Schlaf schön. Andrea Revers

Schlaf schön - Andrea Revers


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Ich persönlich würde ja nie in ein Altersheim gehen, da kümmert man sich doch kaum um den Einzelnen. Und diese hektische Pflegerin – also, das geht gar nicht. Ich sag ja immer, zu Hause ist es am schönsten. Nein, was bin ich froh, dass ich Kinder habe. Die Silke hat schon gemeint, dass sie mich später zu sich ins Haus holen würde. Aber da gibt es ja nur diese kleine Einliegerwohnung, und da liegt der Eingang auch noch hinterm Haus …«

      »Was hat sie denn erzählt?«, unterbrach Frederike den Redefluss.

      »Die Silke meint …«

      »Nein«, stöhnte Frederike, »natürlich die Änne. Wir reden hier von Änne. Schon vergessen?«

      Elsbeth sah sie leicht beleidigt an. »Nichts hat sie erzählt, sie hat ja kaum geredet.«

      »Kein Wunder, bei deinem Redefluss ist sie wohl nicht zu Wort gekommen«, nuschelte Frederike in sich hinein und erntete dafür ein zustimmendes Grinsen von Grete rechts von ihr.

      »Wie hat sie denn ausgesehen?«

      »Hab ich doch gesagt: schlecht!«, pampte Elsbeth, die die kleine Nebenbemerkung anscheinend gehört und durchaus übel genommen hatte.

      »Was meinst du mit ›schlecht‹? Kannst du das konkretisieren?«, hakte Frederike nach und bemerkte gerade noch rechtzeitig, dass sie ihren »Verhörmodus« eingeschaltet hatte. Bis zu ihrer Pensionierung war sie Kommissarin bei der Düsseldorfer Kripo gewesen (Mordkommission!), und alte Muster sterben eben schwer.

      Grete mischte sich ein: »Schaltet mal einen Gang runter. Wir sind schließlich zum Singen hier«, und zeigte auf das genervte Gesicht des Dirigenten.

      »Meine Damen, meine Damen«, fistelte der, »Silentium! Ich erinnere an unsere nächste große Aufgabe. Wir wurden gebeten, für die Wallfahrt nach Barweiler drei Lieder beizusteuern. Wie sieht es aus?«

      Versonnen ging Frederike nach der Probe nach Hause. Das mit Änne tat ihr leid, sie hatte die Alte gemocht.

      Im Wohnzimmer fiel sie in einen bequemen Ledersessel, zog die Schuhe aus und legte die Füße entspannt auf den Tisch. Sie mochte dieses Zimmer, so wie sie ihr ganzes Haus mochte. Es war ihr ehemaliges Elternhaus, und daher verband sie viele Erinnerungen mit den einzelnen Räumen. Doch hatte sie, als sie vor acht Jahren in die Eifel zurückehrte, das Haus von Grund auf sanieren lassen. Erinnerungen waren gut und schön, doch sie wollte nicht in einem Museum leben. Sie bewohnte ihr Haus allein, nur Hannelore durfte ihr Gesellschaft leisten. Hannelore war ein Kater – gut, der Name war nicht klug gewählt, aber was wusste man schon bei einem acht Wochen alten Katzenkind über das Geschlecht –, und beide hatten sich schon an den Namen gewöhnt, als die Tierärztin bei der Impfung den Irrtum feststellte. Hannelore war inzwischen vier Jahre alt, ein wenig behäbig und leicht übergewichtig, wie viele seiner kastrierten Artgenossen. Er lag auf dem anderen Ledersessel, der schon deutliche Spuren seiner Krallen aufwies.

      Frederike war geschieden – schon seit achtzehn Jahren, und ihre Erleichterung, als sie ihren Mann endlich los war, war so groß gewesen, dass sie nie mehr Interesse daran gezeigt hatte, sich wieder zu binden. Es war eine unangenehme Scheidung gewesen, mit viel schmutziger Wäsche und einer anschließenden fast einjährigen Stalking-Phase. Sie war weggezogen, hatte die Stelle gewechselt und hörte nach einigen Jahren, dass ihr Mann wieder geheiratet hatte. Inzwischen dachte sie nur noch selten an ihn. So war Hannelore der einzige Kerl in ihrem Leben.

      Hier, in diesem Vierhundert-Seelen-Dorf, hatte sie mit ihrer Vergangenheit abgeschlossen. Es war ihr leichter gefallen als vermutet. Die heimische Sprache, alte Bekannte aus der Schulzeit und der Nachbarschaft – all das war »Heimat« und strahlte ein Gefühl von Geborgenheit aus, das Frederike seit ewigen Zeiten nicht mehr erlebt hatte und von dem sie gar nicht wusste, wie sehr sie es vermisst hatte. Sie war angekommen in der Eifel. Oder vielleicht auch nie richtig weg gewesen.

      Müde ging sie zu Bett. Sie dachte an Änne. So schnell konnte es gehen.

       2. Kapitel

      Es nieselte. Das richtige Wetter für eine Beerdigung, dachte Frederike. Sie fuhr mit dem Kamm durchs strubbelige Haar und warf einen prüfenden Blick in den Spiegel: ein rundes Gesicht mit rötlich-grauem Wuschelkopf, leicht geröteten Wangen und blitzenden grauen Augen, zweiundsiebzig Jahre Lebenserfahrung, die sich in kleinen Fältchen und Runzeln niederschlug. Sie gefiel sich immer noch ganz gut, wenn sie auch sonst ihrem Äußeren kaum Aufmerksamkeit schenkte. Mit dem schwarzen Trenchcoat war sie wohl angemessen gekleidet. Der Chor würde in der Kapelle zu Ehren von Änne ihr Lieblingslied singen. Die Himmel rühmen. Ausgerechnet! Sie seufzte, ein letzter Blick in den Spiegel. Los ging’s.

      Frederike betrat die Kapelle und stellte sich zu ihren Sangesschwestern. Was für ein dämliches Wort! Alle wirkten angespannt und traurig. Die Beerdigung war gut besucht, denn Änne hatte ihr ganzes Leben hier in diesem Dorf verbracht und war in der Gemeinde beliebt gewesen. Zudem boten Beerdigungen im dörflichen Umfeld eine gewisse Attraktion. Da ging man einfach mit, fürs letzte Geleit, weil es sich so gehört, weil es immer so war. Interessiert betrachtete Frederike die beiden Töchter von Änne, die mit ihren Familien einschließlich Kindern und Enkeln erschienen waren. Alle in schwarzer Kleidung, mit ernsten Gesichtern und leisen Stimmen. Hier war echte Trauer spürbar. Und auch eine gewisse Fassungslosigkeit. Trotz des hohen Alters von Änne hatte anscheinend keiner, der sie kannte, mit ihrem plötzlichen Ableben gerechnet.

      Nach der Beerdigungszeremonie verliefen sich die Besucher, nur ein harter Kern von Verwandten und Freunden, zu denen natürlich auch der komplette Kirchenchor gehörte, sammelte sich, um gemeinsam in der örtlichen Dorfkneipe, in der man sonst probte, bei Kaffee und Kuchen gemeinsam weiterzutrauern. Wie schon oft von Frederike beobachtet, veränderte sich die Stimmung der Beerdigungsteilnehmer nach und nach. Es wurde lauter, man begrüßte alte Bekannte und Verwandte und schwelgte in Erinnerungen. Der Kaffee floss in Strömen, und Butterkuchen mit Streusel bot die kohlehydrathaltige Basis für Loslassen und Lebensmut. Das Leben ging schließlich weiter. Nirgendwo spürte Frederike den Lauf des Lebens deutlicher als bei solchen Beerdigungsritualen. Deshalb hielt sie nichts von anonymen Urnenbegräbnissen. Da war sie ganz traditionell. Zum Abschiednehmen gehörten eine Aufbahrung im Sarg, eine Messe und der Beerdigungskaffee. Haken dran und weitermachen. So hatte sie es immer gehalten. Bei ihrer Arbeit bei der Mordkommission hatte ihr der Tod oft näher gestanden als das Leben.

      »Was bist du so gedankenverloren?«, fragte Grete sie von der Seite. »Willst du noch einen Kaffee?«

      »Gerne.« Frederike schob ihr die Kaffeetasse hin.

      »Ist aber nur der koffeinfreie.« Grete kicherte. »Anscheinend gönnt man uns in unserem Alter die volle Dröhnung nicht mehr.«

      Frederike runzelte die Stirn. Da machte die Plörre ja überhaupt keinen Sinn. Doch dann winkte sie ab. »Schütt rein. Zumindest ist er heiß. Es hat heute tüchtig abgekühlt. Ich bin ganz durchgefroren von dem Nieselregen.«

      Elsbeth drängte sich mit auf die Bank und hob Grete die Kaffeetasse entgegen. »Ooh, wat usselich. Ich hoffe ja, dass es bei meiner Beerdigung schönes Wetter gibt. Da bleiben die Leute wenigstens noch ein bisschen auf dem Friedhof und leisten mir Gesellschaft.«

      »Bei mir soll’s richtig regnen«, entgegnete Grete fröhlich. »Der Himmel soll weinen.«

      »Ganz großes Kino!«, kommentierte Frederike. »Habt ihr sonst keine Sorgen?«

      Doch Elsbeth ging gar nicht auf die Kritik ein, sondern quatschte munter weiter. »Letzte Woche war ich bei Kurt Weiler auf der Beerdigung. Strahlender Sonnenschein. Da kamen die Blumengestecke ganz anders zur Geltung.«

      »Habt ihr den Kranz vom Kirchenchor gesehen? Rote und weiße Nelken. Das sah aus wie ein Fan-Schal von Bayern München«, mischte sich Eva Kuchen kauend ins Gespräch ein.

      Grete lachte auf. »Den hat ja auch Norbert in der Gärtnerei bestellt. Für den gibt es keine anderen Farben.«

      »Na, dann können wir froh sein, dass nicht Johann unser Vorstand ist. Bei ihm als überzeugten Borussia-Dortmund-Fan hätte der Kranz schon ziemlich


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