Österreich im Jahre 2020. Josef von Neupauer
dann in einer wüsten Nacht wieder in das Boston vom Jahre 1887 zurück.
Mit diesen Eindrücken hat mich ein gewisser Edward Bellamy seinen Lesern vorgeführt und mich gegen gutes Honorar meine Erlebnisse erzählen lassen.
Dann wachte ich wieder im verjüngten Boston auf, wurde als Professor der Geschichte am Shawmut-College dort angestellt, sollte meine Zuhörer mit Hass gegen die Periode des Wettbewerbs erfüllen, was mir nicht gelingen wollte, da jedermann mit der Gegenwart unzufrieden war, und lernte nach Beendigung meiner ersten Vorlesung einen Mr. Forest kennen, der von allen der Unzufriedenste war, weil man ihn vom Professor der Geschichte zum Pedell degradiert hatte, und wurden mir von diesem die Augen geöffnet über die abscheulichen Zustände, die der Kommunismus in den Vereinigten Staaten gezeitigt hatte, und er belehrte mich nicht nur über die Mängel des Kommunismus, sondern er unterwies mich auch, wie wir den Mängeln unserer ehemaligen Gesellschaftsordnung hätten abhelfen können, ohne sie ganz zu untergraben.
Ich habe Herrn Forest ebenso gläubig zugehört wie früher dem Dr. Leete; und wurde ich dann von einem gewissen Richard Michaelis in Chicago neuerdings mit Honorar angestellt und demselben Publikum vorgeführt, das ich das erste Mal zu unterhalten die Ehre hatte, wobei ich bemüht war, die gänzliche Haltlosigkeit meiner früheren Auffassung klar zu machen. Ich endete meinen damaligen Bericht mit der Darstellung, wie Dr. Leete erschlagen, seine Tochter vergewaltigt und Mr. Forest in Verteidigung seines Gegners Dr. Leete geschlachtet wurde, womit ich auf Wunsch des Mr. Richard Michaelis schlagend bewies, dass die Klagen, die Mr. Forest vorbrachte, gerecht waren; denn wie hätte ein ungerechter Mann es über sich vermocht, seinen Feind zu verteidigen, der durch die Hand eines Dritten fallen sollte!
Ich war nun ebenso überzeugt, dass der Kommunismus die erbärmlichste Einrichtung sei, als ich vorher für denselben geschwärmt hatte, und ich bedauerte, dass Mr. Forest im Kampfe gefallen war, da ich Arm in Arm mit ihm das 21. Jahrhundert gerne hätte in die Schranken fordern mögen.
Nun ereignete sich aber das Verwunderliche, dass Mr. Forest sich doch erholte und langsam von seinen furchtbaren Wunden genas. Ich pflegte ihn wie meinen Bruder und las ihm Bücher und Briefe vor, um ihm seine Lage zu erleichtern. So auch einen Brief aus Tulln, einem unbekannten kleinen Orte in Österreich, den wir auf keiner Karte finden konnten.
In diesem Briefe sprach ein gewisser Zwirner den Wunsch aus, Mr. Forest kennen zu lernen, da er in einer alten Zeitung, „Boston Gazette“, einen Vortrag abgedruckt gelesen hatte, den Mr. Forest, als er noch Professor war, über die Kultur des 19. Jahrhunderts gehalten hatte, und es ihn interessiert hätte, sich mit dem gelehrten Manne zu unterhalten. Er begreife zwar nicht seinen Hass gegen den Kommunismus, eine Gesellschaftsform, die ihn vollkommen befriedige, denn auch Österreich sei längst dazu übergegangen, aber geschichtliche Forschung böte viel Interesse und er selbst befasse sich mit der Aufhellung der ein wenig in Vergessenheit geratenen Kultur des 19. Jahrhunderts. Er habe Vieles, was sich darauf bezog, aus den europäischen Bibliotheken ermittelt, aber er wünsche, sein Material mit jenem des Mr. Forest zu vergleichen, und meine, Mr. Forest könnte seine Sommerferien zu einem Besuche in Österreich benützen. Als Professor müsse ihm der Staat die Mittel zu einer Reise nach Europa zu wissenschaftlichen Zwecken anweisen, während er selbst, der nur ein junger Landmann sei und keinen Namen unter den Gelehrten sich erwerben konnte, weder so langen Urlaub, noch die Mittel zur Reise beanspruchen dürfe.
Der Arme glaubte Mr. Forest noch im Besitze einer fetten Professur und hatte nicht gelesen, dass derselbe längst war abgesetzt worden.
Indessen gefiel dem Rekonvaleszenten der Vorschlag, da er Europa noch nicht besucht hatte und es ihm nicht ohne Interesse war, dem zufriedenen Österreicher ebenso die Augen zu öffnen, wie er mir getan, und er beauftragte mich, bei der Regierung um Ausfolgung der Mittel einzuschreiten, welche ihm und mir, den er mitnehmen wollte, die Reise nach Österreich ermöglichen sollten. Man musste sich mit Reisegeld versehen, da zwischen Amerika und Europa keine Reziprozität für den Reiseverkehr bestand, wie sie die Kontinentalstaaten in Europa untereinander vereinbart hatten. Ich bezweifelte, dass die Regierung uns das Reisegeld anweisen würde. Aber unserem Wunsche wurde entsprochen, denn Mr. Forest war wieder in Gunst, weil er Dr. Leete, ein einflussreiches Mitglied der Regierungspartei, verteidigt hatte, und was mich betrifft, so dachte man längst, mich von meiner Stelle am Shawmut-College zu entfernen, weil ich nicht mehr mit der anfänglichen Parteilichkeit für den Kommunismus dozierte, andererseits aber das Auditorium sich größtenteils verlaufen hatte. Zudem hatten wir unser Gesuch für die Ferienmonate eingebracht und so bezahlte uns die Staatskasse 3.000 Dollar Reisegeld und beurlaubte uns die Regierung für die beiden Monate Juli und August 2020 zur Reise nach Europa.
Um in einem deutschen Lande reisen zu können, suchten wir uns einige Kenntnis der deutschen Sprache vorher anzueignen und verkehrten viel mit eingewanderten Deutschen, die in Boston lebten, und mit 1. Juli 2020 verließen wir Boston und Amerika, um nach glücklicher Überfahrt am 13. Juli 2020 die österreichische Grenze bei Salzburg zu überschreiten.
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Ich übergehe die Erlebnisse auf der Reise bis Salzburg, welche für den Leser kein Interesse hätten, weil es sich nur um unsere Beobachtungen in Österreich handelt.
Wir kamen am 13. Juli 2020 abends 6 Uhr in Salzburg, einer reizend gelegenen Kreisstadt, an, welche einmal ziemlich volkreich war und gegenwärtig nur etwa 1.500 bleibende Einwohner zählt, aber immer an 2.500 bis 3.000 Fremde beherbergt. Es haben in solchen Städten viele Pensionisten ihren Wohnsitz, die ihn aber, durch keine Berufspflichten gebunden, jederzeit beliebig mit einem anderen Wohnorte vertauschen können, daher sie nicht eigentlich Einheimische genannt werden können.
Die beurlaubten Bürger, welche ihren Urlaub zu einer Reise benützen, halten sich meist einige Tage in diesen Städten auf, um einigen Theatervorstellungen beizuwohnen und die Merkwürdigkeiten zu besehen. Reisende Ausländer, welche die Reisetaxe dritter Klasse bezahlen oder solchen gleichgehalten werden, haben das Recht, in den Kreisstädten abzusteigen und liefern auch ein großes Kontingent der wechselnden Bewohnerschaft der Kreisstädte. Auch die Heilanstalten höherer Ordnung und die Mittelschulen für Technik, Landwirtschaft und Gewerbe führen manche Kranke und Schüler in die Kreisstädte, wo in früherer Zeit, als die stehenden Heere noch nötig waren, auch meist drei Bataillone Militär garnisonierten. Die stabile Bevölkerung betreibt Gärtnerei, Industrie, Hauswirtschaft, Krankenpflege und Unterricht. Es ist ferner an jedem Kreisorte je ein Staatsbeamter für die Angelegenheiten der Gemeinde, des Bezirkes und des Kreises ansässig und hat der Kreisbeamte einige Hilfsbeamte nach Bedürfnisse zur Seite. Jedem der drei Staatsbeamten ist ein vom Volke gewählter sogenannter Tribun oder Volksbeamter zur Seite gesetzt, der die Interessen der Einzelnen, Gemeinden, Bezirke und des Kreises wahrzunehmen hat. Ebenso ist an jedem Kreisorte je ein Pädagoge und je ein Arzt für die Angelegenheiten der Gemeinde, des Bezirkes und des Kreises bestellt und zerfallen die Kreise in beiläufig zwanzig Bezirke und jeder Bezirk in etwa zwanzig Gemeinden. – Dazu kommen ein ziemlich zahlreicher Lehrkörper, einige weibliche Ärzte und viele Spezialisten des ärztlichen Standes, so besonders Operateure, welche im Verbande der Kreisregierung stehen, aber, wenn es sich um Kranke handelt, die nicht oder nicht schnell genug nach der Kreisstadt gebracht werden können, an den Wohnort des Kranken abgehen müssen und welchen die schnellsten Beförderungsmittel jederzeit zur Verfügung stehen.
Am Kreisorte ist eine permanente Bühne mit meist wechselndem Personale und, als wir dort ankamen, war eben eine Operngesellschaft in Salzburg, welche mehrere berühmte Sänger und Sängerinnen zählte.
Beiläufig will ich hier noch bemerken, dass am Kreisorte die Trauungen gefeiert werden, dass dort häufig die Versammlungen der Verwaltungsbeamten, Ärzte und Lehrer tagen und jede Woche irgendein Wettbewerb nach Art der olympischen Spiele abgehalten wird, wobei man sich um die Palme in den verschiedensten Künsten und Geschicklichkeit bewirbt. Der Kreisort beherbergt eine permanente Ausstellung der industriellen und landwirtschaftlichen Produkte und ein historisches Museum, welches die Fortschritte seit 50 Jahren veranschaulicht.
Wir wurden zuerst dem Staatsbeamten für die Gemeindeangelegenheiten