Der neue Sonnenwinkel Staffel 2 – Familienroman. Michaela Dornberg

Der neue Sonnenwinkel Staffel 2 – Familienroman - Michaela Dornberg


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oder Hannes, bei dem Pamela sich jetzt aufhielt, alle machten ihnen Vorwürfe.

      Verflixt noch mal, sie wussten doch selbst, dass sie einen unverzeihlichen Fehler gemacht hatten. Da mussten sie alle doch nicht auch noch auf ihnen herumhacken.

      Ihr Fehler, den sie bereits tausendfach bereut hatten, war gewesen, dass sie ihrer Jüngsten nicht gesagt hatten, dass sie adoptiert war, dass sie als Einjährige nach dem schrecklichen Unfalltod ihrer leiblichen Eltern das Leben der Auerbachs bereichert hatte. Der richtige Zeitpunkt hatte sich nicht ergeben, oder es war etwas anderes dazwischengekommen. Sie waren in den Sonnenwinkel gezogen, als die Kleine bereits mehrere Jahre alt war. Niemand hier kannte sie und die genauen Verhältnisse, und die Adoptionspapiere waren unter Verschluss gewesen. Wie hatten sie denn ahnen können, dass die Behörde umziehen würde, die Akte herunterfallen würde, um dann in die Hände einer neugierigen Frau zu gelangen, die ihr Wissen einer Freundin in dem Eiscafé preisgab, in dem ihre Kleine am Nebentisch gesessen und alles mitbekommen hatte.

      Es war dumm gelaufen, es war eine Katastrophe und durch nichts mehr rückgängig zu machen. Und sie konnten Asche über ihr Haupt schütten, sie konnten schreiend ums Haus rennen.

      Es war geschehen!

      Pamela, ihre Bambi, hatte es von einer Fremden erfahren, und es war zu verstehen, dass sie aufgebracht gewesen war. Aber so aufgebracht, dass sie mit den Auerbachs nichts mehr zu tun haben wollte. Mit Ricky hatte sie noch geredet, Hannes, mit dem sie die meiste Zeit ihrer gemeinsamen glücklichen Kindheit hatte, der war nicht aus ihrem Leben verbannt worden, obwohl der doch auch ein Auerbach war. Zum Glück, musste man sagen. Als Hannes von dem Desaster gehört hatte, war er aus Australien sofort gekommen und hatte, das war schon verrückt, er war ihr jüngster Sohn, alles in die Hand genommen. Daran war zu erkennen gewesen, dass dieses Jahr Weltreise ihn erwachsen gemacht hatte. Aber Hannes war anders als ihre anderen Kinder. Sonst wäre er jetzt auch nicht als Surf- und Tauchlehrer in Australien gelandet und hätte angefangen zu studieren.

      Wie auch immer, Hannes war die Rettung gewesen, und Inge mochte nicht daran denken, was sonst alles hätte passieren können.

      So richtig traurig machte Inge, dass ihre Jüngste, und das war sie, ob nun adoptiert oder nicht, nichts mehr von ihnen wissen wollte. Sie waren doch die Eltern, und sie waren so eng miteinander gewesen. Das konnte nicht einfach vergessen sein. Sie hatten keine Straftat begangen, sondern waren aus Liebe zu Pam ein wenig nachlässig gewesen. Sie hatten ihr keinen Schmerz bereiten wollen. Ach, Inge wusste nicht mehr, warum alles so gekommen war, warum sie nichts gesagt hatten. Sie wusste nur, dass es ihnen jetzt um die Ohren geflogen war, und das tat unendlich weh. Sie hatten es gut gemeint und genau das Gegenteil erreicht.

      »Inge, ich weiß, dass du nichts hören willst«, sagte Teresa von Roth, »aber sich die Ohren verschließen, das hilft auch nichts. Ich bin übrigens nicht hergekommen, um dir wegen dieser unseligen Adoptionsgeschichte Vorwürfe zu machen, sondern ich bin gekommen, weil ich sehr besorgt bin. Werner und du, ihr zwei wart immer so eng, dass kein Blatt Papier zwischen euch passte. Jetzt zankt ihr euch wie die Kesselflicker. Man kann es bis nebenan hören. Mit Geschrei löst man keine Probleme. Das nur ganz nebenbei.«

      Ihre Eltern, Magnus und Teresa von Roth, waren in ihrem Leben durch so manche Hölle gegangen. Schwere Schicksalsschläge und eine materielle Notlage hatten sie verkraften müssen. Aber sie waren daran nicht zerbrochen. Sie hatten sich mit viel Fleiß und viel Arbeit ein neues Leben aufgebaut, das nicht im Entferntesten an das reichte, was sie einmal hatten, wer sie einmal waren. Aber sie waren stolz geblieben und hatten niemals mit ihrem Schicksal gehadert, sondern waren froh gewesen, ihr Leben und vor allem sich zu haben. Und sie hatten die zweite Chance, die sich ihnen geboten hatte, dankbar ergriffen. Ja, ihre Eltern, die waren schon zwei ganz besondere Menschen. Und bessere Eltern konnte man sich auch nicht vorstellen. Sie hatten für ihr einziges Kind alles getan und lieber verzichtet, um es Inge zukommen zu lassen. Dabei waren sie gewiss nicht nur einmal vor Heimweh und Schmerz erfüllt gewesen, aber das hatten sie sich niemals anmerken lassen. Sie waren zwei stolze, selbstbewusste Menschen.

      Inge wusste, dass man sich an ihren Eltern ein Beispiel nehmen konnte, aber leider war sie nicht so wie sie. Vielleicht lag es daran, dass sie niemals um etwas hatte kämpfen müssen. Sie hatte niemals etwas entbehrt. Wenn man sollte, hatte sie immer auf der Sonnenseite des Lebens gestanden, erst bei ihren Eltern, dann in ihrer Ehe mit Werner.

      An Werners Seite hatte sie die halbe Welt gesehen, war mit ihm überall herumgekommen. Sie hatten drei wundervolle Kinder, und dann war ihr Herzenskind Bambi in ihr Leben gekommen und hatte es sehr bereichert. Bambi wollte nicht mehr Bambi sein, sondern Pam genannt werden, was ja auch zu verstehen war, sie hieß schließlich Pamela. Doch diese Entscheidung von jetzt auf gleich. Das alles zerrte an ihren Nerven.

      Vielleicht war sie sich einfach zu sicher gewesen, hatte es sich in ihrem schönen Leben gemütlich gemacht und hatte es als Selbstverständlichkeit hingenommen. Und nun hatte sie die Quittung und wurde damit konfrontiert, dass es im Leben nicht nur Glück und eitel Sonnenschein gab und dass die Welt nicht immer heil war.

      Inge blickte zu ihrer Mutter hinüber, die für ihr Alter noch erstaunlich gut aussah und die unglaublich vital war. Von ihr ging eine positive Energie aus.

      »Möchtest du nicht doch etwas trinken, Mama?«, erkundigte Inge sich.

      »Also gut, ein Mineralwasser«, gab Teresa nach, und sie klang nun schon viel versöhnlicher, weil es ihr unendliche leidtat, dass ihre Tochter so sehr litt. Wenn sie könnte, da würde sie ihr so gern helfen, aber da musste sie jetzt allein durch.

      Inge holte Mineralwasser und zwei Gläser, setzte sich wieder.

      »Mama, ich leide doch auch sehr darunter, dass es zwischen Werner und mir andauernd diesen Zoff gibt. Seit das …, seit diese Geschichte passiert ist, sind wir beide voller Schuldgefühle, und irgendwie können wir nicht damit umgehen, und weil das so ist, blaffen wir uns andauernd an.«

      Teresa von Roth sah ihre Tochter bekümmert an.

      »Inge, und nun fang bitte nicht gleich wieder an zu weinen oder fühle dich angegriffen. Es soll kein Vorwurf sein. Du bist ja so empfindlich geworden, dass man sich kaum traut, dir etwas zu sagen. So, wie ihr miteinander umgeht, wird alles nur noch schlimmer. Und die gegenseitigen Vorwürfe, die bringen überhaupt nichts. Ihr habt es alle beide vermasselt. Und deswegen müsst ihr auch zusammen versuchen, das wieder in Ordnung zu bringen. Und ihr müsst aufhören, ewig auf diesem Thema herumzuhacken. Und immer dieses was wäre gewesen wenn … Das Kind ist in den Brunnen gefallen, und ihr seid auf dem harten Boden der Realität gelandet. Blickt nach vorne. So wie es war, wird es niemals mehr werden. Dafür ist zu viel passiert. Ihr müsst versuchen, euch alle wieder ganz vorsichtig anzunähern. Aber um das angehen zu können, musst du mit Werner wieder an einem Strang ziehen.«

      Inge blickte ihre Mutter an. Die hatte gut reden, die war so unglaublich stark. Und Inge wünschte sich von ganzem Herzen, wenigstens ein wenig so zu sein wie sie.

      »Ich glaube nicht, dass wir das noch einmal hinbekommen werden«, sagte sie ganz zaghaft.

      Teresa schüttelte den Kopf.

      »Wenn du so denkst, dann bist du schon verloren. Da gibt es von dem großen Tagore einen ganz wunderbaren Satz, den du dir merken solltest – Glaube ist der Vogel, der singt, wenn die Nacht noch finster ist.«

      Inge blickte ihre Mutter überrascht an. Ja, so war sie, sie wusste immer etwas zu sagen. Dieser Satz gefiel ihr, einfach so, weil er schön war. Aber ob sie das auf sich anwenden konnte, daran zweifelte Inge. Sie zweifelte an allem. So, wie sie jetzt drauf war, würde sie nicht den kleinsten Hoffnungsschimmer sehen.

      Aber es war schön, dass ihre Mutter hier war, auch wenn die mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg hielt. Meistens hatte sie ja auch recht.

      »Noch etwas, Inge. Ich weiß ja, dass Werner nicht da ist, und deswegen möchte ich dich bitten, heute Abend zu uns zu kommen. Ich werde für uns kochen, und dann machen wir uns einen gemütlichen Spieleabend. Du weißt ja, dass du deinen Vater damit immer erfreuen kannst.«

      »Danke, Mama«, sagte Inge.

      Teresa stand auf. Es


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