HEIßE NÄCHTE IN UNTERFILZBACH. Eva Adam

HEIßE NÄCHTE IN UNTERFILZBACH - Eva Adam


Скачать книгу
Arbeit logischerweise Bares von ihrem Chef für ihre Dienstleitung sehen. Das musste wohl damals zu einer Meinungsverschiedenheit geführt haben, denn dieser bestimmte Hirte schnappte sich dann die Knechte und die Mägde vom Hof und hängte ihnen einfach Kuhglocken um den Hals. Mit diesem Aufzug zogen sie dann allesamt laut scheppernd durch das Dorf – das war vermutlich der erste Arbeiterprotestmarsch in Bayern. Und Zack, war ein Brauch geboren.

      Deshalb machten sie es heute immer noch so, auch wenn quasi keiner – mit Ausnahme vom Huberbauern – wirklich Vieh auf den Schachten weiden ließ, geschweige denn überhaupt näheren Kontakt zu einer Kuh hatte. Aber die Unterfilzbacher taten halt dann einfach so, als ob …

      Es gab sogar noch eine zweite Version über die Wolfauslasser-Entstehungsgeschichte. Manche Historiker meinten auch, dieses ohrenbetäubende Glockengeläute wurde veranstaltet, um die Wölfe von den Weideviechern fernzuhalten, wenn die Nächte kürzer wurden. Aber so ganz genau wusste das auch keiner. Im Prinzip war die Historie den Teilnehmern samt Zuschauern auch absolut wurscht, es gab diesen Brauch und das war alles was zählte.

      Die Glocken waren mittlerweile außerdem um ein Vielfaches größer als die herkömmlichen Kuhglocken geworden. Heutzutage wurden diese mordstrumm Teile extra gebaut und waren nicht selten bis zu siebzig Zentimeter hoch und dreißig Kilogramm schwer. Jedes normale Rindvieh wäre vermutlich früher oder später darunter zusammengebrochen oder hätte zumindest einen Bandscheibenvorfall in der Halswirbelsäule erlitten, so wie der Scharnagl Hansi vor zwei Jahren. Aber so waren die Männer halt: Wer hat den Größten … ähm, die größte Glocke?

      Und so war es halt auch in Unterfilzbach. Eh klar, dass Hansi junior und Sepp da mit dabei waren. Hansi senior hatte eben aus besagten gesundheitlichen Gründen seine Wolfauslasser-Karriere momentan auf Eis gelegt. Er war nun zum begleitenden Fußvolk gewechselt.

      Am ersten Tag zogen die jeweiligen Gruppen, also die »Wölfe«, noch für sich allein von Haus zu Haus und feierten quasi in »geschlossener Gesellschaft«. Aber am 11. November endete der Brauch im finalen Höhepunkt – dem großen »Zusammenläuten« am Dorfplatz. Dann trafen sich alle »Wölfe« und der Rest des Dorfes, teilweise mit Ohropax ausgestattet, und sahen beziehungsweise hörten sich das lautstarke Spektakel an.

      Es schieden sich dabei die Geister, wer die wirklich coolen Akteure waren. Entweder die, die im »Wolf« mitläuteten und sich aufgrund des Glockengewichts nicht anders als ein Ork – wie man ihn aus »Herr der Ringe« kannte – fortbewegen konnten, oder die, die mit der »Goaßl« knallten. Sepp war ein ausgezeichneter Goaßlschnalzer und außerdem noch »Hirte«, was dem Chef eines »Wolfs« gleichkam – er war also obercool.

      Zu seinem »Hirter«-Chefposten war er eigentlich auch eher durch Zufall gekommen. Die ganzen jungen Feuerwehrburschen himmelten Sepp regelrecht an und da es dem Wolfauslasser-Nachwuchs vor einiger Zeit ein wenig an Motivation mangelte, hatte sich der Sepp von ein paar Dorfhonoratioren wieder einmal breitschlagen lassen und den Kronschnabl Fritz in dieser Funktion abgelöst. Schon wieder ein Grund für die Männerfeindschaft! Die jungen Burschen folgten Sepp daraufhin wie dem Rattenfänger von Hameln und der Kronschnabl schimpfte und lästerte wieder einmal über den neuen »Hirten«, was das Zeug hielt. Eine neue Schmach für den Fritz.

      Es war bereits halb zehn Uhr abends und der Dorfplatz war schon übervoll, als Sepp mit seinem »Wolf« voller Stolz und laut scheppernd in die »Event-Arena« in der Dorfmitte einzog. Bei diesem Anblick wurde es Hansi dann doch ein wenig schwer ums Herz, denn er war halt einfach traditionsverbunden durch und durch. Aber die Erinnerung an seine Bandscheiben-Reha und das dazugehörige Intensiv-Sportprogramm dämpfte seine Wolfauslasser-Wehmut gleich wieder. Ein Fitnessstudio oder eine Nordic-Walking-Gruppe würde ihn so schnell nicht mehr sehen. Und so beobachtete Hansi lieber das ganze Szenario aus den Zuschauerreihen.

      Abwechselnd schwangen die Goaßlschnalzer ihre Goaßln und es war eine wahre Freude, Sepp dabei zuzusehen, wie gekonnt er es rhythmisch knallen ließ. Manche Burschen läuteten sich bei minus drei Grad Celsius mit nacktem, verschwitztem Oberkörper regelrecht in Trance. Der Alkohol floss in Strömen und außer Bier wurde zusätzlich der ein oder andere Selbstgebrannte durch die Reihen gereicht. Man konnte dem Hochprozentigen fast nicht entkommen und die Jugend machte dabei meist ihre ersten Erfahrungen in diesem Bereich. Da tranken alle automatisch mit. Das Jugendamt hätte bei diesem Anblick wahrscheinlich rebelliert, aber Brauchtum war halt Brauchtum – vor allem in Bayern. Nur Sepp konnte sich meistens gegen die alkoholischen Anpreisungen wehren, er erfüllte seine Aufgabe auch bei diesem Anlass wie immer verantwortungsbewusst und wollte einen klaren Kopf bewahren.

      »Schee ist wieder, gell, Hansi?«, freute er sich, als er Hansi im Gemenge traf. »Geh halt wieder mit! Schau, wie viel junge Leut voller Ehrgeiz dabei sind bei unserem alten Brauch. Wenn sie nur nicht alle so viel saufen würden. Das gefällt mir gar nicht.«

      »Ja, Sepp, schon, aber mein Kreuz. Weißt ja eh … und mei, bei den jungen Burschen kannst halt nix machen. So ist es halt, so war‘s immer schon. Wir waren auch nicht anders.«

      Gegen Mitternacht verstummten dann die Glocken nach und nach und die Brauchtumsversammlung löste sich langsam auf. Ein paar Grüppchen standen noch vereinzelt zusammen und ratschten. Bettinas Freundin Maria gesellte sich zu den Scharnagls.

      »Servus, ihr zwei«, trällerte die Metzgereibesitzerin ihren Freunden gut gelaunt entgegen.

      »Ja, Maria, servus. Bist du jetzt doch noch gekommen?«, war Bettina ein wenig erstaunt.

      Bettina hatte Maria am Nachmittag angerufen und wollte sich mit ihr am Dorfplatz verabreden. Aber so wie es aussah, war Maria wohl fest entschlossen, Sepp aus dem Weg zu gehen. Sie hatte es anscheinend schon aufgegeben, mit dem komplizierten Sepp eine engere Verbindung einzugehen. So war der Stand zumindest heute Nachmittag am Telefon.

      »Ich hab‘s daheim jetzt nicht mehr ausgehalten, vielleicht versuch ich doch noch mal mit dem Sepp zu reden. Oder was meint ihr?«

      Die Verunsicherung, aber auch die Hoffnung war ihr förmlich ins Gesicht geschrieben. Gut sah sie aus, dachte sich Bettina beim Anblick ihrer Freundin. Sie würde einfach so gut zum Sepp passen, überlegte sie weiter. Frau Scharnagl erinnerte sich noch sehr genau, wie es zum momentanen Kontaktabbruch zwischen ihrer Freundin und Sepp gekommen war. Vor etwa fünf Monaten hatte die Feuerwehr wieder einmal einen schweren Einsatz gehabt, inklusive Leichenfund. Die Leiche damals war Roman Groß – Gott hab ihn selig – und der wurde vom Mörder Xaverl Berger zerstückelt im Holzofen seiner Oma, der alten Bergerbäuerin, verbrannt. Genau an diesem Tag beschloss Maria, Klartext in Sachen Gefühle zu reden. Endlich sollte es ein aufrichtiges Gespräch über den Beziehungsstatus der beiden geben. Sie überwand sich und besuchte Sepp an genau diesem Sommertag nach dem Leichenfund. Selbstredend hatte sie ein Potpourri an Metzgereispezialitäten zusammengepackt und ebenso auch ein frisches Brot von der Bergerbäuerin.

      Dass der Feuerwehrkommandant just an diesem Tag eine traumatische Erfahrung mit dem Holzbackofen, aus dem eben dieses Brot stammte, gemacht hatte, wusste Maria natürlich nicht. Sepp wollte damals eigentlich nur mitteilen, dass er in genau diesem Moment kein Brot vom Bergerhof essen wollte, und Maria verstand aus dieser Aussage, dass er nicht mit ihr reden wollte. Und so kam es, dass wieder einmal ein großes kommunikatives Missverständnis zwischen den beiden entstanden war, das nun seit fast fünf Monaten nicht aufgeklärt worden war. Es war schon auch wirklich ein Kreuz mit den Weibern. Und den Männern. Tragisch! So oder so ähnlich sind wohl schon sehr viele Beziehungskrisen entstanden. Aber heute war Maria bereit, noch mal einen Schritt auf Sepp zuzugehen. Sie hatte sich extra schick gemacht.

      Das Trio, bestehend aus Maria, Bettina und Hansi, stand am Dorfplatz, ratschte und lachte mit ein paar Bekannten. Die Stimmung war gut. Maria hatte immer einen suchenden Blick nach ihrem Sepp in die Menge gerichtet, aber bisher hatte sie ihn nicht entdecken können. Er wird doch nicht schon heimgegangen sein? – dachte sie nervös. Irgendwann entdeckte sie ihn bei einer Gruppe junger Burschen, darunter auch Hansi junior. Anscheinend hatten sie eine Mordsgaudi, dem Gelächter nach zu urteilen. Aber etwas war komisch: Sepp sah total betrunken aus.

      »Schau mal, Hansi, da drüben steht er. Der hat ja einen Vollrausch!«, war Maria entsetzt.

      »Oha,


Скачать книгу