Wölfe. Philipp Probst

Wölfe - Philipp Probst


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bisschen, vor Rührung», log Selma. «Kommst du mit?»

      «Mit? Wohin?», fragte Charlotte.

      «Feiern!»

      «Wir sind dabei», sagte Jonas und legte seinen Arm um Charlotte. Diese schaute ihn ziemlich verdutzt an. «Keine Widerrede, Charlotte», sagte Jonas. «Wir zeigen jetzt dem jungen Gemüse, wie man richtig feiert.»

      Mit seinen schweren Schritten und seinen roten Boots liess Jonas Haberer die Mittlere Rheinbrücke erzittern. Klack – klack – klack. Zielstrebig und als klarer Leader der kleinen Vernissagetruppe steuerte er im Kleinbasel die erste Kneipe an und bestellte vier Glas Sekt und fünf Bier.

      «Warum fünf Bier?», wollte Lea wissen. «Ihr seid nur drei Männer.»

      «Wirst du gleich sehen, Süsse», meinte Haberer und lachte laut. So laut, dass alle anderen Gäste zu ihm schauten. Als die Bestellung serviert wurde, leerte Jonas Haberer das erste Bierglas in einem Zug. Das zweite ebenso. Dann ergriff er das dritte und prostete allen anderen zu: «Hatte ich vielleicht einen Durst, goppeloni!» Das «Goppeloni» versuchte er in Baseldeutsch auszusprechen, was ihm als Berner nicht wirklich gelang. «Ein Kumpel aus Basel sagt das immer, goppeloni, ein Kriminalkommissar, ein Kommissär, wie man hier sagt.» Wieder lachte er laut heraus. Dann hustete er ebenso laut und sagte: «Schluss damit! Wir trinken auf unsere fantastische Künstlerin, Selma Legrand-Hedlund genannt Selmeli!»

      «Haberer», fauchte Selma, lächelte ihn daraufhin aber charmant an.

      «Ich darf Selmeli sagen», meinte Haberer. «Ich und deine Mama.»

      Während alle anderen an ihren Gläsern nippten, leerte Haberer auch das dritte Bier in einem Zug. Und bestellte sich ein viertes.

      Er nahm Selma am Arm und sagte: «Deine Bilder sind okay. Aber du bleibst Reporterin, klar?»

      «Meine Kunst ist brotlos …»

      «Zum Glück. Und noch was, bevor ich betrunken bin: Ich habe einen neuen Job für dich.»

      «Oh! Was denn?»

      «Habe ich vergessen. Erzähle ich dir morgen beim Frühstück.»

      «Frühstück?»

      «Prost, Selmeli!»

      Nach dem Besuch des ersten Lokals verabschiedete sich Selmas Schwester Elin. Nach dem zweiten Lokal Lea. Ihr Partner Georg war bereits zünftig in Schuss, hatte einen Narren an Selma und Jonas Haberer gefressen und wollte unbedingt noch weiterziehen. Das machte Lea ziemlich sauer. Marcel rettete die Situation, in dem er anbot, Lea ein Stück weit zu begleiten.

      «Bringst du sie nach Hause, bitte?», fragte Selma.

      «Klar.» Marcel gab Selma drei Küsschen. «Pass auf dich auf, Liebste.»

      «Pass auf dich auf, Liebster», sagte auch Selma und drückte ihn an sich – was definitiv nicht zu ihrem «Liebste und Liebster»-Ritual gehörte.

      «Können wir endlich weiter?!», brüllte Haberer, legte den Arm um Selmas Mutter und steuerte nun im Basler Rotlichtmilieu eine ziemlich düstere Spelunke an. Die Bar war heruntergekommen, der rote Samt an den Wänden schmutzig, die roten Lampen staubig.

      Haberer bestellte wiederum Sekt für die Damen und Bier für die Herren. Selma spürte mittlerweile den Alkohol, und ihre Füsse in den hohen Schuhen schmerzten. Sie setzte sich an die Bar. Rechts neben ihr nahmen Jonas und Charlotte Platz, links Georg.

      Bald spürte sie eine Hand an ihrer Hüfte.

      Es war Georgs Hand. «Weisst du eigentlich, dass du umwerfend sexy bist?», sagte er leicht lallend. «Das wollte ich schon lange einmal sagen.»

      Selma stand auf und lächelte die Anmache weg. «Ich glaube, ich sollte nach Hause.» Sie wandte sich zu Charlotte, die mit Haberer eifrig diskutierte: «Mama, was meinst du? Gehen wir?»

      «Ich bin in besten Händen, Liebes», sagte Charlotte und lächelte Jonas Haberer an. «Wir reden über Kunst.»

      «Über Kunst … aha.» Selma war erstaunt. Haberer und Kunst – diese Kombination war ihr gänzlich unbekannt. Und sie konnte sie sich auch nur schwer vorstellen.

      Georg hielt plötzlich Selmas Arm fest und sagte: «Du bist doch auch in besten Händen, Selmeli.» Er griff mit der anderen Hand an Selmas Po.

      Selma zog ihren Arm weg, warf Georg einen stechenden Blick zu und sagte zu Haberer: «Wir gehen!»

      «Wir gehen?»

      «Wir gehen!» Selmas Augen funkelten.

      Haberer verstand: «Muss ich wegen einem Grapscher meinen Goppeloni-Polizisten-Kumpel rufen?» Haberer holte demonstrativ sein Handy hervor.

      Georg schaute ihn verdattert an.

      Haberer zahlte und führte die beiden Damen aus dem Lokal. Als Georg ihnen folgen wollte, sagte Haberer: «Bestell dir ein Taxi!»

      Klack – klack – klack. Haberer übertönte mit seinen Boots das spitze Klacken von Selmas und Charlottes hohen Absätzen. Mutter und Tochter hatten sich bei ihm eingehängt.

      «Das war widerlich!», echauffierte sich Selma, als sie durch die menschenleere Stadt gingen. «Ich wusste nicht, wie schrecklich Leas Partner ist, furchtbar.»

      «Hast du wirklich einen Freund im Kommissariat, Jonas?», fragte Charlotte.

      «Na ja, in meinem früheren Leben als richtiger Reporter, als Boulevard-Ratte. Lange her. Da habe ich noch in der Gosse recherchiert. Heute besuche ich Vernissagen! Verdammt, was ist bloss aus mir geworden?!» Er lachte. Er lachte laut. Sein Lachen hallte durch die Gassen. Dann räusperte er sich und sagte: «Ich habe Hunger. Gibt es noch einen mitternächtlichen Schwedenschmaus?»

      «Oh, Gott, nein!», rief Selma.

      «Hering habe ich immer im Haus», sagte Charlotte. «Und Schnaps ebenso!»

       3

      «Skål!» Immer wieder «Skål!»

      Charlotte Legrand-Hedlund, die Kunsthistorikerin und Dame aus besserer Gesellschaft, sowie Jonas Haberer, der rüpelhafte Ex-Chefredaktor und jetzige Medienunternehmer, prosteten sich nach jedem Hering mit einem Gläschen Aquavit zu. Als die Flasche leer war, Haberer aber noch nicht genug hatte, holte Charlotte eine fast volle Flasche Absolut, schwedischen Wodka.

      «Skål!»

      Selma konnte es kaum fassen, dass ihre Mutter überhaupt noch stehen konnte. Sie hatte sicher die meisten Sekt- und Schnapsgläser irgendwo ausgeleert. Und stattdessen viel Wasser getrunken. Jedenfalls nippte Charlotte immer wieder an einer Petflasche.

      «Los, Selmeli, du Spassbremse!», grölte Jonas. «Zieh dir auch einen Hering rein – und vor allem Schnaps. Ihr Skandinavier sauft doch alle bis zum Umfallen. Da bin ich dabei.»

      «Ich bin Schweizerin», protestierte Selma. «Aber gut, her mit dem Zeugs. Dieser ekelhafte Georg hat mir den Rest gegeben. Jetzt gebe ich mir die Kante! Skål!»

      «Ich mache ihn fertig», sagte Haberer. «Aber erst morgen.»

      Da Selma Vegetarierin war, verzichtete sie auf einen Hering und trank den Wodka pur. Haberer schenkte ihr gleich noch einmal ein. Auch dieses Glas leerte Selma.

      Fünf Minuten später war ihr übel. Alles drehte sich. Sie streifte die Pumps von ihren Füssen und stand vorsichtig auf. Sie wankte. Wie sie von Mutters Wohnung im ersten Stock zu ihrer eigenen Wohnung im dritten gelangen sollte, war ihr schleierhaft. Sie nahm sich deshalb vor, sich kurz auf Mamas Bett zu legen, danach Jonas nach Hause oder irgendwohin zu schicken und dann in ihre Wohnung zu steigen und schlafen zu gehen.

      In Charlottes Schlafzimmer liess sie sich aufs Bett fallen. Sie fühlte sich wie auf einem Karussell. Selma schloss die Augen.

      Als sie aufwachte, war es hell. Sie lag immer noch auf Mamas Bett. Und sie trug immer


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