Kieler Bagaluten. Henning Schöttke
Cornelia Leymann, geboren 1951 in Hannover, hat dort erst Pädagogik und dann Verkehrsingenieurwesen studiert und ist nach einigen Umwegen in Kiel hängen geblieben, wo sie als EDV-Spezi in Kieler Großbetrieben arbeitete. Heute widmet sie sich neben ihrer großen Liebe Bridge nur noch dem Schreiben und Malen.
1952 geboren, studierte Henning Schöttke zunächst Mathematik und Musik auf Lehramt. Seit 1978 ist er freiberuflicher Comiczeichner, hat zahlreiche Comicserien veröffentlicht und über hundert Schulbücher illustriert. Seit 2001 schreibt er Romane und Kurzgeschichten. Er unterrichtet Kreatives Schreiben und ist Kulturvermittler des Landes Schleswig-Holstein.
Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.
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© 2020 Emons Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagmotiv: Angelo Mazzoleni/Pixabay.com
Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer
Umsetzung: Tobias Doetsch
Lektorat: Marit Obsen
eBook-Erstellung: CPI books GmbH, Leck
ISBN 978-3-96041-688-3
Küsten Krimi
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Der Mann gräbt
1
Mit traumhaft schönem Wetter können wir Schleswig-Holsteiner in aller Regel nicht punkten. Bestimmt kennst du den Spruch: Der Sommer fällt bei uns meist auf einen Dienstag. Das ist natürlich maßlos übertrieben, denn oft ist der nachfolgende Mittwoch auch noch recht schön, und viele behaupten sogar, dass sie am Montag davor schon die Strickjacke über dem Norwegerpullover weggelassen hätten. Wenn sich dann allerdings der Sommer noch bis zum Wochenende hinzieht, murmeln manche schon was von Klimakatastrophe. Wie im letzten Sommer, ein großartiger Sommer, und was machen wir? Schauen bedenklich gen Himmel und sagen unheilvoll: Oh, oh!
Jetzt ist Frühling, der Sommer also noch in weiter Ferne. Der Mann trägt seine Arbeitskluft, wie er das nennt. Ein schmutzig dunkles Grau von den derben Gummistiefeln bis hoch zur eng anliegenden Kapuze. So erkennt ihn niemand, sollte er gesehen werden. Und das ist gut so.
Er trägt Hacke und Schippe und ist beinahe unsichtbar, wie er da bei Nacht in seinem schwankenden Seemannsgang durch den dunklen Wald auf den Nordostseekanal zustapft, wo er zu graben beginnt. Gott, ja nun, was heißt Wald? Wir sprechen zwar schon von Wald, wenn mal fünf, sechs Bäume etwas dichter beieinanderstehen. In diesem Fall sollte ich aber vielleicht eher Gehölz sagen. Das gibt’s bei uns reichlich, sogenannte Knicks.
Die brauchen wir ganz unbedingt – wegen des Windes, den es bei uns auch reichlich gibt. Damit die Felder nicht auf Wanderschaft gehen. Du erinnerst dich möglicherweise noch an die Schlagzeilen, als sich einmal ein Feld auf der angrenzenden Autobahn häuslich niedergelassen hat. Der Bauer hatte den Knick weggehauen, um größere Schläge für seine Bewirtschaftungen zu bekommen.
Für die Jahreszeit ist der Mann perfekt gekleidet. So ein bisschen wie eine Zwiebel, mehrere Schichten übereinander (alle grau), von denen er jederzeit welche abwerfen kann, wenn er schwitzt. Und er schwitzt mächtig, was aber nichts mit dem Wetter zu tun hat. Im April in dunkler Nacht schwitzt in Schleswig-Holstein niemand wegen zu hoher Außentemperaturen. So wie er mit Hacke und Schippe zugange ist, müsste er hingegen gut zwei, drei Schichten ablegen. Doch er tut es nicht. Erstens weil er keine Zeit hat und zweitens aus Angst, er könnte sie nicht wiederfinden und womöglich ein verräterisches Teil liegen lassen.
Der Mann buddelt am Kanal, während das Wasser leise gegen die Basaltsteine der Uferbefestigung schwappt. Der Knick ist hier breit, wie geschaffen für etwas, das man verschwinden lassen will und das nicht gleich übermorgen wieder ausgebuddelt werden soll, sondern möglichst nie. Oder vielleicht erst nach siebzig Jahren, wie die Blindgänger, die überall versteckt sind. Kannst du drauf wetten: Bei jedem größeren Bauprojekt hängt eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg an der Baggerschaufel. Meist in Gaarden, wo flächendeckend bombardiert wurde, um die Werften plattzumachen.
Da, wo der Mann schaufelt, hat es keine Werften gegeben, und wenn sich doch eine Bombe dorthin verirrt haben sollte, ist es höchst unwahrscheinlich, dass sie im Rahmen einer Großbaustelle wieder zutage kommen könnte. Denn was sollte am Kanalufer schon gebaut werden?
Der Mann hält inne und sieht nach oben. Dunkel und drohend wölbt sich die Brücke dem Nachthimmel entgegen. Um diese Zeit fahren hier keine Autos mehr über den Kanal, die mit ihren Scheinwerferkegeln Licht ins Dunkel bringen könnten. Selbst auf dem Wasser bricht sich nur ab und an ein kleiner Lichtfleck auf der glatten Oberfläche. Es herrscht absolute Dunkelheit – und Stille. Totenstille.
Seine Hände tun weh von den Henkeln der schweren Plastiktüten, die ihm tief in die Finger geschnitten haben, als er seine Last portionsweise hierherschleppte. Zehn Stück insgesamt. Der Mann gräbt weiter. Schweiß läuft ihm in Strömen den Rücken runter. Er ächzt unter dem Gewicht, als er die Plastiktüten eine nach der anderen in die Grube wuchtet.
Leider hat er in der Eile auf die alten Aldi-Plastiktüten zurückgegriffen. Gute deutsche Wertarbeit mit einem Verfallsdatum von hundert Jahren. Mindestens. Schade eigentlich. Die neuen sind zwar teurer, wären aber nach bummelig fünf Jahren samt Inhalt verrottet. Wäre besser gewesen, denn der Mann muss sicher sein können. Das, was er vergräbt, darf nicht gefunden werden.
Niemals.
2
Nach der Grabungsaktion sehen seine Stiefel aus wie Sau. So geht es natürlich nicht. Mit dem Dreck an den Stiefeln kommen sie ihm gleich drauf. Weiß man ja aus Fernsehkrimis: Als Erstes werden die Schuhe konfisziert und der Wagen nach Spuren durchsucht. Der Kommissar hält dir die Pinzette mit einem Häufchen Schlamm unter die Nase, und schon sitzt du für den Rest des Lebens hinter Gittern.
»Rest des Lebens« ist natürlich übertrieben. Fünfzehn Jahre sind nicht die Welt. Aber doch irgendwie ärgerlich. Deshalb zieht der Mann die Stiefel aus und hüllt sie in Plastik, bevor er ins Auto steigt. Er zieht sie erst wieder an, als er wenig später einen reinigenden Strandspaziergang an der Kieler Förde macht. Zehn Minuten schlurft er mit den Stiefeln durch die träge schwappende Ostsee, bis er alle Spuren des lehmigen Bodens von den Stiefeln gewaschen hat.
Und was ist mit Hacke und Schippe?, fragst du jetzt vielleicht. Respekt! Falls du jemals eine Leiche zu vergraben hast, wirst du das sicher mit Bravour meistern. Der Mann scheint ebenfalls Profi zu sein. Hat an alles gedacht und auch die Gerätschaften mit Plastik umwickelt. Jetzt spült er den ganzen Kram mit hochwertigem Ostseewasser sauber.
Ich sage bewusst »hochwertig«. Selbst am Arschloch von Kiel, wie der Auslass der Kläranlage bei Bülk so treffend genannt wird, ist das Wasser ganz großartig. Das liegt zum einen natürlich an der Kläranlage, die ganze Arbeit leistet. Zum anderen aber auch daran, dass das Arschloch nicht mehr benutzt wird, weil das Wasser inzwischen unter Wasser in einem Rohr einen Kilometer weit hinaus in die Ostsee befördert wird.
Aber das ist dem Mann alles egal. Er lässt den Oberkörper wie ein Seemann von rechts nach links pendeln, während er durchs Wasser schlurft. Ein prüfender Blick auf Gummistiefel, Hacke und Schaufel: alles picobello. Dann ein Blick in die Runde: keine Zeugen.
Er atmet erleichtert auf und geht durch den Sand zurück