Machtmaschinen. Viktor Mayer-Schonberger

Machtmaschinen - Viktor  Mayer-Schonberger


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      Warum Datenmonopole unsere Zukunft gefährden und wie wir sie brechen

      Thomas Ramge

      Viktor Mayer-Schönberger

      MACHT

      MASCHINEN

      »Nichts im Leben ist zum Fürchten, wir müssen es nur verstehen. Jetzt ist die Zeit mehr zu verstehen, damit wir uns weniger fürchten.«

      Marie Curie

      Inhalt

      Einleitung:

       Informationsmacht

      I

       Datenalchemismus

      II

       Schumpeters Albtraum

      III

       Datenmonopolkapitalismus

      IV

       Ermächtigungsmaschinen

      V

       Datennutz-Grundverordnung

      VI

       Open Data reloaded

      VII

       Tech Cold War und Datenkolonialismus

       Ausgewählte Quellen und weiterführende Literatur

       Dank

      Informations

      macht

      Anfang der 1730er-Jahre übergab ein junger Drucker und Verleger aus Philadelphia den Postreitern der Stadt ­regelmäßig heimlich zwei Bündel: ein großes Bündel seiner Zeitung Penn­syl­vania Gazette und ein kleineres mit Geldscheinen. Die Scheine waren nicht etwa für das Porto. Sie waren Bestechungs­geld. Dem jungen Drucker blieb nichts anderes übrig. Sein Na­­me war Benjamin Franklin.

      Das fünfzehnte Kind eines Seifen- und Kerzenmachers hatte die Gazette von Samuel Keimer übernommen, einem schil­lernden Verleger mit hohen Schulden, der nach kurzzeitiger Haft vor seinen Schuldnern in die Karibik floh. Der junge Frank­­lin war nicht nur ehrgeizig und geschäftstüchtig, sondern zudem ein brillanter Essayist mit Gespür für die Themen, die eine wachsende Schicht aufgeklärter Bürgerinnen und Bürger im vor­revolutionären Amerika interessierte. Die Zeitung unter sei­ner Führung galt bald als geistreich, unterhaltsam und politisch klug, ohne einen radikal aufrührerischen Ton gegen die bri­tische Kolonialmacht anzuschlagen. Doch zugleich war sie durch­­drungen von der Überzeugung, dass Pressefreiheit ­irgendwann den Weg zu einer amerikanischen Demokratie ebnen würde.

      Die Qualität seiner Zeitung half dem talentierten Verleger wenig, sie groß und einflussreich zu machen. Denn der He­raus­ge­ber der größten Zeitung von Philadelphia, des American Weekly Mercury, war im Unterschied zu dem späteren Gründer­vater zwar kein brillanter Essayist. Er hatte aber ein Nebenamt im Auf­trag der britischen Krone inne. Der Mann hieß Andrew Brad­ford und war Postmeister der Stadt Philadelphia.

      Ein kolonialer Postmeister in Amerika entschied seinerzeit nach Gutdünken, welche Zeitungen kostenlos mit der Post ver­schickt werden konnten und welche Publikationen gar nicht. Im Klartext: Die Kontrolle über Informationen und ihre wirtschaftliche Verwertung hatte ein von Eigeninteressen geleiteter Funktionsträger der Königin von England. Der Mercury wurde verschickt, die Gazette nicht. So einfach war das. Benjamin Frank­lin spielte das Spiel notgedrungen mit. Er bestach, wann immer er konnte, die Postboten und hielt die Gazette damit halb­wegs über Wasser. Doch 1736 wendete sich das Blatt.

      Der britisch-koloniale Generalpostmeister war zunehmend unzufrieden mit Bradfords Diensten, vor allem mit dessen erwirtschafteten Gewinnen. Deshalb ernannte er den erkennbar fähigeren Verleger Benjamin Franklin zum regionalen Postfürs­ten. Dieser stellte die unfaire Wettbewerbsverzerrung bei der Zeitungsverbreitung umgehend ein. Nun wurden alle Zeitungen der Kolonie Pennsylvania zu gleichen Konditionen transportiert. Die Philadelphia Gazette steigerte fortan kontinuierlich ihre Auflage. Die Erfahrung von Machtmissbrauch beim wichtigsten Vertriebskanal von Information im Neuengland unter britischer Krone prägte Franklin wiederum für den Rest seines politischen Lebens. Und Post blieb ein Lebensthema für ihn. 1757 übernahm er das Amt des Co-Postmeisters der britischen Krone für alle amerikanischen Kolonien, das er kurz vor der Ame­rikanischen Revolution wegen zu großer Nähe zu den Rebel­­len wieder abgeben musste. Im Zweiten Kontinentalkon­gress trieb Benjamin Franklin die Einrichtung einer unabhängigen amerikanischen Post voran, des heutigen United States Postal Service. Diesem stand er ab 1775 dann wieder als erster Generalpostmeister vor. Ein unabhängiger Postdienst wurde als Bundesbehörde explizit in der Verfassung verankert. Das Postgesetz trug wieder Franklins Handschrift. Alle Zeitungen, die damals mit Abstand wichtigste Informationsquelle für Bür­­gerinnen und Bürger, mussten kostengünstig und zu gleichen Konditionen von der Post im ganzen Land transportiert werden. Die Post war endgültig Teil des Gründungsmythos der USA.

      Für die Gründerväter war bereits klar, was heute, mehr als zwei Jahrhunderte Demokratiegeschichte später, selbstver­ständ­lich erscheint: Der Zugang zu Informationen ist die wich­tigste Grundlage demokratischer Willensbildung. Das Prinzip der Pressefreiheit schließt ein, dass Informationen, Einschätzungen und Meinungen nicht nur aufgeschrieben werden kön­nen, sondern auch ihren Weg zu den Nutzerinnen und Nutzern der Information finden.

      Zeitsprung. In Europa stehen zeitgleich nach Aufhebung des ersten Lockdowns Politik und Gesellschaft, aber auch jede und jeder Einzelne vor wichtigen Entscheidungen: Wo ist was wieder möglich? Wie lassen sich weitere Wellen der Pandemie schneller, besser und vor allem gezielter in den Griff bekommen? Dafür braucht es Informationen – nicht bloß zum Virus, sondern zu seinen Verbreitungswegen und dem Verhalten von Bürgerinnen und Bürgern. Telekommunikations- und Naviga­tionsanbieter stellen Daten zur regionalen Mobilität zur Verfügung. Vor allem aber setzen europäische Regierungen auf Tracing-Apps. Diese sollen einerseits Menschen informieren, wenn sie mit einem Infizierten Kontakt hatten. Eine Reihe von Staaten möchte aber auch in anonymisierter Form über die Tracing-App Informationen über eine mögliche regionale Ver­breitung der Infektion bekommen. So ließen sich unter Umständen neue umfassende Lockdowns vermeiden und durch gezielte, örtlich und zeitlich begrenzte Maßnahmen ersetzen.

      Darum verhandeln europäische Regierungen mit den US-­Konzernen Google und Apple. Denn diese beiden Unternehmen dominieren den Markt der Smartphone-Systeme. Ihre Hil­fe und Unterstützung sind notwendig, um Tracing-Apps sinn­voll einsetzen zu können. Sonst funktioniert die Abstands­messung nicht und die App im App-Store kann nicht installiert und gefunden werden. Zur Überraschung der europäischen Re­gierungsbeauftragten lehnen die kalifornischen Duopolisten ab und übernehmen eine Rolle, in der sich üblicherweise der europäische Datenschutz wohlfühlt: als Missionar der Datensparsamkeit. Die Kehrtwende der kalifornischen Unternehmen Richtung Schutz von Privatheit vollzog sich ausgerechnet im Kontext einer Frage, deren Beantwortung in Demokratien bei gewählten und (hoffentlich) wissenschaftlich gut beratenen Ge­sundheitspolitikerinnen und -politikern liegt: Wie können wir in einer Pandemie mit den Möglichkeiten digitaler Technologie das Leben von Bürgerinnen und Bürgern schützen?

      Im Mai 2020 war klar, dass europäische Regierungen keinen Zugang zu den Informationen bekamen, mit denen sie diese wichtigen Entscheidungen treffen wollen. Amerikanische Unternehmen untersagten faktisch demokratisch legitimierte Informationsflüsse in Europa. Vereinfacht gesagt: Nicht Emma­nuel Macron oder Angela Merkel entscheiden darüber, welche


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