Der Messias vom Stamme Efraim. Moische Kulbak

Der Messias vom Stamme Efraim - Moische Kulbak


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ganze Woche lag er so auf dem Berg.

      Die Kuh trottete allein über die Felder und stillte ihren Hunger an Stroh und süßem Nichtstun.

      Benje hatte alles um sich vergessen und lag da wie tot.

      Im Morgengrauen flog zuweilen eine Elster aus den Nebeln und ließ sich auf seinem Rücken nieder wie auf einem Schwein. Doch er achtete nicht darauf. Er lag in tiefem Schlaf, unfähig zu scheiden zwischen der Wirklichkeit und den Träumen, die ihm durchs Hirn gingen.

      Und er wußte nicht mehr, ob er ein Mensch war oder ein Stein, der mit Flechten bewachsen am Wegrand lag.

      Und eines Abends saß er kraftlos am Abhang des Hügels. Seine baumelnden Beine stießen gegen den Lehm, und er, Reb Benje, guckte, dachte an nichts, saß nur still da und guckte.

      Er wußte nicht, was ihn in seinem Inneren zwang, alles zu schauen, doch es bereitete ihm großes Behagen. Allmählich erfüllte ihn ein Staunen, seine Augen wurden groß und rund, und für eine Weile vergaß er zu atmen.

      Vor ihm erstreckte sich die Welt, weit und kalt, und Gott war in ihr.

      Sie hallte wider wie eine blaue Eishöhle, und in dieser Höhle kroch er einsam herum wie ein schmutziger Bär.

      Er stellte sich mit den Vordertatzen gegen die kalten Brocken und guckte und guckte. Er suchte IHN, Gott, der sich vor ihm verbarg.

      Das funkelnde Eis der Höhle glitzerte blau.

      Und da …

      Da sah er IHN, Gott. Gleich darauf war er wieder verschwunden.

      Aber er hatte Gott gesehen!

      Und eine große Freude durchströmte seine Glieder, eine dünne und lichte Freude, er lächelte: Ein Joch war ihm vom Herzen abgefallen.

      Reb Benje erhob sich, strahlend vor Freude und Güte, und plötzlich entrang sich seiner Brust ein Schrei, ein dumpfes Brüllen, wie das Brüllen seiner Kuh. Er stemmte die Hände in die Hüften, und die untergehende Sonne übergoß ihn mit Röte.

      Reb Benje, der Müller, war geheiligt worden.

      Im Westen standen im Licht der schwindenden Sonne gehäutete rote Ochsen, wie beim Berit bejn Habetarim – bei Gottes Opferbund mit Abraham.

      Er verstand nun die Welt bis ins Mark seiner Knochen, bis in die brennende Haut seines Leibs. Lächelnd sah er auf die Kleider, die er trug: In Fetzen hingen sie an ihm herab, in Fetzen.

      Reb Benje stieg den Hügel herab. Die alte Mühle war zugewachsen und älter geworden, und aus einer Wand sproß gar ein junger Baum.

      Er ging zur Tür und wollte schon ins Zimmer treten, als ihm etwas Einhalt gebot: Er hörte eine Stimme voller Tränen und Freude.

       Levi Pataschnik

      Eines trüben Abends stand Levi Pataschnik am offenen Geldschrank wie vor einem geöffneten Toraschrein, das weichende Tageslicht legte sich auf die schattigen Tapeten, schimmerte und malte helle Flecken auf die dunklen Dielen. Ein Haufen funkelnder Münzen glühte rot aus dem Schrank, blitzte und stach ihm ins Herz. Atemlos wühlte Levi im Geld.

      Er ließ das Gold langsam durch seine Hände gleiten, wie man weichen Sand durch die Finger rinnen läßt, und lauschte scharf seinem Klang, dem unverwechselbaren Klang des Goldes.

      Seine feiste Hand, rosig gefärbt vom vergehenden Tag, strich über die Münzen und berührte sie zärtlich wie ein Bursche das Haar seines Mädchens.

      Ein geheimes tiefes Summen drang aus dem Schrank. Gold!

      Ströme von Gold pulsieren unter der Erde, und die Augen der Menschen funkeln golden.

      Und oben, über den goldenen Sternen, thront Gott auf seinem Königsstuhl von Gold.

      Levi Pataschnik schloß sacht die schwere Tür des Geldschranks und hielt sich an der Oberkante fest, um nicht zu fallen. Sein Kopf sank ihm schwer auf die Brust.

      Der unermeßliche Abend kroch nagend ins Zimmer.

      Mit gesenktem heißem Kopf lehnte sich Reb Levi an das kalte Eisen des Schranks, die Knie knickten ihm vor Müdigkeit ein, die Augen fielen ihm zu, und tief in seiner Brust löste sich ein schwerer glühender Tropfen. Er fiel in sein inneres Dunkel hinab und zerschnitt ihm die Eingeweide mit siedendem Schmerz.

      Im Schatten der Tür stand der älteste Gast.

       Simche Plachte

      Unweit der Mühle, ein paar Werst entfernt, wohnte ein Jude im Wald: Reb Simche Plachte.

      Er hatte hart gearbeitet und sich gesagt: Hart ist das Leben so oder so, also lebe ich besser im Wald.

      Er hatte sich ein Häuschen aus Zweigen und Gras gebaut und die Wände innen und außen mit Lehm verschmiert. Reb Simche Plachte war ein fröhlicher Mann, er nährte sich von Gemüse, trank Wasser und rauchte ein Kraut, das er selbst zubereitete.

      Reb Simche hielt Hühner und Tauben. Hühner hielt er, weil sie Eier legten, die zum Essen taugten, und Tauben, weil sie Eier legten, die nicht zum Essen taugten.

      Reb Simche traf sich mit niemandem, er war auch so glücklich.

      Er lächelte ständig – rauchte seine Pfeife, schloß halb die Augen und lächelte: Zu wem, das wußte man nicht. Er redete laut mit sich selbst, denn er war immer allein.

      Im Winter saß er in seiner Hütte und erzählte sich Anekdoten, im Sommer suchte er frische Wiesen und Waldlichtungen auf und vollführte dort allerlei Tänze.

      Er war ein großartiger Tänzer!

      Und der Frühling machte ihn vollkommen trunken: Als Sechzigjähriger stieg er dann auf die Bäume mit der Gewandtheit eines Buben.

      Er betrug sich, als er wäre er nicht ganz bei Sinnen.

      Reb Simche aß gerne die Blütenknospen der Bäume. Er kletterte durchs Zweiggeflecht und sang wie ein Kanarienvogel.

      So lebte er dort im Wald.

      Ja, Reb Simche sah aus wie ein Goi, auf dem Kopf trug er einen Strohhut und an den Füßen Schuhe aus Birkenbast, aber er hatte einen Bart, einen gewaltigen jüdischen Bart von lichtem Grau.

      Sein Bart war wunderschön!

      Als junger Mann war Reb Simche Wasserträger gewesen, in späteren Jahren wurde er dann ein chassidischer Rabbi, der bekanntlich einen frommen Tisch führt und ein großes Gefolge hat. Doch das Leben unter den Menschen war ihm gar zu beschwerlich. So ging er fort und ließ sich nieder im Wald.

      Als Eremit.

      Und wenn der Wind über Baumkronen bläst und Zweige abbricht, was tut Simche Plachte dann?

      Mit der Pfeife im Mund sitzt er auf einem entwurzelten Stamm im Unterholz und lauscht und lauscht:

      Die Nester fallen aus den Bäumen.

      Angstvoll fliegen die Vogelmütter zur Erde hinab, doch ihre geschlüpften Küken sind schon tot. Nur da und dort regt sich noch ein nackter Flügel.

      Ein Klagen hebt an.

      Dann sitzt Reb Simche im Dickicht, er lauscht und lauscht, alle Haare am Körper sträuben sich ihm und zittern. Seine Zähne leuchten durch das Unterholz, und die Augen brennen vom Sturm.

      Und wenn ein langer blauer Blitz in den Wald fährt und mit brennender Peitsche über die Bäume schlägt, was tut Simche Plachte dann?

      Er richtet sich auf, die Hände zum Himmel gestreckt, und will ihn packen, den Blitz in seinem Lauf, und sein Bart ist zerzaust, und von seiner zottigen Brust steigt der Wasserdampf.

      Simche Plachte war selber ein Wald!

      Aber wenn es still wird.

      Wenn der klare nasse Wald die Rufe der Kuckucksvögel erwidert und die Walderdbeeren wie Blutspritzer im Grase liegen.


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