Cape to Cape. Tim Farin

Cape to Cape - Tim Farin


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Abenteuer, das ihr Leben verändern wird. Der Berufsabenteurer Anfang 30 und der Fotograf und Weltenbummler Anfang 50, bislang miteinander kaum vertraut, aber nun auf einer gemeinsamen Mission: den Rekord vom Nordkap nach Kapstadt aus eigener Kraft zu schaffen. Rauszugehen und ein neues Ziel zu erreichen.

      Dieses Buch erzählt von ihrer fantastischen Reise und den Abenteuern jenseits der bekannten Grenzen.

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      Einsamer Abenteurer: Afrikas Weite erlebte Jonas auf eigene Faust.

      SKANDINAVIEN (NORWEGEN & FINNLAND) ENDLICH GEHT’S LOS

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      Felsiger Startpunkt: Am Nordkapfelsen begibt sich das Duo auf die Rekordfahrt.

      »UND DANN STANDEN WIR PLÖTZLICH AUF DIESEM FELSEN«

      Es ist Sonntag, der 8. September 2019. Das Abenteuer des Langstreckenspezialisten Jonas Deichmann und des Fotografen Philipp Hympendahl beginnt auf einem riesigen Felsen 300 Meter über der tosenden Barentssee am Nordkap. Sie sind so weit nach Norden gefahren, wie es in Europa nur geht. Jetzt stehen sie auf einem Schotterplatz, durchsetzt von großen Felsstücken, und blicken auf den stählernen Globus mit sechs Beinen, ein Erkennungszeichen für die Menschheit. Es ist 9 Uhr morgens, der Wind hier am nördlichsten Punkt Europas weht aus südlicher Richtung, kein gutes Zeichen, doch im Moment ist kein Platz für Zweifel. Im Moment herrscht Aufbruchstimmung. Die Sonne scheint, es ist 5 Grad warm. Zumindest ist es wärmer als befürchtet.

      Seit dem gestrigen Abend um kurz vor elf sind die beiden hier oben in Norwegens kargem Küstengebiet, auf der Nordkapinsel Magerøya. Hinter ihnen liegen eine letzte Hotelübernachtung vor dem Start zur langen Fahrt in den Süden, ein beschwerlicher Anreisetag und eine kräftezehrende Vorbereitung, die Jonas und Philipp während der vergangenen Monate vollständig gefordert hat. Noch in Düsseldorf, wo sich Jonas und Philipp für die Abreise getroffen haben, hatten sie Stunden verloren. Jonas hatte lediglich einen neuen Aero-Aufsatz auf sein Rad montieren wollen. Am Ende verbrachte er vier Stunden in einer Werkstatt seines Sponsors. Der etwas höhere Aufsatz hatte nicht mehr auf den Lenker gepasst, also ließ Jonas auch den Lenker wechseln. Doch dafür mussten auch die Züge neu verlegt werden. Währenddessen wurde Philipp nervös, der 51-Jährige ist eher der Unruhige der beiden. Er machte sich Sorgen, ob sie noch alles schaffen würden, was sie vor dem Abflug vorhatten. »Wie kann es sein, dass man so kurz vor dem Start noch an sein Material geht?«, fragte sich Philipp. Doch er weiß es selbst: Irgendwas ist immer noch zu tun, egal ob Kirmesrennen oder Weltrekordversuch.

      ZEHN STUNDEN SITZEN – EIN ALBTRAUM

      Um die Bestmarke vom Nordkap in Norwegen nach Kapstadt in Südafrika zu erreichen, reisen die beiden mit dem Flugzeug so nah an das Kap wie möglich. Dafür müssen sie einmal umsteigen. Sie fliegen von Düsseldorf nach Stockholm, wo sie beim Umladen zur nächsten Verbindung schockiert ihr Sondergepäck in Empfang nehmen. Draußen regnet es – und die vollgepackten Pappkartons mit Rädern, Taschen und Proviant müssen in diesem Regen gestanden haben. Einer ist kurz vor dem Zerreißen. Fällt alles vor dem nächsten Einchecken auseinander, fehlt ihnen das Transportmaterial und sie können nicht mehr in den Anschlussflieger. Ein Schockmoment – aber die beiden können alles noch mit Folie sichern, ehe es weitergeht mit der nächsten Maschine nach Luleå. Dort ist das Gepäck zum Glück noch in Ordnung, und es geht per Auto weiter. Der norwegische Fotograf Paul holt die beiden ab, er ist ihr Kontaktmann für den nördlichsten Teil der Reise, hat im Polarkreis die letzten Vorbereitungen für den Start getroffen. Zehn Stunden Fahrt sind es bis auf die Nordkapinsel. Zehn Stunden im Auto sitzen, der Albtraum eines Radsportlers. Aber das ist ein kleiner Aufwand im Vergleich zum Gesamtprojekt.

      Jetzt stehen sie also hier, die Kameras des Filmteams auf sie gerichtet. Die Sonne steht bereits am Himmel. Sie sind später eingetroffen als geplant. Lieber wären sie schon vor ein, zwei Stunden hier gewesen. Aber auch Philipp hatte noch Materialprobleme, ein Ventil war verklebt – so kurz vor dem Start eine Situation zum Verzweifeln. Gleich geht diese Reise los – und Philipp kriegt ein kleines Metallteil nicht gedreht. Er weiß schon jetzt, auf dem Nordkapfelsen, dass ihm das in den kommenden Wochen Ärger machen wird. »Das Glück war von Anfang an sehr unterschiedlich auf uns verteilt«, wird Philipp später feststellen. Jonas kommentiert so etwas nur mit einem Lächeln, auch wenn er aussieht, als liege ihm etwas auf der Zunge. In seinem Weltbild hat vor allem Pech immer auch etwas damit zu tun, dass man die Zügel nicht richtig in der Hand hält.

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      Surreale Landschaft: Am Polarkreis ist es wellig, felsig und grün.

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      Berühmte Wegmarke: Der Globus am Nordkap lockt Touristen aus aller Welt.

      Endlich sind genug Aufnahmen im Kasten für Film, Buch und Social-Media-Accounts. Endlich kann es losgehen. Dass auf diesem windigen Eiland ein Rekordversuch startet, der zahlreiche Menschen elektrisieren wird, lässt sich an der Kulisse und an den Umstehenden nicht ablesen. Ein paar Angestellte des Hotels von gestern Nacht sind da. Ansonsten ist kaum ein Mensch zu sehen, als Deichmann-Hympendahl die 18.000-Kilometer-Strecke in Angriff nehmen. »Das hätte ich mir irgendwie spektakulärer vorgestellt«, erinnert sich Philipp.

      Im nächsten Moment durchzieht die beiden aber ein tiefes Glücksgefühl. »Es ist so verdammt cool, jetzt hier zu sein und loszulegen«, entfährt es Philipp. Jonas kennt dieses Gefühl. »Das Schwierigste ist immer, an die Startlinie zu kommen. Vorher kannst du immer noch abspringen, aber wenn du unterwegs bist, ist alles abgehakt, ist erst einmal kein Platz mehr für Zweifel.« So rollen die beiden auf die E69 in Richtung Festland. Jonas ahnt an diesem sonnigen Sonntagmorgen noch nicht, dass ein Geheimnis mitfährt.

       »Das Schwierigste ist immer, an die Startlinie zu kommen. Vorher kannst du immer noch abspringen, aber wenn du unterwegs bist, ist alles abgehakt, ist erst einmal kein Platz mehr für Zweifel.«

      DIE RENTIERE SIND ÜBERALL

      Sie sind froh, in die Pedalen zu treten. Die Landschaft raubt ihnen für einige Zeit sogar die Sprache, auf dem Rad erlebt man sie besonders intensiv. Ganz oben im Norden Europas gibt es keine Bäume mehr, sondern eine felsige, grüne und vor allem enorm hügelige Landschaft mit einer gut gepflegten Straße und klarem Licht, das strahlende Farben hervorbringt. »Das ist ein Naturspektakel«, staunt Jonas, der ja schon einiges gesehen hat. »Wenn man sich die Vegetation anschaut, lässt sich erahnen, dass wir mit den Bedingungen sehr viel Glück haben«, sagt Philipp. Es passiert durchaus, dass es hier oben im arktischen Kreis nicht nur stürmt, sondern auch schneit, im September ist das durchaus möglich. Deswegen ist das windig-helle Wetter für die beiden ein Glücksfall. Verkehr gibt es kaum, zumindest keinen Straßenverkehr. Allerdings wimmelt es nur so von Rentieren, sie sind überall in der Landschaft, auf den felsigen Grasflächen und auch auf dem Asphalt.

      Nach etwa 45 Kilometern wird es zum ersten Mal ungemütlich. Es geht etwa drei Kilometer schnurgerade unter die Erde, in einen Tunnel, der 212 Meter unter dem Meeresspiegel liegt. Der Tunnel verbindet die Nordkapinsel mit dem Festland. Und er bietet einen brutalen Vorgeschmack auf das, was kommen wird in den nächsten Tagen. Von ganz unten müssen Jonas und Philipp wieder fast drei Kilometer nach oben klettern. Mit vollem Gepäck an ihren Rahmen ist die Steigung von gut neun Prozent eine ordentliche erste Probe.

      Weiter geht es entlang des Porsangerfjords, eines weiten und beeindruckenden Gewässers, an dessen westlichem Ufer die beiden nach Süden radeln. Sie sehen sanftes grünes Land, aber auch Geröllfelder an einem der längsten Fjorde Norwegens und überall die Kulisse der majestätischen Berge. Der Wind bläst genau in die für Philipp und Jonas falsche Richtung, genau in ihr Gesicht. Er macht


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