Machtmaschinen. Viktor Mayer-Schonberger

Machtmaschinen - Viktor  Mayer-Schonberger


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ist ein Buch über Informationsmacht. Die Frustration des jungen Verlegers Benjamin Franklin erinnert uns daran: Ungleiche Verteilung von Information, die Kontrolle über ­Informationswege und die sich daraus ergebenden ungleichen Machtbeziehungen sind kein Phänomen des digitalen Zeital­ters. Zugleich zeigt das Verhalten von Big Tech im Fall der Corona-Tracing-Apps auf besonders eindrückliche Weise, wie sich Informationsherrschaft in einer Welt der Daten zugunsten jener verschoben hat, die digitale Informationsströme auf ihren digitalen Plattformen erzeugen, speichern und auswerten. Seit Franklin hat sich koloniale Informationsmacht verkehrt. Heute regieren Datenkolonialisten in Amerika und Asien über den Rest der Welt.

      Maschinenlesbare Informationen, der Datenreichtum, den uns das Internet und Smartphones gebracht haben, die digita­le Vernetzung physischer Objekte zum Internet der Dinge, der Aufstieg der großen digitalen Plattformen und jener Superstar­firmen, die die Plattformen schaffen und kontrollieren, die ­digitalen Kollaborationstools, die wir nutzen, und die Datenspuren, die wir mit ihnen hinterlassen, dies alles stellt eine alte Frage auf neue Weise: Wie legitimieren und wie begrenzen wir die Macht durch Wissen?

      Spoiler alert! Auf den folgenden rund 200 Seiten werden wir auf diese alte Frage eine einfache, klare und aus unserer Sicht zwin­gende Antwort geben. Wir müssen die Zugänge zu Da­ten, Infor­mationen und Wissen radikal öffnen, um Infor­ma­­­tions­asymmetrien und Herrschaftswissen durch Digita­lisie­­rung zu brechen. Wir brauchen Daten und relevante Informationen für alle, die wissenschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung voran­brin­­gen können. Denn konzentrierte Datenmacht ist gut für wenige, aber schlecht für Innovation, Kooperation und für jede und jeden Einzelnen von uns.

      Wir hoffen, mit der Forderung nach mehr Informationszugang für alle den Diskurs über die notwendigen Kurswechsel bei der Steuerung digitaler Veränderungsprozesse zu be­rei­chern. In den vielen öffentlichen und nicht öffentlichen Dis­kus­sionen fällt immer wieder auf, dass die Frage der Informationsmacht selten diskutiert wird, und wenn doch, dann einseitig aus einer vor allem defensiven Haltung, so als wäre die Antwort auf Informationsmacht die Ignoranz der Menschen und nicht deren informationelle Er- und Bemächtigung. Meist aber fällt die Frage nach der Informationsmacht vollkommen unter den Tisch. Das empfinden wir in dreifacher Hinsicht als überraschend: erstens, weil es von einem Unverständnis von Macht zeugt, zweitens, weil es der Bedeutung der Informationstechnologien für Macht nicht gerecht wird, und drittens, weil damit die politischen Antworten auf die tech­no­logisch verstärkte Ungleichverteilung von Informationsmacht fehlen.

      Nach Max Weber bedeutet Macht »jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Wi­der­streben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance ­beruht«. Dazu gehört auch Information. Die gesamte Innovationstheorie seit Joseph Schumpeter wiederum kreist im Kern um die Frage, wie Informations- und Wissensvorsprünge in Marktmacht gewandelt werden können. Manuel Castells nennt das Zeitalter nach der Industrialisierung »Informationalismus«, weil es so stark von der Rolle der Information und der sich daraus ableitenden Macht geprägt ist. 1999 schrieben die US-ame­rikanischen Ökonomen Carl Shapiro und Hal Varian ihre Anleitung für digitale Unternehmen des 21. Jahrhunderts und darüber, wie sie mithilfe von Plattformen und den in ihnen wirkenden Netzwerkeffekten ökonomische Macht erobern. Der Buchtitel sagt es in zwei Worten: Information Rules. Die kalifor­nischen und zunehmend auch asiatischen Superstarfirmen folg­ten der Anleitung – Hal Varian wurde 2007 übrigens Chefökonom von Google – und herrschen mit Informationen.

      Bei der Wirkung von Informationstechnologie auf die Macht­beziehungen im Spannungsfeld von Organisationen/Fir­men, Individuen/Kunden und Gesellschaften/Staaten haben Digitalisierung und Datafizierung der Welt wiederum dialek­ti­sche Entwicklungen in Serie produziert. Wann immer in den letzten Jahrzehnten digitale Innovationen zu einem großen technologischen Sprung ansetzten, waren sie mit einem Versprechen auf informationelle Bemächtigung des Einzelnen oder kleiner Organisationen verbunden. Der PC demokratisierte Re­chenkraft, Software und damit elektronische Datenverarbeitung, zu der zuvor nur Konzerne und Regierungen Zugang hat­ten. Das Internet öffnete die Tür zum Wissen der Welt für al­le, die Zugang zu einem vernetzten Computer hatten. Googles Gründungsmission lautete: die Informationen der Welt neu or­ganisieren und allen zugänglich machen. Und schließlich schie­nen die sozialen Medien, stark gefördert durch das mobile Internet und Smartphones, endlich den alten Türstehern der Informationsmacht ihre Schlüssel zu entreißen. Der Arabische Frühling wirkte wie eine optimistische Vorausdeutung, dass der Austausch von Informationen den demokratischen Diskurs be­­fördern kann und Diktatoren zu Fall bringt.

      In mancher Hinsicht wurde jedes dieser Versprechen erfüllt. Und zugleich schlug jeder Gewinn an Information mit Bra­chialgewalt zurück. Die digitale Revolution hat Informations­asymmetrien verschärft, wie es die Pioniere der Technologie von Alan Turing über Vinton Cerf bis Tim Berners-Lee mit ih­rem Anspruch auf Weltverbesserung durch Technik nicht voraussehen konnten – und erst recht nicht beabsichtigten. Auf den Punkt gebracht heißt das: Seit der Erfindung des PC trat Informationstechnologie in jeder neuen Welle an, um soziale und wirtschaftliche Strukturen im Sinne partizipatorischer Er­mächtigung von Individuen zu verändern. Ein halbes Jahr­hun­dert später wissen wir, dass sich diese Machtstrukturen im Sinne der Zentralisierung verfestigt haben. Die Namen der Mäch­­tigen haben sich geändert. Nicht Ölbarone oder Banker stehen an der Spitze der ökonomischen Machtpyramide, sondern Tim Cook und Satya Nadella, Jeff Bezos und Mark Zucker­berg, Larry Page und Sergey Brin, Robin Li und Pony Ma.

      Deren Macht erwächst aus der Fähigkeit, maschinenlesbare Informationen zu sammeln und auszuwerten, exklusiv zu halten oder nach eigenen Interessen geleitet situativ zu teilen. In Worten Max Webers können sie dank ihrer Datenmacht ihre Interessen auch gegen das Widerstreben anderer durchsetzen. Mit Blick auf den jungen Verleger Benjamin Franklin und seinen Kampf, seine Zeitung gegen staatlich sanktionierte Willkür in Umlauf zu bringen, wirkt es wie ein Treppenwitz der Tech­nikgeschichte, dass die Informationshändler von Big Tech den Verlegern heute einen so großen Teil des Werbemarktes streitig machen und damit Qualitätsjournalismus kaum noch finanzierbar ist. Das ist legal und unterminiert zugleich die Verbreitung von und den Zugang zu Informationen, von de­nen technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Innovationen leben.

      Die Verschiebung von ökonomischer, medialer und damit auch politischer Macht hin zu den datenreichen Plattformen ist in den letzten Jahren umfangreich beschrieben und kritisiert wor­den. In den USA waren es vor allem Shoshana Zuboff mit ihrer Interpretation des »Überwachungskapitalismus«, Tim Wu mit seinen Arbeiten zu Netzneutralität, Eli Pariser mit der For­mulierung der Filterblasen oder Roger McNamees General­ab­rechnung mit dem Informationsmanagement durch Facebook in seinem Buch Zucked, die die kritische Auseinandersetzung vorantrieben. Adrian Wooldridge, Kolumnist beim britischen Economist, verdichtete das wachsende Unbehagen gegenüber der Informationsübermacht der großen Tech-Unternehmen in dem Begriff »tech-lash«, einer emotionalen Gegenreaktion von Verbraucherinnen und Verbrauchern wie auch von Regulatoren gegen die Steuerungsmacht der digitalen Superstars über Menschen und Märkte. Doch die Schlussfolgerungen aus der Status-quo-Analyse ungleich verteilter In­formationsmacht fallen heute genauso einseitig aus wie in der gesamten Geschichte der Digitalisierungskritik. Die Antwort ist defensiv.

      In den letzten zwei Jahrzehnten haben Gesetzgeber in west­lichen Demokratien versucht, die Informationsmacht der ent­stehenden Digitalunternehmen mit einer Anpassung in­divi­dueller und kollektiver Schutzrechte einzuhegen. Sie haben un­ter anderem im Arbeitsrecht, Verbraucherschutz, Ver­wal­tungs­recht, Urheberrecht und Medienrecht immer mehr Klau­seln verankert, die den Zugriff der Champions des Daten­ka­pitalismus auf Daten begrenzen sollten. Die europäische Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO) sollte schließlich zur großen Fußfessel der Datenmächtigen werden – und Europas Bürgerinnen und Bürgern Souveränität bringen über Informationen, die sie persönlich betrafen.

      Der Begriff »Datenschutz« taugt bei jeder Podiumsdiskus­sion in Europa, um sich moralisch korrekt zu inszenieren. Doch ausgerechnet die Mechanismen des Datenschutzes haben den digitalen Superstars geholfen, ihre Informationsmacht aufzubauen und ihre digitalen Planwirtschaften in privater Hand zu errichten. Das hehre Ziel, dass Daten nur mit Zustimmung der Betroffenen verarbeitet


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