »Olvidadas sind die Vergessenen. So nennt man in dieser Gegend die Wasserwesen.«

      »Wasserwesen? Sie meinen Wasserfrauen, oder?«, fragte Linn nach. »Olvidadas ist doch weiblich.«

      Pes Augen leuchteten dunkel. »Wissen Sie, hier im Norden von Spanien sind die Menschen abergläubisch. Sie glauben noch an Gespenster und so. Eine alte Sage in dieser Gegend erzählt, dass vor Jahrhunderten das Dorf in der Bucht nebenan von Piraten überfallen wurde. Die Männer wurden niedergemetzelt, die Frauen sollten verkauft werden. Dreizehn konnten entkommen, doch sie wurden verfolgt und auf diese Klippe getrieben. Am Ende hatten sie nur noch die Wahl zwischen Sklaventum und Tod. Fast so wie auf Sylt, da gibt es eine ähnliche Sage, nur ohne Nixen: Lever duad üs Slaav! sagt man dort.« Sie beugte sich vor, als sie fortfuhr: »Die Treppen zur Bucht existierten damals noch nicht. Darum haben sich die Frauen von der Klippe gestürzt und sind auf den Felsen aufgeschlagen oder im Meer ertrunken. Die Piraten haben aus Wut das Dorf angezündet und sind mit allen Wertsachen und den übrigen Frauen abgezogen. Doch dreizehn Tage später sind die Frauen aus dem Meer zurückgekehrt. Als Nixen. Oder eher: als Untote. Und dann haben sie sich an ihren Verfolgern gerächt. Furchtbar gerächt! Niemand hat überlebt.« Die Perfekte machte eine kurze Pause und atmete tief durch. Dann lachte sie schrill auf: »Aber das sind nur Märchen, keine Sorge!«

      »Erzählst du schon wieder deine Schauergeschichte«, ein Schrank von Mann war plötzlich aus dem Hinterzimmer gekommen und stand nun ebenfalls hinter dem Tresen. Seine Haare waren raspelkurz, in seinem Stiernacken rollten sich zwei Speckfalten. »Mach unseren Gästen doch keine Angst. Es gibt hier keine Horror-Nixen.«

      »Und wenn, würde mich das nicht stören«, meinte Bettina trocken. »Solange sie nur Männer umbringen.«

      »Auch wieder wahr«, sagte der Mann und grinste breit.

      »Und die Sage hat auch etwas Gutes«, ergänzte Pe. »Jeden Dreizehnten im Monat feiern die Frauen hier abends Feste, fast in jeder Bucht. Melusinenfest nennen sie es hier in der Gegend. Vielleicht wollen Sie da morgen mal vorbeischauen? Der Wetterbericht ist allerdings ziemlich schlecht.«

      »O ja, tut das. Da kriegt ihr dann auch mit, wie schöne Sagen verhunzt werden können. Diese Feste haben eher was von Mondanbeten, ziemlich abgefahren. Aber schaut es euch selber an. Ich bin übrigens Georg Baumann. Ihr könnt Schorse zu mir sagen. Ich helfe meiner Pe bei dem Hostalchen. Klein, aber fein. Und wir sind sehr stolz darauf, dass es vor allem in der gleichgeschlechtlichen Community beliebt ist. Schön, dass ihr da seid!«

      »Linn Kegel und Bettina Heidenreich«, erwiderte Linn. »Du kannst Linn Kegel und Bettina Heidenreich zu uns sagen. Und nein, wir sind kein Paar.«

      Bettina kicherte und hauchte mit flirtigem Ton und gespieltem Augenaufschlag: »Mal schauen, was noch passiert. Tag, Schorse!«

      Linn fuhr fort: »Wir lassen uns das Melusinenfest mal durch den Kopf gehen. Abgefahren klingt gar nicht so schlecht. Aber ich glaube, wir packen erst mal aus.«

      »Tut das«, antwortete Schorse. »Kommt erst mal an.«

      »Gute Idee«, erwiderte Bettina. »Ich habe noch so einiges vor.«

      »Na, dann mal viel Spaß dabei«, sagte Schorse und zwinkerte Bettina zu.

      Und Pe Knaus ergänzte: »Hier ist Ihr Schlüssel. Einen guten Aufenthalt in unserem kleinen Paradies!«

      Zimmerchenbezug

      Zimmer zwölf im ersten Stock des Hostals war winzig. Es bestand vornehmlich aus einem französischen Doppelbett mit zwei Nachttischchen und einem Schrank. Das alles stand so dicht gedrängt im Raum, dass vom Fußboden kaum mehr etwas zu sehen war. Und auch auf den kleinen Balkon mit Blick auf die Bucht passten gerade mal zwei Klappstühle.

      »Ein Kasten Bier ginge hier nicht mehr rein. Hab ich ein Glück, dass ich eh abnehmen wollte«, grummelte Bettina und wuchtete ihr Gepäck aufs Bett.

      »Huere Siech«, brummte Linn auf Schweizerdeutsch. »Ich hoffe, du tust es schnell. Dieses Bett ist ja eher symbolisch. Sowas ist für mich allein schon zu eng.«

      »Das sind diese verfluchten mediterranen Betten für kleine Menschen – so kurz wie schmal. Nicht für hoch und breit gewachsene Alemanninnen und Germaninnen. Dat wird ’n Spaß. Na wenigstens einen Obstkorb haben sie uns hingestellt.«

      »Wie bist du noch mal auf dieses Hostal gekommen? Im Zwergen-Katalog?« Linn zog ihre Strandsachen aus der Reisetasche und schmiss die Tasche danach unausgepackt in den Schrank. Sie wollte so schnell wie möglich schwimmen gehen.

      »Quatsch. Das hat mir Aziz empfohlen.«

      »Aziz? Aziz Mnembebo?« Linn erinnerte sich nur zu gut an das senegalesische Männer-Model, vor allem an den Vormittag im Ausländeramt, als sie tatsächlich für einige Augenblicke


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