Waidmannsruh. Alexandra Bleyer
sie Valentin als Ausrede vorgeschoben – kommen und gehen ließ, wie es ihr beliebte, was sie schamlos ausgenutzt hatte.
Wenn er da an seine Mutter dachte, die wie der Vater jeden Tag von früh bis spät im Geschäft gestanden war … Sie hatte auch Walter noch fleißig unterstützt, dann aber großmütig Manuela – »der jungen Chefin« – Platz gemacht, um den bereits aufflammenden Revierkämpfen mit der Schwiegertochter zuvorzukommen. Jetzt wünschte sich Walter fast, er hätte Manuela rausgekickt und seine Mutter als Arbeitskraft erhalten.
»Ist sie krank?«
Walter schnaubte verächtlich. »Sie leidet wohl an Faulitis.«
Kathi kicherte und wurde rot. »Na ja, du hast immer noch mich.«
Walter lächelte. »Mein Glück. Was täte ich nur ohne dich?«
9
Keine Woche war es her, seit Martin mit Kerstin dem mutmaßlichen Dieb im Mallnitzer Café hinterhergejagt war. Leider hatten sie nichts feststellen können; keine Spur von einem Diebstahl, kein Gast hatte Wertgegenstände vermisst. Ob es sich am letzten Donnerstag um einen Fehlalarm seitens der Kellnerin gehandelt oder das frühzeitige Eintreffen der Exekutive den Täter verjagt hatte, konnte er nicht sagen. Als positiv bewerteten sie auf der Dienststelle, dass die Bevölkerung wachsam war und die Kellnerin, als ihr Ungewöhnliches aufgefallen war, sofort angerufen hatte.
Angerufen hatte am heutigen Mittwoch auch Ilse Wernberger, die Eigentümerin der neuen Mallnitzer Luxuschalets. Und diesmal bestand kein Zweifel, dass der Seriendieb zugeschlagen hatte.
»Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen? Jemand, der nicht hierhergehört und der in der Tatzeit herumgeschlichen ist? Oder ein fremdes Fahrzeug?«, fragte Martin.
»Nein, nichts. Es ist Wintersaison, da sind viele Touristen unterwegs und Autos mit auswärtigen Kennzeichen.«
Ilse Wernberger klang frustriert, was er gut nachvollziehen konnte. Sie standen vor der Terrassentür einer der Luxushütten, die so gar nichts mit den schlichten Almhütten gemein hatten, die Martin aus seiner Kindheit vertraut waren: ohne Strom, WC und fließendes Wasser. Die Chalets hingegen waren aus hellem Holz errichtet, verfügten über jeden denkbaren Komfort bis hin zum WLAN und wirkten mit den großen Glasflächen einladend. Letzteres leider eben auch auf den Dieb.
Sandra Beilhammer hockte vor der Terrassentür und machte wortlos und konzentriert Fotos. Intern liefen bereits Wetten, wie lange sie in Obervellach bleiben würde: Mit ihren Überfliegernoten und ihrem Ehrgeiz würde sie wohl nicht lange auf dem kleinen Vorposten im Mölltal ausharren, sondern schnell in der großen weiten Welt Karriere machen. Noch aber musste sie sich mit einem billigen Einschleichdieb abplagen.
»Die Gäste hatten die Terrassentür zum Lüften gekippt?«, fragte sie über ihre Schulter zurück.
Es waren keine Spuren von Gewaltanwendung zu erkennen.
»Ja. Aber sie waren doch im Haus. In der Sauna! Und währenddessen brach jemand ein und raubte sie aus? Das ist doch nicht zu fassen!«
Leider konnte Martin die Opfer nicht selbst befragen; das Ehepaar – ein großstädtischer Herr Doktor mit seiner weit jüngeren dritten Ehefrau, wie Wernberger zu berichten wusste – ließ sich entschuldigen: Sie waren zum Skifahren hier und hatten Privatstunden gebucht, die sie nicht versäumen wollten, zumal es herrlichen Neuschnee gab. Immerhin konnten sie die Tatzeit einschränken. Nach dem Saunagang um zweiundzwanzig Uhr fünfzehn hatte der Doktor, wie er Wernberger geschildert hatte, die offen stehende Tür bemerkt und geschlossen. Dass sie einem dreisten Diebstahl zum Opfer gefallen waren, hatte er aber erst heute Morgen festgestellt.
Dann gingen sie weiter zum übernächsten Chalet. Drei Frauen mittleren Alters standen auf der Terrasse und erwarteten sie; zwei davon rauchten, die dritte zeigte sich trotz Kälte solidarisch.
»Wir haben nichts gehört, obwohl ich einen leichten Schlaf habe«, erklärte die Nichtraucherin aufgeregt. »Als wir aufstanden, bemerkten wir das offene Fenster in der Küche. Nicht nur unser Geld war weg, auch mein Laptop! Den brauche ich beruflich.«
»War das Fenster gekippt?«, fragte Sandra; das war für einen geübten Einbrecher gleichbedeutend mit weit offen. In ihrem Ton schwang der Vorwurf mit.
»Keine Ahnung. Vielleicht? Ich weiß es nicht.«
Auch die drei Damen konnten keine Informationen liefern, die sie weitergebracht hätten.
»So haben wir uns unseren Winterurlaub nicht vorgestellt!«
Wernberger entschuldigte sich wortreich für die Unannehmlichkeiten und bot ihnen als kleine Entschädigung einen Preisnachlass an.
»Wenigstens hatten wir Spaß beim Skifahren«, ergab sich die Dritte im Bunde in ihr Schicksal. »Den Einkehrschwung beherrschen wir jetzt perfekt! Danke für den Tipp mit der Skischule. Herr Kogler hat uns den perfekten Skilehrer zugeteilt, das war echt ein lustiger Typ.« Sie warf ihren Zigarettenstummel im weiten Bogen in den Schnee.
Wernberger verzog missbilligend den Mund, sagte aber nichts.
Sandra begleitete die Eigentümerin zurück zu ihrem Büro, um mit ihr kriminalpräventive Maßnahmen zu besprechen. Martin blieb zurück, um eine Runde durch die Anlage zu drehen. Die Wege, die die einzelnen Chalets und das an der Straße liegende Hauptgebäude verbanden, waren gut geräumt und gesalzen. Er prüfte mögliche Zugänge und musterte die Schneedecke, die sich die Chaletgruppe umgebend zu den Grundstücksgrenzen hin erstreckte. In der Nacht hatte es zwar geschneit; aber wenn der Täter querfeldein gestapft wäre, müsste man dennoch vage Spuren erkennen. Das war aber nicht der Fall. Mit größter Wahrscheinlichkeit hatte der Dieb die regulären Wege benutzt und war über den Haupteingang gekommen; dabei hatte er das Risiko in Kauf genommen, anderen zu begegnen. Gegen zweiundzwanzig Uhr hätten durchaus Gäste unterwegs sein können. Martin wollte das bestohlene Ehepaar sowie die weiteren Gäste der Chalets am späten Nachmittag, wenn die meisten von ihnen den Skitag beendet haben dürften, befragen. Vielleicht hatten sie Glück, und jemand hatte etwas gesehen, das ihren Ermittlungen auf die Sprünge half.
10
Der Tag fing ja gut an! Über Nacht hatte es einen ordentlichen Hogger hergeschneit. Sepp entschied, den obligaten Morgenspaziergang ausfallen zu lassen, und begnügte sich damit, Akko die Haustür zu öffnen. Ein paar Minuten später trottete er wieder herein: mehr weiß als braun, sodass Sepp mit einem alten Handtuch anrücken musste. Halbwegs trocken verkroch sich Akko auf seine Wolldecke unter dem Tisch; am liebsten hätte Sepp es ihm gleichgetan.
Beim Frühstück trödelte er mehr als sonst, obwohl die Zeitung noch im Briefkasten an der Straße wartete. Er fühlte schon jetzt Schwielen an seinen Händen wachsen; auch im Rücken stach es prophylaktisch. Das dröhnende Kreischen von Nebenan schien ihn zu verspotten.
Erst als der Lärm vom Nachbarsgrundstück verstummt war, raffte Sepp sich widerwillig auf. Es half alles nichts. Da musste er durch, wenn er nicht wie ein grummeliger Braunbär Winterschlaf halten und auf das Tauwetter im Frühjahr warten wollte.
Auf einen Pullover unter der Winterjacke verzichtete er wohlweislich; ihm würde gleich ordentlich warm werden. Er streifte die Arbeitshandschuhe über und trat vor das Haus. Das kleine Vordach über der Tür hatte die Schwelle halbwegs schneefrei gehalten. Dahinter sah es aus wie in der Antarktis. Der Neuschnee war mindestens zehn, fünfzehn Zentimeter hoch, eher mehr. Eine Knochenarbeit lag vor ihm, und er verfluchte stumm jeden Meter seiner viel zu langen Auffahrt.
»Morgen, Sepp!«
Nebenan latschte Belten seine geräumte Auffahrt rauf und wieder zurück; er winkte Sepp fröhlich zu. Die leuchtend rote Schneefräse stand gleich an seinem Haus und schien Sepp ebenso auszulachen wie ihr stolzer Besitzer.
Missmutig griff Sepp nach der Schneeschaufel, die an der Hauswand lehnte, und fing an. Schon beim ersten Hub ächzte er. Beim zweiten stieß er einen Fluch aus. Der Schnee hatte beim Blick aus dem Fenster zwar pulvrig gewirkt, erwies sich jedoch als verdammt patzig und schwer. Und seine Auffahrt erschien ihm doppelt so