BAT Boy 2. C. A. Raaven

BAT Boy 2 - C. A. Raaven


Скачать книгу
dem Jungen wütende und zugleich verwirrte Blicke hinterher. Dann schien sie sich ihrer Umgebung bewusst zu werden und fuhr zusammen.

      »Huch, was ist los? Wo bin ich?«

      Als wären diese Fragen ein Startschuss gewesen, erwachten die vier Personen aus ihrer Starre.

      »Mach dir keine Sorgen. Wir tun das Menschenmögliche, dass es dir bald wieder besser geht«, sagte der Arzt. Er war automatisch auf eine der Floskeln verfallen, die er in seinem Job schon zu so vielen Menschen gesagt hatte.

      »Wieso besser? Mir geht’s gut«, antwortete sie. »Wann kann ich hier raus?«

      »Na ja, ganz so schnell wird das nicht gehen«, gab er zurück. »Immerhin wärst du eben fast …«

      Dann verlor sich seine Stimme, denn ihm wurde bewusst, was er eben – überrumpelt von der plötzlichen Verbesserung des Zustandes – zu einer Minderjährigen gesagt hätte.

      Aber das Mädchen enthob ihn eines Erklärungsnotstandes, denn sie sprudelte plötzlich los: »Aber das war doch bloß, weil Lucas … Ich war doch noch in … ähm …« Ihr Blick verlor sich.

      In diesem Moment bahnten sich zwei Personen ihren Weg durch die Menschenmenge, die sich zwischenzeitlich auf dem Gang vor dem Krankenzimmer gebildet hatte. Die beiden stellten sich als die Eltern des Mädchens heraus. Der Arzt war froh darüber, ihnen von der erstaunlichen Genesung seiner Patientin berichten zu können. Das war endlich wieder ein Metier, das er verstand. Er hielt es auch nicht für nötig, ihnen von der Episode mit dem Jungen zu erzählen. Das würde nur zu unnötigen Fragen führen, die er weder beantworten konnte, noch wollte.

      Mit unbewegter Miene trottete Lucas den Flur des Krankenhauses entlang in Richtung Lift. Innerlich tobte ein Chaos aus widerstreitenden Gefühlen. Triumph, weil er herausgefunden hatte, woran es gelegen hatte, dass Ines nicht aufgewacht war. Erleichterung, darüber, dass es geklappt hatte, das letzte Stückchen von ihr aus sich herauszulösen. Horror über das, was hätte passieren können, wenn er es nicht mehr rechtzeitig geschafft hätte. Enttäuschung über Ines‘ Reaktion. Aber hatte er denn überhaupt eine andere Reaktion erwarten können? Mit Sicherheit nicht. Im Verlauf des Abends hatte Ines bestimmt mehrfach Angst oder sogar Panik ausstehen müssen, zum Teil auch durch ihn selbst verursacht. Trotzdem musste Lucas zugeben, dass er darauf gehofft hatte, dass sich alles wieder einrenken würde, wenn Ines erst mal vollständig in ihren eigenen Körper zurückgekehrt wäre.

      So viel zum Thema Wunsch und Wirklichkeit, dachte er resigniert. Dann kam er am Lift an und drückte auf den Äbwärts-Knopf. Er wollte nun endlich in die Cafeteria. Zwar hatte sich das mit dem Telefonieren inzwischen erledigt – das Gespräch kam ihm schon völlig unwirklich vor. Aber er wollte sehen, ob er seine Eltern fand, weil er sich danach sehnte, endlich nach Hause zu kommen. Vielleicht würde er im Schlaf etwas Vergessen finden können. Der Gong ertönte. Die Türen glitten auseinander. Überrascht stellte Lucas fest, dass er sie bereits gefunden hatte, denn sie standen in der Kabine.

      »Luky, was …«, begann Betty, aber er trat nur zu ihnen in die Kabine und drückte wortlos auf den Knopf für das Erdgeschoss.

      »Heißt das, Ines ist …?«

      »Aufgewacht. Lasst uns fahren«, brummte Lucas.

      »Ähm, Moment mal«, sagte Paul verwirrt. »Wie ist das denn passiert?«

      Lucas blickte seinen Vater müde an.

      »Ich kann jetzt nicht. Ich will auch nicht«, murmelte er. »Bitte. Ich will nur noch nach Hause.«

      »Oh, ich dachte, du wolltest …«, setzte Paul an, aber Betty legte ihm die Hand auf den Arm und schüttelte den Kopf.

      »Lass gut sein Paul. Wir sollten wirklich besser fahren. Guck dir Lucas doch an. Der ist völlig fertig. Wer sollte es ihm auch verdenken. Er hat heute immerhin eine ganze Menge Menschenleben gerettet.«

      Damit schloss sie Lucas in die Arme und drückte ihn ganz fest an sich. In diesem Moment war es ihm, als ob ein Damm tief in ihm bräche und er sackte schluchzend zusammen. Von der Fahrt nach Hause bekam Lucas fast nichts mit. Er dämmerte auf dem Rücksitz des Autos vor sich hin. Als sie schließlich angekommen waren, stieg er ohne noch etwas von sich zu geben die Treppe hinauf, ließ sich auf sein Bett fallen und hieß dankbar die Schwärze des Schlafs willkommen.

      »Mann Mäuschen, da hast du uns aber nen ordentlichen Schrecken eingejagt«, sagte Tom, Ines‘ Vater.

      »Ähm«, machte Ines.

      »Was ist denn bloß passiert?«, fiel ihr Diana ins Wort.

      »Also …«, begann sie erneut.

      »Nun lass sie doch mal ausreden«, sprudelte Tom gleichzeitig hervor.

      Ines sah ihre Eltern an. Dann brachen alle drei in erleichtertes Gelächter aus.

      »Okay, jetzt nochmal von vorn«, sagte Tom, nachdem sich alle lachend umarmt hatten. »Was ist denn bloß los gewesen und warum hast du uns nicht Bescheid gesagt?«

      »Ja, also«, begann Ines, die froh darüber war, dass sie durch das Gruppenkuscheln noch ein wenig mehr Zeit gehabt hatte, ihre durcheinanderwirbelnden Gedanken zu ordnen. Seit sie von Lucas aus dem dunklen Loch geholt worden war, in dem er sie eingekerkert hatte, war sie krampfhaft darum bemüht gewesen, mit dem klarzukommen, was sie in den letzten Stunden gesehen hatte. Aber viel mehr noch beschäftigte sie das, was sie nicht mehr sehen konnte. Dieses Nichts, in dem Lucas sie abgeladen hatte, war fast nicht zu ertragen gewesen. Kein Wort, kein Geräusch wahrzunehmen und noch dazu blind zu sein, hatte ihre Nerven fast zum Zerreißen gebracht. Viel schlimmer noch war jedoch das Gefühl gewesen, plötzlich zu fallen und immer weniger zu werden. Zum Glück hatte Lucas sie noch rechtzeitig bemerkt und aufgefangen. Irgendwie hatte er sie gerettet. Dafür musste sie ihm wohl dankbar sein, aber trotzdem würde sie es nicht vergessen, dass er sie so einfach mir nichts, dir nichts weggesperrt hatte.

      »Ja, Maus?«, riss ihre Mutter sie aus den Gedanken.

      »Ach, ich weiß auch nicht«, sagte Ines und versuchte, dabei möglichst müde zu klingen.

      Sie hatte keine Ahnung, wie sie es ihren Eltern erklären konnte, dass sie sich ohne ihr Wissen nachts allein in Berlin herumgetrieben hatte – ganz davon abgesehen, dass sie zwischendurch entführt worden war. Dann fiel es ihr plötzlich ein. Das mussten sie gar nicht wissen! Für die beiden galt immer noch, dass sie bei ihrer Freundin übernachten wollte. Jetzt stand nur noch zu hoffen, dass sie nicht dort angerufen hatten, und Tina ahnungslos gewesen war.

      Okay, Augen zu und durch, sagte sie sich.

      »Ich kann mich nur noch erinnern, dass ich dabei war, mich für Tina fertigzumachen. Dann wurde mir mit einem Mal ganz komisch. Ich dachte, dass ich mich nochmal kurz hinlegen könnte. Ja und dann bin ich hier aufgewacht.«

      In diesem Moment wurde Ines der Fehler in ihrer Story bewusst. Sie hatte ja gar keine Ahnung, wo, wie und von wem sie gefunden worden war. Vorsichtig blickte sie ihre Eltern an, innerlich darum betend, dass es doch funktionieren würde.

      Diana lächelte und strich Ines über die Wange.

      »Na dann ist es ja gut, dass Lucas dich um Mitternacht besuchen wollte und er dich zusammen mit seinen Eltern gefunden hat. Ich glaub, der mag dich.«

      »Was?«, fuhr Ines auf. Einerseits war sie froh, darüber, dass sie ihr die Geschichte abgekauft hatten, aber Lucas hatte sie aus dieser Sache möglichst heraushalten wollen.

      »Huch, was ist denn mit dir? Ich dachte, du magst ihn auch«, sagte Diana mit einer beschwichtigenden Geste.

      »Hmm … ja … nee … weiß nich«, grummelte Ines. »Aber was hat das denn mit heute zu tun?«

      »Na ja, sie haben erzählt, dass Lucas dir eigentlich um Mitternacht ein gesundes neues Jahr wünschen wollte, weil er noch Licht bei dir gesehen hatte. Dann haben sie wohl gemerkt, dass irgendeine Tür offen war, sind rein und haben dich so gefunden.


Скачать книгу