Lacroix und die stille Nacht von Montmartre. Alex Lépic

Lacroix und die stille Nacht von Montmartre - Alex Lépic


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diesem Jahr – alle Hände voll zu tun. Deshalb kam dieses gemeinsame dîner gerade recht.

      »Eine Platte mit charcuterie und die filets de hareng, s’il vous plaît«, bestellte Lacroix beim Wirt, der erwartungsvoll hinter dem Tresen stand.

      »Sofort«, sagte der und verschwand.

      »Ist es nicht kalt? Und dieser Schnee, ich finde das ja toll.«

      »Wie war dein Tag, chérie? Die Sitzung?«

      »Eine langweilige Nummer, der ich aber dank des Wetters entkommen bin.«

      »Wie denn das?«

      »Ich bin heute Morgen, als ich die Zeitungen gelesen habe, gleich ins Rathaus gefahren und habe mich sofort ans Telefon geklemmt, damit wir den Obdachlosen helfen. Es fahren schon Kältebusse durch die Straßen, die Suppe, Tee und warme Kleidung verteilen. Ganz besonders gefährdeten Clochards wird ein Bett für die Nacht angeboten. Ich habe auch mit der RATP gesprochen, damit die Metrobahnhöfe nachts wieder geöffnet bleiben.«

      Lacroix kam nicht umhin, einmal mehr Bewunderung für seine Frau zu empfinden. Sie achtete auf all die Dinge, die den Bürgern manchmal entgingen. Auch in dem von ihr regierten Pariser Bezirk, dem siebten Arrondissement, das nach dem 16. sicher das reichste Quartier war, mit alten Bürgerhäusern, vielen Ministerien und Botschaften, gab es sehr arme und wohnungslose Menschen, die längst nicht mehr in einer Pariser Clochard-Romantik auf den Straßen hausten, weil sie das Leben unter freiem Himmel so schätzten, sondern die einfach so mittellos waren, dass ihnen nichts anderes übrig blieb.

      »Und dann habe ich die Flussseite gewechselt, war eine Viertelstunde vor dir hier und konnte schon die Stimmung genießen. Draußen der Schnee, drinnen der Wein.«

      Er nahm kurz ihre Hand und drückte sie.

      »Wie war es bei dir? Du siehst reichlich verfroren aus, kommst du nicht aus dem Büro?«

      »Nein, ich war auf dem Montmartre.«

      Interessiert sah sie ihn an. Sie wusste, dass Lacroix die Quartiere rive gauche rund um den Boulevard Saint-Germain nur ungern verließ.

      »Sicher hast du es heute Morgen auch gelesen. Die Lichterketten wurden gestohlen.«

      »Was? Lichterketten?«

      »Na ja, vielleicht keine gewöhnlichen Lichterketten. Jemand hat die komplette Weihnachtsbeleuchtung auf der Place du Tertre abgebaut.«

      »Du machst jetzt in Sachschäden?«, neckte sie ihn mit einem Augenzwinkern, doch Lacroix sah sie ernst an.

      »Irgendetwas daran gefällt mir nicht.«

      Mit wenigen Worten umriss er, was er zusammen mit Rose Violet auf dem Platz erlebt hatte. Bei der Erwähnung der Commissaire veränderte sich etwas in Dominiques Blick, ohne dass Lacroix es konkret hätte benennen können.

      Er beendete gerade seinen letzten Satz, als der Wirt dem Küchenfahrstuhl ein Brett und einen Teller entnahm und beides vor ihnen auf den Tresen stellte. Vorher hatte er schon ihre Gläser aufgefüllt.

      »Das sieht toll aus – was für eine schöne Idee«, sagte Dominique, reichte ihrem Mann eine Gabel und schob ihm den Teller ein Stück näher, den Lacroix schon sehnsüchtig angeschaut hatte. Die filets de hareng waren eine Spezialität des Hauses: lauwarme gekochte Kartoffeln, dazu grüner Salat, eingelegte Karotten und Zwiebeln und obenauf drei Heringsfilets, deren Haut hell schimmerte, von der Frische und vom herben Olivenöl. Lacroix liebte dieses einfache Gericht aus dem Norden. Währenddessen nahm seine Frau von dem krossen Brot und bestrich es mit der Schweinepaté. Auf dem Brett lagen außerdem noch dünn aufgeschnittener Knochenschinken und luftgetrocknete Salami aus den Savoyen.

      Für einige Minuten aßen sie schweigend, genossen die würzigen Speisen und lauschten den lauten Gesprächen um sie herum und dem Klirren der Gläser.

      Draußen fielen weiter die Flocken. Zwar waren es weniger geworden, doch auf den Straßen lag bereits eine geschlossene Schneedecke.

      »Ich habe darüber nachgedacht«, sagte Dominique, als sie den ersten Hunger gestillt hatten. »Du hast recht, es ist eine merkwürdige Geschichte. Vandalismus schön und gut – aber dafür ist das alles zu glattgegangen mit dem Diebstahl. Ich hoffe natürlich, du irrst dich. Aber wann hast du dich das letzte Mal …« Sie hielt inne, ihr Gesicht hellte sich auf. »Ich habe morgen Nachmittag meinen Kollegen aus dem 18. zu Gast im Rathaus! Wir haben eine kurze Sitzung zum Thema Klimaschutz. Du weißt, es ist Maire Dufour von den Sozialisten. Vielleicht hat er ja schon Neuigkeiten zu dem Fall.«

      »Ich habe gehört, er hat überhaupt erst die Presse darauf angesetzt. Er soll außer sich gewesen sein!«

      »Ich werde einfach mal nachfragen, was es Neues gibt. Er wird ohnehin darauf kommen, dass ich wegen dir frage. Er ist sehr intelligent, beinahe …«

      »Beinahe was, chérie

      »Beinahe gerissen, wollte ich sagen. Er ist erst seit einem knappen Jahr auf dem Posten, ich kenne ihn also längst nicht so gut wie die meisten anderen Kollegen. Aber er erscheint mir sehr karrieristisch, als habe er ein deutlich größeres Ziel vor Augen. Er war ein hoher Offizier, weißt du? Bevor er in die Politik ging.«

      »Du traust ihm nicht …«

      »Woher weißt du das? Er ist ein junger Politiker … ach herrje, immer musst du Commissaire sein.«

      Sie mussten lachen, und Lacroix griff wieder zu seiner Gabel.

      »Egal, vielleicht ist es ja auch wirklich nur eine einmalige Sache, dann brauche ich mich nicht zu kümmern, und wir können das alles vergessen.«

      »Vielleicht«, sagte Dominique versonnen, als wäre sie in Gedanken, »ja, vielleicht …«

      Der Baum am Berg

      5

      Die Hoffnung, dass es sich um einen einmaligen Zwischenfall handelte, währte nur kurz, auch wenn der Tag ausgeschlafen und heiter begann. Das Ehepaar erwachte in seiner Wohnung in der Rue Cler, durch die Fenster schien die tief stehende Sonne. Der Himmel war blau, und nur die Eisblumen an der Scheibe deuteten darauf hin, dass es ein äußerst kalter Wintertag war.

      Lacroix trat ans Fenster und sah kopfschüttelnd auf die schmale Marktstraße, die unter einer dicken Schneeschicht verborgen lag. Ungeachtet dessen stellte Ivy schräg gegenüber gerade die Tulpen in großen Eimern auf die Straße, die Rosen ließ sie allerdings lieber im beheizten Laden. Der Käsehändler zog seinen Rollladen hinauf, der Fischhändler würde erst später folgen. Sicher stand er auf dem Weg vom Markt in Rungis in einem der vielen Staus, die sie im Radio erwähnt hatten.

      Sie hatten die Flasche noch ausgetrunken, dann waren sie aufgebrochen und langsam nach Hause gelaufen. Es hatte zwar aufgehört zu schneien, doch ihre Schuhe hatten tiefe Spuren in der weißen Landschaft hinterlassen. Die Stadt hatte so unberührt und friedlich dagelegen, dass der Commissaire ganz gerührt gewesen war. Die Spuren der Lacroix führten durch den Jardin des Tuileries, dann hatten sie die Place de la Concorde passiert und waren an den Quais der Seine westwärts gelaufen, bis sie über die Pont Alexandre III. gegangen waren. Auf der Brücke war der Schnee am höchsten gewesen, es gab außer ihnen beinahe keine Fußgänger. Zu ihrer Rechten hatte der Eiffelturm geleuchtet, und Dominique hatte ihren Lacroix an sich gedrückt.

      Sie hatten keine Lust mehr gehabt, irgendwo einzukehren, und so hatten sie es sich daheim auf dem Sofa gemütlich gemacht. Madame Lacroix hatte noch einige Vorlagen durchgesehen, während der Commissaire in einem alten Simenon-Krimi gelesen hatte, Maigret und die braven Leute.

      Sie waren früh zu Bett gegangen. Nun stand Madame Lacroix in bester Rathausmontur an der Tür und winkte ihm zu.

      »Ich muss los, ich habe eine Sitzung. Wir sehen uns heute Abend?«

      »Einen schönen Tag«, wünschte er, dann schloss sie leise die Tür, und er hörte ihre eiligen Schritte auf der hölzernen Treppe.

      Lacroix kleidete sich


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