Personal, Team- und Konfliktmanagement. Ute Reuter

Personal, Team- und Konfliktmanagement - Ute Reuter


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nicht-wertenden »Gewahrseins«. (vgl. Kohls u. a., 2013: 163) Diese »rechte Aufmerksamkeit« umfasst das vorurteilsfreie Wahrnehmen von mentalen Inhalten. Damit sind nicht nur Gedanken und Gefühle gemeint, sondern auch Affekte und Körperempfindungen. Wahrnehmen allein macht aber noch nicht Achtsamkeit aus. Normalerweise gibt es die Tendenz, alle Wahrnehmungen sofort zu bewerten und in Kategorien zu ordnen, die einander meist ausschließen. Diese Kategorien werden in Gegenpolen dargestellt, ganz im Sinne einer Schwarz-Weiß-Denke. Solche Kategorien können z. B. sein: gut versus schlecht, brauchbar versus unbrauchbar, erwünscht versus unerwünscht, oder auch mit meinen Zielen kompatibel versus inkompatibel. Diese Kategorisierung geschieht meist so schnell und automatisch, dass der Moment der Wahrnehmung gar nicht bemerkt wird und nur die Bewertungen in die Aufmerksamkeit gelangen. Achtsamkeit bedeutet, diese Kategorisierungstendenz wahrzunehmen und sie, im Idealfall, zum Halten zu bringen. Indem Inhalte, so wie sie sind, im Geist präsent gehalten werden, und dem Hang zum Kategorisieren widerstanden wird, entsteht die Möglichkeit, jede Erfahrung als neu zu erleben. (vgl. Walach u. a., 2009: 732)

      John Kabat-Zinn entwickelte in den 1970er Jahren im Rahmen verhaltenstherapeutischer Therapiemethoden die Mindfulness Based Stress Reduction-Methode (MBSR). Darin verknüpfte er die Ansätze der buddhistischen Weisheitslehre mit psychologischen Grundlagen. Die MBSR erlangte zunächst im englischen Sprachraum große Bekanntheit und Verbreitung. (vgl. Kabat-Zinn, 1982) Später sind achtsamkeitsbasierte Methoden auch im deutschsprachigen Raum populär geworden (vgl. Kabat-Zinn, 1996; 1998). Obwohl in der Praxis weit verbreitet, liegen nur wenige Studien vor, die die Auswirkungen von achtsamkeitsbasierten Interventionen für spezifische, führungsrelevante Kompetenzen, Fähigkeiten und Verhaltensweisen anhand von Stichproben mit Führungskräften empirisch oder experimentell analysieren (vgl. Kohls u. a., 2013: 165).

      Die Theorie authentischer Führung geht davon aus, dass Achtsamkeit mit dazu beiträgt, dass Führungskräfte selbstkongruenter und authentischer auftreten können, wodurch sie ihr Handeln glaubwürdiger an persönlichen Überzeugungen und transparenten Wertesystemen ausrichten können (vgl. Avolio et al., 2004: 805).

      In diesem Kontext von Ansätzen gehört Achtsamkeit zu den Prozessen, die Führungskräfte dabei unterstützen können, an innerer Transparenz zu gewinnen. Das wird auch im Interview mit York Scheunemann deutlich.

      Auszug aus einem Interview mit York Scheunemann, Leiter der Digital Academy für den EMEA-Raum bei Google in Hamburg, zum Thema Achtsamkeit.

      Inwiefern spielt das Thema Achtsamkeit eine Rolle bei Google?

      York Scheunemann: »Wie in vielen anderen Unternehmen ist auch für die meisten Google-Mitarbeiter die Themenvielfalt groß, die Geschwindigkeit hoch, der Kalender ausgereizt und das E-Mail-Postfach voll. Mehr denn je gilt es heute, Mitarbeiter einzuladen, ihre individuellen Kraftquellen zu entdecken und zu nutzen, um Motivation und Leistung nicht nur durch äußere Anreize zu schaffen, sondern durch eine innere Haltung nachhaltig zu kultivieren. Sich selbst achtsam zu managen und zugleich auch ein achtsamer Manager für andere zu sein, kann zu einer Team- und Unternehmenskultur führen, die nicht nur Vorteile für den einzelnen, sondern auch für das gesamte Unternehmen erreichen kann.

      Der Wert und die Bedeutung von Achtsamkeit wurden bei Google bereits vor Jahren entdeckt und in die Kultur integriert; der achtsame Umgang miteinander und Tugenden wie Wertschätzung und Respekt sind feste Bestandteile. Achtsamkeit wird als elementarer Bestandteil des »Wellbeing« gesehen und ist zudem ein CEO-Thema, da unsere gesamte Führungsriege ein Interesse an der richtigen Energie-Balance der Mitarbeiter hat.« (Rose, 2019a: 126 f)

      Die Zusammenhänge zwischen dem Konstrukt der Selbstkompetenz und der Anwendung achtsamkeitsbasierter Praktiken als Weg zur Analyse des persönlichen Potenzials und der eigenen Talente müssen in Zukunft noch im Rahmen weiterer Studien tiefergehend geklärt werden (vgl. Rupprecht u. a., 2019: 32, 35). Rupprecht u. a. gehen davon aus, dass nicht nur die Achtsamkeit des einzelnen Mitarbeiters trainiert werden muss, sondern dass es in Zukunft noch viel stärker als bisher darauf ankommen wird, die Achtsamkeit in Teams und in organisationalen Prozessen zu stärken (vgl. Rupprecht u. a., 2019: 34). Im Verlauf dieses Buchs wird auf das Thema Achtsamkeit deshalb im Zusammenhang zunächst mit Teammanagement und später dann mit Konfliktmanagement immer wieder eingegangen.

      2.2.3.2 Das beste Selbst im Spiegel

      Ein Werkzeug aus der Positiven Psychologie ist besonders hilfreich, wenn es darum geht, die eigene Leistungsfähigkeit zu ermitteln. Es handelt sich um eine Methode, die im Deutschen als »Das beste Selbst im Spiegel« bezeichnet wird und im englischsprachigen Raum als »reflected best self« (Dutton u. a., 2005: 712) bzw. als »best-self feedback« (Roberts, 2004 und Cameron, 2012: 73) bekannt geworden ist.

      Der Mitarbeiter will durch die Anwendung dieser Methode mehr über die eigenen Stärken erfahren. Er möchte wissen, wie er wahrgenommen wird, wenn er gerade besonders leistungsfähig ist. Die Rückmeldungen, die er erhält, beziehen sich – ganz bewusst – ausschließlich auf Situationen, in denen der Mitarbeiter von seinen Kollegen als besonders effektiv, als besonders vorbildlich oder auch als ganz besonders erfolgreich wahrgenommen wurde. Das ist insoweit bemerkenswert, als dass normalerweise Rückmeldungen zur eigenen Person immer gemischt ausfallen. Indem die Kollegen den Mitarbeiter nun ausschließlich auf seine Stärken und seine besonderen Fähigkeiten hinweisen, helfen sie ihm, mehr zu sein als er (momentan noch) ist. (vgl. Rose, 2018)

      »Das beste Selbst im Spiegel« ist nicht fix und unveränderlich. Es kommt zwar nicht häufig vor, dass ein Mensch sein bestes Selbst wieder verändert, aber es ist möglich. Besonders hilfreich bei der Veränderung des besten Selbst sind

      • das Vorhandensein positiv-affektiver Ressourcen (»positive affective resources«; Dutton u. a., 2005: 721),

      • das Empfinden relationaler Verbundenheit (»relational resources«; Dutton u. a., 2005: 722) und

      • die Fähigkeit des Menschen, die eigenen Gedanken, Motive und Handlungen zu kontrollieren (»agentic resources«; Dutton u. a., 2005: 723).

      In der konkreten Anwendung funktioniert »Das beste Selbst im Spiegel« wie folgt: Der Mitarbeiter bittet zunächst seine Kollegen, seinen Vorgesetzten und durchaus auch Menschen aus seinem privaten Umfeld darum, kurze Geschichten aufzuschreiben, in denen er die positive Hauptrolle gespielt hat. Die Geschichten beschreiben ganz konkrete Situationen, in denen der Mitarbeiter seine außergewöhnliche Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt hat und »in Höchstform« war. Diese Geschichten sind natürlich individuell von den Erzählenden und deren Perspektiven geprägt. (vgl. Dutton u. a., 2005: 714, Roberts, 2005: 74 f und Cameron, 2012: 73 ff) Damit die Informationsbasis groß genug ist, sollten zwischen zehn und dreißig verschiedene Personen darum gebeten werden, eine Höchstform-Geschichte zu verfassen (vgl. Dutton u. a., 2005: 723).

      Für all diejenigen, die sich jetzt sagen »Aber ich kann doch nicht zu meinem Chef gehen und sagen: Lob mich mal!« sei an dieser Stelle auf die Antwort des Autors, Coaches und Karriereberaters Martin Wehrle auf genau diese Frage verwiesen: »Doch. Ich kann meinen Chef bitten: Geben Sie mir eine Rückmeldung auf meine Arbeit. Fragen Sie ausdrücklich nach: Was läuft gut?« (Boldebuck, 2007).

      Der Mitarbeiter liest sich in einem zweiten Schritt alle Geschichten aufmerksam durch. Dabei wird er feststellen, dass er viel mehr Stärken hat, als ihm bisher bewusst war. Er sucht in den Geschichten nach wiederkehrenden Mustern und Themen und fasst diese tabellarisch zusammen. (vgl. Roberts u. a., 2005: 75 f) In den meisten Fällen ergeben sich Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Geschichten, die als Bindeglieder für die anschließende Beschreibung des eigenen Selbst dienen können.

      Zum Abschluss verfasst der Mitarbeiter eine Art Destillat der Höchstform-Geschichten. Der Mitarbeiter entwickelt aus den Geschichten und aus seiner eigenen Selbsteinschätzung ein Kurzportrait seines Selbst, das ihm als Ausgangsbasis für die eigene Weiterentwicklung dienen kann (vgl. Dutton u. a., 2005: 712; Robert u. a., 2005: 77 f; zusammengefasst und in deutscher Übersetzung in Rose, 2018).

      Die Erstellung dieses »Medleys« (Rose, 2018) kann im Zusammenhang mit der Tätigkeit in einem Unternehmen durchaus eine Herausforderung


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