Österreich im Jahre 2020. Josef von Neupauer
wohl aber von einigen mit einem freundlichen „Cheer“ beantwortet wurde.
Zwirner führte uns an seinen Tisch, an dem nur unverheiratete junge Leute saßen, mit welchen wir uns bald im Gespräche befanden, da man uns ermunterte, von Amerika zu erzählen. Nach dem Essen geleitete uns Zwirner in den Park, der die Wohnhäuser umgibt, und bot uns Zigarren an, die wir gerne annahmen. Wir sprachen unsere Verwunderung aus, dass Zwirner nicht selbst auch rauchte, worauf er sagte: „Die Österreicher rauchen nicht.“
Da stieß mich Mr. Forest mit dem Ellenbogen: „Da hat man die Freiheit; den Österreichern verbietet die wohlweise Regierung das Rauchen, als ob sie kleine Kinder wären.“ Zwirner verstand nicht, was Mr. Forest englisch zu mir sagte, aber er erbat sich lächelnd Aufklärung, da er meine, etwas von „Austria“ vernommen zu haben, und fügte zugleich bei, er wolle nicht annehmen, dass wir von etwas gesprochen hätten, was Mr. Forest zu verbergen wünsche, da dies in Österreich als ungesellig gelte und man wohl in Amerika nicht anders denken dürfte. Ich gestand ihm, dass wir Gegner des Kommunismus seien und im Rauchverbot eine unerhörte Bevormundung erblickten.
„Ihr irrt, liebe Freunde!“, sagte hierauf Zwirner, „in Österreich lebt ein freies Volk, und niemand kann uns das Rauchen verbieten.“ – „Weshalb wagt ihr aber dann nicht zu rauchen?“, war meine Frage. – „Das mag einer Erklärung bedürfen“, sagte Zwirner. „Österreich war einstens das gesegnete Land der Raucher; die österreichische Regierung hatte das Tabakmonopol im Lande und erzeugte ungeheure Mengen von Zigarren, Rauch- und Schnupftabak im Jahre. Sie begünstigte das Rauchen, weil damals, vor 150 Jahren, das Tabakmonopol große Summen abwarf. Als dann nach und nach die Gemeinwirtschaft eingeführt wurde, hatte die Regierung Mittel genug zur Verfügung, um alle staatlichen Bedürfnisse zu befriedigen, und es wurde die Frage aufgeworfen, ob denn das Rauchen ein wirkliches oder eingebildetes Bedürfnisse sei. Man stritt hin und her und es gab Provinzen, die für das Rauchen waren, und andere wollten es abschaffen. Die Regierung wollte nichts von Gewalt wissen und meinte, nur der Jugend könne der Genuss von Tabak verwehrt werden, wenn man das für zweckdienlich halte.
Da sich, wie gesagt, einige Provinzen für das Rauchen, andere dagegen ausgesprochen, schlug die Regierung vor, dass man das Rauchen zwar den Erwachsenen freigeben, aber eine besondere Krankheits- und Mortalitätsstatistik für Raucher und Nichtraucher führen solle. So geschah es und wurden die Nichtraucher für die Ersparnisse an Rauchtabak mit anderen Genüssen entschädigt. Es stellte sich nun klar heraus, dass das Rauchen manche spezifische Krankheiten im Gefolge habe und dass der Raucher jährlich 3-8 Tage seines Lebens zusetze, je nach der Menge und Stärke des verbrauchten Tabaks und der Widerstandsfähigkeit der Konstitution. – Da verminderte sich nach und nach die Zahl der Raucher, den jungen Leuten verwehrte man den Tabak ganz und gar, und es fand sich, dass die Leute nicht nur gesünder waren, als vorher, sondern auch jährlich das Dreifache jenes Aufwandes in Ersparung gebracht wurde, den die Versorgung des Volkes mit neuen Büchern und die gesamte Bibliotheksverwaltung verursacht.“
„Nun aber, wie kommt es, dass wir doch mit Zigarren bewirtet werden?“, fragte ich.
„Wir sind gastfreundlich und sehen jährlich 400.000 Ausländer in unseren Grenzen. Wir suchen jedem Fremden die Annehmlichkeiten seiner Heimat zu bieten und nur für Fremde haben wir Tabak.“
Mr. Forest schwieg für diesmal und hoffte auf eine bessere Gelegenheit, über die kommunistische Sache zu triumphieren.
Zwirner schlug nun vor, einen Plan für die nächsten Tage zu entwerfen. „Wir haben“, sagte er, „Dienstag, den 14. Juli 2020 und, da wir mitten in der Ernte sind, kann ich mich nicht beurlauben lassen. Für nächsten Sonntag stehe ich euch ganz zur Verfügung, aber an Wochentagen muss ich mich bis 4 Uhr meinem Berufe widmen. Da wir günstiges Wetter haben, schlage ich euch für morgen einen Ausflug auf das Kahlengebirge vor und am Donnerstag findet im Prater ein Kreiswettrennen statt, welches in den Nachmittagsstunden abgehalten wird, und damit ließe sich ein Besuch der Rotunde verbinden. Für später können wir dann weitere Pläne machen. Am Kahlenberge könnte ich euch morgen nachmittags abholen.“
Wir gingen auf den Plan ein und Zwirner verließ uns, um das Nötige im Gemeindepalaste zu besorgen. Man stellte uns nämlich Karten aus, womit wir wegen unserer Verpflegung für Mittwoch und Donnerstag an die Verwaltung der Wirtschaften am Kahlenberge und im Prater angewiesen wurden, da es gebräuchlich sei, dass jeder dort seine Mahlzeiten einnehme, wo er beherbergt wird.
Nun führte uns Zwirner in sein Wohnzimmer, um dort in Ruhe mit uns Gedanken auszutauschen über das, was uns hauptsächlich beschäftigte. Seine Stube war einfach, aber hell, rein, gut gelüftet und für die jetzige Jahreszeit angenehm kühl. Das Mobiliar schien sehr spärlich und einfach, aber es fehlte nichts, was zur Bequemlichkeit dient. Die Stube lag im dritten Stockwerke nach einer Seite, wo besondere Ruhe herrschte, und Zwirner hatte diese Lage gewählt, weil er beschaulich war und gerne seine Muße mit Studien verbrachte. Wir sahen eine ungeheure Menge von Büchern aufgestapelt, viele auch in englischer Sprache, dann viele Jahrgänge alter Zeitungen und Fachschriften, welche Aufschluss geben über den Stand der Sozialwissenschaft im 19. Jahrhundert, über die Statistik damaliger Zeit und über die Bewegung, die damals durch alle Völker ging, und wie ein Wetterleuchten das Nahen eines erfrischenden Gewitters verkündete. Zwirner klärte uns darüber auf, wie er in den Besitz des Materials gelangt sei. Er sagte, dass niemand Privateigentum habe und alle Bücher in öffentlichen Bibliotheken verwahrt würden. Wien habe zehn große öffentliche Bibliotheken, jede mit Millionen von Bänden, da dort nach und nach alle Privatbibliotheken Aufnahme fanden und seit Einführung der Gemeinwirtschaft alljährlich eine halbe Million Bände den Zentralbibliotheken zuwüchsen.
Die Wiener Bibliotheken umfassten unter anderem alle Unica und bezögen seit Jahren alles, was auf dem ganzen Erdkreise jährlich erschienen, ohne einen Unterschied der Sprache. Mit allen kommunistischen Staaten stehe die Regierung im Büchertausche und beziehe auf diesem Wege alljährlich viele Tausende von Werken, da beispielsweise Deutschland allein jährlich 12.000 Werke herausgebe gegen etwa 7.000 Werke im 19. Jahrhundert.
Gemeiniglich sende man sich nur ein Probeexemplar zu, finde aber die Reichsbibliotheksverwaltung, dass das Volk an etwas Interesse nehmen dürfte oder dass die Verbreitung eines Werkes nützlich sei, so bestelle man eine große Anzahl von Exemplaren, auch bis zu hundert, so dass jeder Kreis mit einem Exemplar versorgt werden könne. Am Schlusse des Jahres verrechne man sich wechselseitig und rechne man gemeiniglich Band für Band, den Band zu 500 Seiten, die Seite zu 250 Worten. Den inneren Wert eines Werkes ziehe man nicht in Betracht, weil es sich ja doch nur um einen Abdruck handle und die Staaten untereinander den Grundsatz beobachten, dass Wissenschaft und Kunst international seien.
„Und die Schriftsteller erhalten auch kein Honorar?“, warf ich ein.
„Diese erhalten natürlich kein Honorar in Geld, da die Geldwirtschaft abgeschafft ist, aber man hat von alter Zeit her den Gebrauch, für geistige Arbeit von höherem Werte besondere Vorteile und Begünstigungen einzuräumen.“
„Wie bemisst man aber diese und wer schätzt den Wert der Arbeit ab?“
„Den Wert der Arbeit schätzt die Regierung ab, wie man im 19. Jahrhundert die Verdienste eines Staatsbeamten abschätzte und entlohnte, teils durch Beförderung, teils durch Auszeichnungen, teils doch auch durch Prämien!“
„Da kann man sich die Protektionswirtschaft vorstellen“, fluchte Mr. Forest, „und wer gegen die Regierung schreibt oder den Ministern nicht den Hof macht, wird natürlich umsonst auf Belohnung warten.“
„Man schreibt in Österreich nicht für und nicht gegen die Regierung, denn, nachdem der Klassenstaat durch Verstaatlichung des Besitzes sich in einen Volksstaat verwandelt hat, haben alle politischen Fragen an Bedeutung verloren und es kann höchstens Verdienst oder Verschulden Einzelner in Frage kommen, wobei Wissenschaft und Kunst nicht beteiligt sind. Allerdings ist bei der Bewertung geistiger Arbeit ein sicheres Urteil nicht zu gewinnen, aber es wird damit folgendermaßen gehalten. Man unterscheidet in der Literatur Wissenschaft und Kunst.
In der Wissenschaft handelt es sich um Forschung und Mitteilung ihrer Ergebnisse oder um bloße Tradition. Erstere veröffentlicht der Forscher in den Fachblättern oder in selbstständigen