Himmel. Sandra Newman

Himmel - Sandra  Newman


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wiederholte er. »Ja, plötzlich habe ich richtig Lust darauf.«

      »Wir könnten auch so ziemlich alles andere machen.«

      »Ja, darauf hätte ich auch große Lust.«

      Dann spürten sie, dass man ihnen zuhörte, und sie blickten sich zu dem Tisch mit den Hausgästen um, bereit, sich in stillschweigenden Beglückwünschungen zu sonnen.

      »Wie süß«, sagte Sabine hinter ihnen. »Aber – Kate? Du solltest nicht einfach so meinen Hund mitnehmen.«

       4

      Wenn Kate verliebt war, wurde der Traum stärker. Sie schlief noch immer in ihrem Traum. Die Person, als die sie schlief konnte nicht aufwachen. Doch Kate konnte ihre Traumwelt erahnen; sie erwuchs rund um ihr Bett zu einer Stadt. Jenseits der Stadt lagen Felder, und das Traumvieh schüttelte die Hörner unter der trüben Traumsonne; Schiffe segelten über ein leuchtendes Traummeer. Am stärksten war der Traum, wenn Kates Herz gebrochen war. Dann schlief sie ein, als ob sie aus dem Leben und wieder ins Leben hineinfallen würde, und der Traum nahm eine Wendung ins Numinose, wie es auch in der Realität passiert, selbst im blinden Schlaf war er klar und lebendig. Sie hatte keine zufriedenstellende Erklärung dafür, doch sie spürte, dass der Traum durch die Liebe beflügelt wurde.

      Nach ihrem ersten Kuss träumte sie also das Bett, in dem ihr anderes Selbst lag, die muffigen Samtvorhänge, die es umgaben. In der Nacht, nachdem sie das erste Mal Sex gehabt hatte, träumte sie eine Katze, die neben ihr schlief, sich streckte und ihr eine kleine, aber deutlich spürbare Pfote in die Rippen drückte. Nachdem ihr erster Freund fremdgegangen war, träumte sie den Lorbeerduft der Weihnachtsgirlanden und wusste, dass sie einen ganzen Tag darauf verwendet hatte, sie anzufertigen; sie konnte ihre steifen, wunden Hände spüren. Als Nick sie für Phuong verlassen hatte, erwartete sie, dass der Traum seinen Verlust kompensieren würde, und ihre Traurigkeit war eine Ekstase, eine Schuld, eine geheime Erregung.

      Tatsächlich kam der Traum in diesen Wochen näher. Namen tauchten in ihrem Bewusstsein auf, fantastische Namen der Traumorte und Traummenschen. In ihrem Schlaf hörte sie die Glocke von St. Sepulcrum schlagen; sie erklang, wann immer jemand zur Hölle gefahren war. Da war eine Schauspieltruppe, deren Anführer ein gewisser Lord Strange war – einmal war sie auf einem Pferd mit schwarzer Mähne geritten, um die Schauspieltruppe zu sehen; sie hatte eine samtene Maske getragen. Und es gab Nonesuch Palace, wo sie einer Königin zu Füßen gesessen und auf einer Elfenbeinflöte gespielt hatte. Die Königin hatte einen Umhang aus silberner Spitze getragen, der mit riesigen Spinnen bestickt war; ihr Name war Cynthia, und sie herrschte über den Mond. Sie hatte einen wehen Zahn und ihre Wange war geschwollen. Die Hofadligen brachten ihr Tränke und Arzneien, doch nichts konnte ihren Schmerz lindern.

      Emilia musste etwas tun. (Emilia war Kates Traumname). Es galt, einen Auftrag zu erfüllen oder eine Nachricht zu übermitteln – im Traum hatte Emilia keine Zeit zu verlieren. Doch Emilia konnte einfach nicht aufwachen. Nur Kate konnte aufwachen, in New York, was weder hier noch dort war – es bedeutete, zu fiedeln, während Rom in Flammen stand.

      Kate erwachte also in New York und sollte aufstehen. Sie sollte ihren Traum vergessen, ihn unter der Dusche von sich abwaschen. Sie sollte sich einen Job suchen.

      Sie dachte: Wenn ich Nick wirklich lieben würde, könnte ich aufwachen. Sie würde denken: Wenn er mich lieben würde. Außerdem würde sie denken, dass auch andere Menschen wiederkehrende Träume hatten und es nicht unbedingt etwas zu bedeuten hatte. Der Gedanke kam ihr, aber sie glaubte nicht daran. Sie glaubte an den Traum.

      Zu glauben war schließlich etwas Wunderbares. Das war das Problem mit den Atheisten (dachte Kate); sie hatten womöglich recht, doch ihr Unglaube war utilitaristisch, freudlos, wie ein brutalistisches Gebäude. Niemand würde darin leben wollen. Niemand konnte wollen, dass sie recht hatten.

      Sie glaubte. Und in der echten Nacht, die sich über New York City gelegt hatte, spazierte sie den Fluss entlang und betrachtete den Mond. Er war bleich und echt. Ein Fels. Auf ihm gab es keine Cynthia, die in der kühlen Luft von Nonesuch Palace tanzte, keine Silberkönigin mit in der Mondbrise flatternden Spinnen, kein Mädchen, das auf dem mit Stroh und Blumen übersäten Boden saß, in einer Flut kunstvoll bestickter Röcke, und auf einer Elfenbeinflöte spielte.

      Einstweilen hatte sie keinen Job. Sie hatte ihr Studium abgebrochen. Ihr Leben führte nirgendwohin. Doch man kann nichts tun, dachte Kate. Der Traum war ihr einfach passiert. Er war eines jener Vorkommnisse, bei denen das Beste daraus zu machen bedeutete, sie vor anderen zu verheimlichen.

       5

      Die ersten Wochen des Verliebtseins: was er sich als Kind unter Magie vorgestellt hatte, wonach er sich sehnte, wenn er davon träumte, auf einem Drachen zu reiten. Alles war so anders. Allein, wie Kate den Kopf hob und ihn ansah. Er durchquerte die ranzige Kneipe, ihrem Lächeln entgegen, und ihre Hand in seiner Hand ließ seinen Körper vor Freude glühen. Er spürte es in seinen Füßen. An der Wand hinter ihr erschien das uralte Tour-de-France-Plakat in seinem Rahmen wie gesegnet, es war lebendig und bedeutsam. Sexuell aufgeladen. Nichts könnte je wieder so gut sein, und er fühlte den erschütternden Schwindel dieser Gewissheit, dieses Greifens nach dem Moment, der den Griff nicht erwiderte.

      Die Furcht, wenn er gelegentlich zu ihr herübersah und nichts fühlte. Die Erleichterung, wenn sie lächelte und wieder überwältigend schön war.

      Oder aber sie könnte ihn einfach verlassen.

      Ben hatte einen Job bei einem Fachmagazin für Energiewirtschaft, einen Job, den er vor anderen als vorübergehend und peinlich herunterspielte, heimlich aber sehr mochte. Er schrieb Pressemitteilungen um. Er focht Querelen mit dem Herausgeber aus und trank zehn Becher Kaffee. Er nahm an Konferenzen in Pittsburgh teil, bei denen ein Meer von Anzügen ein Holiday-Inn-Hotel flutete und zu einer gewissen Stunde der eine Anzug den anderen aufforderte, einen Stripclub in den Gelben Seiten herauszusuchen. Es war gewöhnlich, es war seelenlos; ein bequemes Nichts, als würde man ins Büro gehen, um den ganzen Tag Karten zu spielen.

      Was jetzt von Bedeutung war: es war ein Job, bei dem man um fünf nach Hause gehen konnte.

      Kate hatte nie etwas vor. Er holte sie bei Sabine ab, und dann spazierten sie durch New York, schufen sich eine persönliche Geografie der Bahnstationen, in denen sie sich geküsst, der Bars, in denen sie bahnbrechende Gespräche geführt hatten, die ganzen letzten Sommertage hindurch, in die sich eine feine Kühle schlich, dann eine ernsthafte, bis sie zu ersten sonnigen Herbsttagen wurden. Überall waren sie ein verliebtes Paar. Sie waren ein eigenes Gestirn, unverwundbar; lachten selbst auf einem brechend vollen U-Bahnsteig noch fröhlich, in dem Gestank und der tropischen Hitze, während die Linie F einfach nicht kommen wollte und die anderen Fahrgäste ein verbissenes Elend durchlitten, das Ben sich nun nicht einmal mehr vorstellen konnte. Wie hatten diese Kleinigkeiten ihm je auf die Stimmung schlagen können?

      Und es ging zurück zu Sabine – immer wieder dorthin. Bens Wohnung war zu trostlos, im Schlafzimmer war Linoleumfußboden. Kate hatte auch ein Zuhause – eine WG in Brooklyn –, aber irgendwessen Bruder schlief gerade in ihrem Zimmer, und überhaupt mochte Kate keine Zimmer; sie fühlte sich darin wie eine Puppe, die man in einer Schublade verstaut hatte. Also saßen sie auf Sabines Dachterrasse, wo Kate sich gluckenhaft um das vom Aussterben bedrohte Gras kümmerte, es streichelte und sich sorgte, dass es die Anden vermissen oder ihm der hiesige Regen missfallen könnte. Wenn der hiesige Regen tatsächlich fiel, gingen sie hinein, in die Bibliothek des Onkels, wo Kate für gewöhnlich auf einem Schaffell schlief; auf ihm war ein Halbkreis von rosa Flecken zu sehen, wo ihr Lippenstift auf die Wolle abgefärbt hatte. Als Ben dazukam, holte sie einen Futon, und sie hatten stundenlang Sex unter den Büchern, die in deckenhohen Regalen die Wände füllten, Bücher, die im Dunkel jenseits der Leselampe mit großem Ernst ihre tausend Geschichten zu denken schienen, während Ben und Kate überhaupt nicht dachten, sondern nur stöhnten und fühlten und sich in diesem Zwielicht wie Tiere vorkamen.

      Jenseits der Tür zur Bibliothek


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