Dr. Norden Bestseller Paket 4 – Arztroman. Patricia Vandenberg
»Morgen ist auch noch ein Tag«, meinte Fee. »Alles auf einmal können sie sowieso nicht verdauen.«
Sie rief dann am nächsten Morgen gegen neun Uhr bei Cindy an. Aber die sagte ihr, daß Tim in seiner Wohnung sei. Er würde auf seinen Vater warten.
Fee war sprachlos. Robert Thornhill kam jetzt schon nach München, gerade jetzt?
»Ist gut, dann rufe ich dort an«, sagte sie. »Wie geht es?«
»So einigermaßen«, erwiderte Cindy. »Mama wird morgen beerdigt.«
Mama, sagte sie, und Fee wurde es dabei eiskalt, weil sie an Clarissa denken mußte.
Und auch Tim dachte an Clarissa, an seine bisher so geliebte Mummy. Cindy hatte ihm den Brief gegeben, den Pieter Lorring geschrieben hatte, und er hatte ihn immer wieder gelesen. Aber aus diesem ging ja nicht hervor, wodurch die Ehe in die Brüche gegangen war. Auch Tim hatte kein Wort verloren von dem, was er wußte. Auch in ihm stritten Zweifel und Sorge miteinander.
Als ihn Fees Anruf erreichte, läutete es gerade. »Entschuldige, Fee, ich erwarte meinen Vater«, sagte er hastig. »Ich melde mich bei euch.«
Robert Thornhill stieg aus dem Lift. Man sah ihm an, daß er eine schlaflose Nacht hinter sich hatte. Aber wenn man die beiden Männer nebeneinander sah, konnte nicht der geringste Zweifel aufkommen, daß es sich um Vater und Sohn handelte, so ähnlich waren sie sich.
»Wo ist das Mädchen?« platzte Robert heraus.
»Immer mit der Ruhe, Dad. Laß mich erst erzählen.«
»Du ahnst ja nicht, was das bedeuten könnte«, stieß Robert hervor.
»Ahnst du es?« staunte Tim. »Oder weißt du es schon?«
»Was sollte ich wissen?«
»Daß sie nicht Constance Clement heißt, sondern Cindy Lorring. Letzteres ist allerdings noch nicht bewiesen.«
»Cindy Lorring«, flüsterte Robert. »Nach so vielen Jahren. Mein Gott, wie wird Clarissa…«, er unterbrach sich. »Bitte, erzähle mir zuerst alles, Tim. Gib mir ein Glas Wasser. Meine Kehle ist trocken.«
»Ich habe schon Tee gebrüht«, sagte Tim heiser.
Er hatte alles erzählt, ohne einmal von seinem Vater unterbrochen zu werden. Wie er Cindy als Constance Clement kennen- und liebengelernt hatte. Er erzählte, warum Daniel Zweifel gekommen waren, daß Anita Clement Cindys Mutter sei, wie Anita dann so bald gestorben war und sie ihre Geschichte gelesen hatten.
Da richtete sich Robert erstmals auf. »Kann ich das lesen?« fragte er.
»Der Brief ist bei Cindy, Dad, aber der Brief, den Lorring hinterließ, ist hier.« Er holte ihn, und Robert las. Er griff sich an die Stirn.
»Es ist unfaßbar, unbegreiflich«, murmelte er. »Er hintergeht Clarissa, betrügt seinen Schwiegervater, verschwindet mit dem Kind, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, und dann drückt er einem fremden Mann diesen Brief in die Hand. Clarissa hat doch keine Ahnung gehabt, wohin er mit Cindy gefahren ist. Es ist doch gar nicht wahr, daß er sie um eine Aussprache gebeten hat.«
»Bist du da ganz sicher, Dad?« fragte Tim mißtrauisch.
Robert starrte seinen Sohn befremdet an. »Clarissa hat mich nie belogen. Sie hatte keinen Grund dazu. Sie lag mit Fieber im Bett, als Lorring mit dem Kind verschwand. Er hat keine Nachricht hinterlassen. Er wußte ja, daß Clarissa krank war.«
»Und wann hast du Clarissa kennengelernt, Dad? Damals schon?«
»Aber nein. Zwei Jahre später. Da gab es noch immer keine Spur von Lorring und dem Kind. Wir hätten lange mit der Heirat warten müssen, wenn Lorring dann bei der Schneeschmelze nicht gefunden worden wäre, weit entfernt von der Stelle, an der die Lawine heruntergegangen war. Dort war natürlich nicht gesucht worden. Es war purer Zufall, daß seine Leiche entdeckt wurde, weil ein Wanderer dort abgestürzt war.«
Tim überlegte angestrengt. »Und sein Wagen? Sagtest du nicht, daß er mit dem Wagen weggefahren wäre?«
»Der Wagen wurde niemals gefunden. Du siehst, es kamen viele unselige Zufälle zusammen.«
»Aber er hielt sich in St. Moritz auf«, beharrte Tim.
»Er war in keinem Hotel gemeldet. Es wurde nachgeforscht, Tim. Ich habe die Zeitungsausschnitte mitgebracht, in denen die Suchmeldungen veröffentlicht wurden, Fotos von Lorring und Cindy. Ich möchte sie jetzt kennenlernen, und dann muß ich schnellstens zu Clarissa.«
»Meine Mutter ist also auch Cindys Mutter«, murmelte Tim.
Ein flüchtiges Lächeln huschte um Robert Thornhills Mund. »Sagen wir es besser so: Cindys Mutter wurde dann deine Mummy. Und diese Frau Clement hat Cindy die schönsten Jahre ihrer Kindheit genommen.«
»So darfst du es nicht sehen, Dad. Sie hat rührend für Cindy gesorgt. Sie war eine kranke Frau, und jetzt ist sie tot. Ich habe auch kein Verständnis für dieses Schweigen, aber es ist nichts rückgängig zu machen.«
»Du hast Cindy gefunden«, sagte Robert gedankenvoll. »Es sollte so sein. Du bringst sie Clarissa zurück. Du schenkst sie uns. Es ist ein Wunder geschehen, Tim.«
»Ich werde Cindy heiraten, Dad.«
»Meinen Segen hast du jetzt schon, und jetzt spann mich nicht länger auf die Folter. Wir können doch alles gemeinsam besprechen.«
»Gut, dann fahren wir zu Cindy.«
*
Cindy hatte die Wohnung aufgeräumt. So viele Jahre hatte sie hier verbracht, nicht ahnend, welches Geheimnis ihr Leben umgab. Es fror sie bei diesem Gedanken.
Vielleicht wäre es besser gewesen, ich hätte es nie erfahren, dachte sie. Und dann läutete es. Ihr Herz schlug noch unruhiger, als sie die Tür öffnete.
Robert Thornhill dachte in diesem Moment das gleiche, was auch Tim gedacht hatte, als er in Cindys Augen blickte. Es waren Clarissas Augen.
Er schob Tim zur Seite und nahm Cindy in die Arme. Wortlos drückte er sie an sich, und Cindy wußte nicht, wie ihr geschah.
»Mein Gott, was wird Clarissa sagen«, murmelte er dann, aber Tim sagte warnend: »Dad, immer langsam.«
Zärtlich umschloß Robert Cindys blasses Gesicht, küßte sie auf die Stirn, die Augen und die Wangen.
»Wie ähnlich du deiner Mutter bist«, flüsterte er. »Ich muß es doch sagen, Tim. Meine Frau ist deine Mutter, Cindy, daran kann kein Zweifel bestehen.«
»Tims Mummy?« flüsterte Cindy bebend. »Aber wieso…«, jetzt küßte sie Robert auch auf die Lippen, aber das wurde Tim zuviel. »Ich habe Cindy heute auch noch nicht gesehen, Dad«, grollte er.
»Dieser Junge, dieser Tausendsassa«, rief Robert aus. »Er hat uns nie Kummer bereitet, aber daß er dich gefunden hat, ist das beste. Wir müssen sofort zur Insel fahren. Wir dürfen Clarissa nicht eine Stunde mehr warten lassen.«
»Ich kann doch nicht weg«, sagte Cindy leise. »Ich muß morgen zur Beerdigung gehen.«
Robert runzelte die Stirn, aber dann schluckte er einen Widerspruch herunter.
»Ich meine auch, daß Mummy vorbereitet werden muß«, warf Tim ein. »Sie ist doch die einzige, die völlig ahnungslos ist.«
»Ist es denn auch wirklich wahr?« fragte Cindy stockend. »Kann es nicht doch einen Zweifel geben?«
»Keinen«, sagte Robert. »Okay, reden wir noch darüber. Ich fahre dann allein zur Insel, und ihr kommt morgen nach. Bestell mir einen Leihwagen, Tim.«
»Verschnauf dich doch erst einmal, Dad«, sagte Tim. »Die Nordens wollten mich auch dringend sprechen. Fee und Daniel können uns sagen, wie wir es Mummy am besten beibringen.«
»Ich würde gern wissen, was damals geschehen ist«, sagte Cindy. »Was wirklich geschehen ist, bevor