Ein Fall für die Akten. Gerhard Koll

Ein Fall für die Akten - Gerhard Koll


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Umschlag: Sie sind der nächste Millionär!

      Träumend betrat sie die Treppe, sah sich in einem wunderschönen Haus mit Meeresblick, vor dessen Portal ein gutaussehender Butler im schwarzen Anzug stand und ihr mit einer tiefen Verbeugung die Tür öffnete. Klara Bielinski, eine reiche Dame auf dem Weg durch die teuersten Geschäfte der Welt.

      Noch halb in ihren Fantasien versunken nahm sie wahr, wie die Hunde plötzlich durch die offene Wohnungstür von Sonja Hedewig verschwanden, die in der ersten Etage links wohnte, gleich unter ihrer eigenen Wohnung. Deshalb war sie ständig der lauten, hämmernden Musik der Hedewig ausgesetzt. Ein junges, aufgedonnertes Flittchen war diese Person, die im Treppenhaus grußlos an ihr vorbeiging, aber ihrem Heinrich unverschämter Weise zuzwinkerte, der natürlich nichts Besseres zu tun hatte, als ihr ungeniert auf den Hintern zu starren. So wie die zurechtgemacht war, konnte es sich nur um eine handeln, die auf den Strich ging. Allein schon diese Typen, die öfter vor Hedewigs Tür standen, ebenso respektlos wie die Frau selbst, besagten schon alles. Nachts um drei drehte sie einfach die Musik so laut, als wäre sie alleine im Haus. Wahrscheinlich kam sie dann zurück aus dem Puff, vollgepumpt mit Drogen und scherte sich einen Dreck um die Nachbarn. Anfangs war Klara noch runter gegangen, hatte sich beschwert, wenn die Musik zu laut war, und hatte höflich gebeten, diese etwas leiser zu drehen, aber genutzt hatte es nichts.

      Heinrich schlief jedes Mal besoffen neben ihr, der hörte nichts. Wenn sie ihm am nächsten Tag sagte, er solle auch mal runter gehen, um sich zu beschweren, stellte er sich auf die Seite der Hedewig, meinte, dass junge Leute sich ruhig mal etwas austoben dürften und fing langatmig an, von seiner Jugendzeit zu berichten. Was für ein schlimmer Finger er gewesen sei, erzählte er dann, und dass ein bisschen laute Musik doch harmlos sei. Die hatte den alten Bock völlig um den kleinen Finger gewickelt. Sobald Klara mit der Polizei drohte, lachte die Hedewig bloß. »Geh schön nach oben zum Opa und lass dir von dem ordentlich einen verplätten, dann schläfst du auch wieder besser«, hatte sie einmal gesagt, während ein widerlicher Typ hinter ihr im Türrahmen erschienen war und gefragt hatte, ob noch was sei, als Klara nicht gleich verschwand. Danach traute sie sich nicht einmal mehr, die Polizei zu rufen. Den Typen der Hedewig war alles zuzutrauen. Die hätten sich womöglich noch an ihren Hunden vergriffen.

      Die beiden Russen, die mit der Hedewig auf einer Etage wohnten, sagten ebenfalls nichts. Die waren wahrscheinlich illegal hier und wollten mit der Polizei nichts zu tun haben. Auch sah man die Männer kaum. Ständig war da alles verschlossen und dunkel. Wer weiß, was mit ihnen los war? Von denen konnte sie keine Unterstützung erwarten und dem Hausbesitzer schien alles egal zu sein, solange er sein Geld bekam. So musste Klara sich mit der Hedewig abfinden und ihren Zorn mit kleinen Schlückchen Frühstückskorn hinunterspülen.

      Dass die Hunde nun ausgerechnet in diese Wohnung gingen, konnte nur zusätzlichen Ärger bedeuten.

      Hatte die Hedewig die Hunde vielleicht hereingelockt, um ihnen etwas anzutun? Klara durfte gar nicht darüber nachdenken. Die Hunde waren das Einzige, was ihr in diesem Leben etwas bedeutete. Sie musste handeln. Ihr Herz begann schneller zu klopfen, nein, es raste bereits.

      Vorsichtig drückte sie die Tür auf. Mit gedämpfter Stimme rief sie in die düstere Wohnung.

      »Cindy, Hexe, hierher! Kommt sofort da raus, ihr dürft da nicht rein!«

      Die Hunde reagierten nicht. Nur ein leises Winseln drang aus einem der hinteren Zimmer zu ihr durch.

      Noch stand sie im Türrahmen, darauf gefasst, dass sie jemand beschimpfen könnte. Doch auf ihre Angst konnte sie keine Rücksicht nehmen. Es ging um ihre Lieblinge.

      Sie klopfte zaghaft an den Türrahmen.

      »Frau Hedewig, sind Sie zu Hause? Hallo, ist jemand da?«

      Es war nichts zu hören. Sollte sie die Klingel betätigen?

      Warum hörten die Hunde bloß nicht?

      Sie drückte die Tür weiter auf, damit mehr Licht vom Treppenhaus in den Wohnungsflur gelangen konnte. Undefinierbare Schemen zeichneten sich vor ihr ab. Eine Garderobe, überfüllt mit Jacken und Mänteln, darunter auf dem Fußboden unzählige Schuhe in einem unordentlichen Haufen. Dazwischen, quer durch den Flur, ein Telefonkabel. Die Türen zu den Zimmern waren einen Spalt breit geöffnet, aber auch dort war es völlig dunkel.

      Dann fasste sie sich ein Herz und drückte auf die Klingel. Ein schriller Ton über dem Türrahmen durchschnitt die Dunkelheit wie eine scharfe Klinge. Sie erschrak, obwohl sie es war, die das Geräusch ausgelöst hatte. So heftig und laut hatte sie das Läuten nun doch nicht erwartet. Gespannt wartete sie auf eine Reaktion, hoffte, dass die Hedewig oder die Hunde aus einem der Zimmer kamen. Aber nichts geschah. Keine Reaktion. Sie klingelte noch einmal. Wieder dieser schrille Ton. Doch auch diesmal blieb eine Erwiderung aus. War die Hedewig etwa nicht zu Hause? Hatte sie nur vergessen, die Tür zu schließen?

      Ihre Augen hatten sich langsam an die Dunkelheit gewöhnt, so dass Klara sich etwas tiefer in den Flur vorwagte. Sie stieg über einen Berg von Schuhen und tastete sich in Richtung des Zimmers vor, aus dem sie wieder ein leises Jaulen vernehmen konnte. Das Licht anzuschalten traute sie sich aber nicht. Stattdessen rief sie ein weiteres Mal nach den Hunden.

      »Cindy, Hexe, kommt da raus. Da habt ihr nichts zu suchen!«

      Zu ihrer Überraschung kam Cindy schwanzwedelnd aus dem Zimmer, als wolle die Hündin sie als Besucherin in ihrer Wohnung willkommen heißen.

      »Jetzt aber weg hier«, warf sie ihr scharf entgegen und zog das Tier am Halsband Richtung Treppenhaus.

      Erleichtert, einen der Hunde wieder bei sich zu haben, schlich sie erneut in die Dunkelheit. Nach diesem Schreck hatte sie sich wirklich ein kleines Schnäpschen verdient, stellte sie für sich fest und schob ihren Oberkörper in das Zimmer, aus dem ihre Cindy soeben gekommen war. Schwarz zeichneten sich die Umrisse des Wohnzimmers ab, mit einer Schrankwand, eine Couchgarnitur und da war auch Hexe. Mit wedelndem Schwanz war sie dabei, an etwas zu lecken. Sie schärfte ihren Blick, versuchte zu erkennen, was es war und erschrak fürchterlich.

      Die Finger ihrer linken Hand bohrten sich tiefer in das Plastik der Tüte, mit der rechten Hand fuhr sie sich an den Mund, um einen Schrei zu unterdrücken. Zwischen Sofa und Couchtisch war deutlich die Silhouette eines menschlichen Körpers zu erkennen, an dessen Haupt sich die Hündin zu schaffen machte. Wie erstarrt blickte sie auf das grausige Szenario. Dass die Person dort am Boden nicht ihren Rausch ausschlief, war ihr klar. Mit dieser Person stimmte etwas nicht und Klara ahnte, was es war.

      Sie tastete nach einem Lichtschalter, fand den Drehknopf eines Dimmers, den sie bis zum Anschlag aufdrehte, dann wanderte ihr Blick widerwillig zurück zu dem Körper. Was sie sah, ließ sie erneut gefrieren.

      Dieses Mal konnte sie einen Schrei nicht unterdrücken. Er erklang so laut und beängstigend, dass die Hündin zusammenzuckte und augenblicklich von dem Körper abließ. Klara wollte sich umdrehen, aus dieser irrealen Szenerie entfliehen, merkte aber im selben Augenblick, dass ihre Beine nicht gehorchten. So trat sie von einem Fuß auf den anderen, während sie unablässig an der Tüte nestelte, die sie mit beiden Händen vor ihr Gesicht hielt, wie um sich dahinter zu verstecken. Dennoch musste sie hinschauen, zu dem eingeschlagenen Kopf von Sonja Hedewig.

      Sie musste würgen, unterdrückte aber ihren Brechreiz, weil sie sich weiterhin nicht von der Stelle bewegen konnte. Erst die Stimme Opa Heinrichs, die wie aus weiter Ferne zu ihr drang, riss sie aus dem tranceartigen Zustand.

      »Was’n los?«

      »Hierher!«, schrie sie. »Schnell, Hilfe!« Ihr Rufen klang so entsetzlich wie ihr erster Schrei.

      Opa Heinrich kam die Treppe heruntergeeilt. »Bist du hier?«, rief er mit gedämpfter Stimme in den Flur der Hedewig. Die Hunde saßen vor der Eingangstür und beobachteten seinen Auftritt.

      »Komm hierher«, hörte er den Befehl seiner Lebensgefährtin. Ratlos sah er zu seiner Klara, die im Türrahmen des hell erleuchteten Wohnzimmers stand. Er trat durch den dunklen Flur näher an sie heran und schaute über ihre Schulter.

      In der Stille war zu hören, wie Opa Heinrich seine Lippen öffnete, aber es entrang ihnen


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