Der vergessene Bunker. F. John-Ferrer

Der vergessene Bunker - F. John-Ferrer


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Waldrand fiel in sanften Bodenwellen bis zu einer flachen Talsohle ab, die von einem Bächlein durchflossen wurde, und stieg auf der anderen Seite, mit Gras und niedrigem Buschwerk bewachsen, wieder bis zum gegenüberliegenden Waldrand hinauf. Die Entfernung zwischen hüben und drüben betrug etwa tausend Meter Luftlinie. Drüben lagen Ungewissheit und Gefahr: die Feindseite. Nicht das schärfste Fernglas, nicht das geübteste Auge hätte von dorther den Erdbunker ausmachen können. Er war vollkommen unsichtbar, tief in den modrigen Boden vergraben, mit zwei dicht über der Bodenneigung liegenden Schießscharten. Zwei MG 42 beherrschten einen Geländewinkel von fast 180 Grad.

      Der Bunker lag direkt am Waldrand, mit den Raffinessen langjähriger Kampferfahrung zusammengebastelt und mit fast pedantischer Hingabe ausgestattet, auf Sicherheit bedacht und mit dicken Baumstämmen zugedeckt, auf die eine Erdauflage gelegt und mit Sträuchern bepflanzt worden war. Ein lauernder und bei Bedarf Feuer und Verderbung sprühender Flügel, dessen darauf wachsender und jetzt welkender Heckenrosenstrauch Harmlosigkeit vortäuschte.

      Der Zugang zu diesem gefährlichen Nest führte aus dem Wald heran. Zwei Büsche verbargen den Eingang, der mit Zeltbahnen verhangen war. Über vier Erdstufen gelangte man ins Innere des geräumig angelegten Bunkerraumes.

      Die Decke war aus dicht zusammengefügten Baumstämmen gebaut und mit zwei entrindeten Pfosten gut abgestützt. Die Wände hatte man mit Ruten versteift und dann mit alten Frontzeitungen tapeziert. Vor den breiten Schießscharten stand der MG-Tisch mit den beiden tadellos instandgehaltenen Maschinengewehren vom Typ MG 42. Es war reichlich Munition vorhanden. Handgranaten lagen griffbereit. Zu beiden Seiten des Bunkers befanden sich die Lager, ein drittes unter dem MG-Tisch. Der Raum bot genügend Platz für die sieben Mann Besatzung. In der Mitte, neben dem ersten Stützpfosten, stand der aus Konservenblech hergestellte Bunkerofen, eine ebenso einfache wie praktische Erfindung, die mit trockenen Hölzchen, die rauchlos verbrannten, geheizt wurde. Ein langes, schmales Ofenrohr führte nach hinten schräg ins Freie. Ober den Lagern waren Wandbretter angebracht, auf denen in geordneter Reihe Stahlhelme, Gasmasken und sonstige Geräte lagen. Es gab sogar ein Schränkchen, in dem die Lebensmittel aufbewahrt wurden.

      Im Bunker »Waldmaus« herrschten preußische Ordnung und Sauberkeit, obwohl die meisten der Insassen aus den südlichen Zonen Deutschlands stammten.

      Oberjäger Werner Teichmann hieß der hagere, erst knapp 24-jährige Gruppenführer mit dem knochigen Gesicht und der Gasmaskenbrille auf der dünnen Nase. Er war eigentlich Fähnrich und hatte, was Wissen und Intelligenz anging, beträchtlich mehr aufzuweisen als seine sechs Untergebenen. Er diente erst seit etwas über ein halbes Jahr bei der Dritten und kam von einem Münchner Ersatzbataillon, wo er den Offizierslehrgang mit »gut« bestanden hatte und anschließend zur Frontbewährung abkommandiert worden war.

      Werner Teichmann war ein eigenartiger Mensch. Er schien stets eine unsichtbare Mauer um sich aufgebaut zu haben und sein eigenes Leben zu leben. In seinem hageren Gesicht stand ein Zug von eigensinniger Bitterkeit, von innerer Verschlossenheit; der Blick seiner hellen Augen, die sich hinter den Brillengläsern verbargen, verriet oft Arroganz und unverhohlene Geringschätzung dessen, was sich vor ihm zeigte oder zu behaupten versuchte.

      Teichmann ließ gern durchblicken, dass er aus besseren Verhältnissen stammte und sein Vater Studienrat war. Er selbst hatte Medizin studieren wollen, war aber vor etwas über einem Jahr beim Physikum durchgefallen und hatte sich daraufhin freiwillig zum Wehrdienst gemeldet, um Offizier zu werden.

      Vielleicht lag es am missglückten Studium, dass er einen gewissen Groll gegen seine Umgebung empfand und sich hinter Hochmut und oft verletzender Herablassung verschanzte. Jedenfalls war es schwer, mit ihm warm zu werden oder einen Blick in sein Inneres zu erlangen. Den Vorgesetzten, besonders den Offizieren gegenüber, legte er jene Zackigkeit an den Tag, die leicht ans Lächerliche grenzte. Er nahm sich wichtig, aber er hatte auch bereits gezeigt, dass er den Kampf nicht scheute und über beträchtlichen persönlichen Mut verfügte. Der Kompaniechef hatte ihn für die Verleihung des EK II vorgeschlagen, und darauf wartete Teichmann, ohne dass er es sich vor den anderen anmerken ließ. Er gierte nach Belobigungen und der Anerkennung seiner Mustergültigkeit.

      Als Teichmann die Gruppe 3 des 1. Zuges übernommen hatte, war er bald auf passiven Widerstand gestoßen. Die Oberschnäpser und Gefreiten hatten sich über ihn mokiert und nahmen ihn erst für voll, seit er bei den Kämpfen um Wiborg seinen Mann gestanden und die Gruppe nach heftigen Kämpfen ohne Verluste wieder herausgebracht hatte.

      »Spinnerter Teifi«, pflegte Loisl Brunner, der älteste Obergefreite der Gruppe 3, zu sagen, oder »Damischer Ritter«.

      In dem Obergefreiten Alois Brunner, dem vorhergehenden Gruppenführer, fand Teichmann anfangs den heftigsten Widerpart, der keine Gelegenheit vorübergehen ließ, ihm, dem Narren, klarzumachen, wer schon länger am Feind war, und dass es ratsam wäre, die alten Oberschnäpser und Frontschweine als die »Stützen der Wehrmacht« anzuerkennen, als das schon sprichwörtlich gewordene »Rückgrat der Armee«. Man wünschte im Umgang mit sich und dem Ranghöheren eine gewisse Saloppheit, eine Jovialität, die beileibe keine plumpe Vertraulichkeit zu sein brauchte.

      Es dauerte eine Zeit, bis Teichmann begriff, dass er hier nicht herumkommandieren und im Kasernenhofstillstil verfahren konnte; es dämmerte ihm alsbald, dass seine Leute, denen er Befehle geben musste, keine Puppen waren, sondern im Laufe der sechs Kriegsjahre gelernt hatten, die Tatsachen realistisch zu sehen und die Lage zuverlässig einzuschätzen.

      »Wissen S’, Herr Oberjäger«, hatte vor einiger Zeit der Loisl zum Teichmann gesagt, »hier an der Front gilt der Soldat ein wengerl mehr als daheim im Kasernenhof. Drum plärrn S’ net so rum und san S’ schön friedlich. Auf solchene Weis kemma wir bestimmt guat miteinander aus und dös wolln wir doch. Oder net?«

      Und dabei schaute der Loisl den Teichmann mit seinen schwarzen Kulleraugen so treuherzig an, dass Teichmann antworten musste: »Schön, Obergefreiter Brunner, versuchen wir es so rum.«

      Worauf der Loisl grinsend erwiderte: »Den Obergefreiten können S’ Eahna schenka, Herr Oberjäger. Sagen S’ einfach Brunner oder Loisl zu mir, dös passt mir am besten.«

      Seither rief Teichmann seine Mannen nur noch mit Familiennamen, und so ging es ganz gut. Was Teichmann aber insgeheim dachte, das ließ er sich nicht anmerken.

      Im Bunker war es schon dunkel geworden. Ein Hindenburglicht flackerte auf einer leeren Munitionskiste. Auf dem linken Lager spielte jemand auf einer Mundharmonika; es war ein gedankenvolles Musizieren, ein klangvolles Variieren von sentimentalen Weisen, mal volkstümlich, mal in bekannte Schlager überwechselnd.

      Alois Brunner, der Mechaniker aus Berchtesgaden, lag auf dem Rücken, die Beine angezogen, und spielte. Er hielt die Augen geschlossen. Am MG-Tisch gurteten zwei Soldaten Munition: der Obergefreite Ernst Amann aus Dachau und Franz Lämmer. Lämmer war erst vor acht Wochen durch einen Granatsplitter am Kopf verwundet worden, hatte sich aber nicht heimschicken lassen, sondern war nach kurzer Behandlung am Verbandsplatz und ohne sich dort abzumelden wieder zur Kompanie zurückgekehrt. Seitdem litt er oft unter Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit, machte davon aber kein Aufheben. Er war ein stiller Mensch, der jederzeit half und an seinen Kameraden hing; deshalb wollte er sich auch nicht irgendwohin in ein Lazarett abschieben lassen.

      »Man schickt mich sowieso wieder an die Front«, sagte er. »Da ist’s mir lieber, ich bleib gleich da.«

      Von Beruf war er Bäcker; er stammte aus Würzburg, wo er im Betrieb seiner Eltern half.

      Auf der linken Bunkerseite lagen zwei weitere Gestalten auf den Decken. Die eine, es war der Gefreite Walter Drexler, ein Münchner, schlief, die andere reinigte sich, auf dem Rücken liegend und die Beine übereinandergeschlagen, mit dem Taschenmesser die Fingernägel. Es handelte sich um den Gefreiten Ferdinand Koch, von Beruf Kellner und in Ruhpolding daheim.

      Der siebte Mann der Bunkerbesatzung, der bullige Toni Weiß, ein Fuhrknecht aus Aschau, stand unweit des Bunkers auf Posten.

      Teichmann saß im Lichtkreis des Hindenburglichtes und stopfte eine Socke. Sein knochiges Gesicht war über die Arbeit gebeugt. Er führte die Nadel mit auffallend langen und dünnen Fingern. Sein weizenblondes Haar war bürstenartig geschnitten,


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