Sophienlust Paket 4 – Familienroman. Patricia Vandenberg
»Alle Vatis müssen ihre Kinder lieb haben, und Langohr hat den Mummel bestimmt auch lieb, auch wenn er gar nicht mehr zum Tierheim kommt, sondern jetzt im Wald wohnt. Bei uns ist es genauso. Mein Vati wohnt in Südamerika, aber lieb hat er mich ganz bestimmt. Weißt du, ich glaube, ich habe ihn auch ziemlich lieb.«
»Ja, das mag wohl sein, meine kleine Kitty.« Rosita zog das Kind an sich und schaute über dessen Kopf hinweg in die Ferne. Sie fühlte, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. Wie anders wäre ihr Leben verlaufen, wenn damals aus der Ehe zwischen ihr und Axel Fernau etwas geworden wäre! Aus jener Ehe, die er ihr versprochen hatte, obgleich er mit einer anderen Frau schon verlobt war.
Alle Bitterkeit von damals wallte plötzlich in Rosita wieder auf. Sie merkte nicht, dass das Kind den Kopf zurückbog und sie etwas ratlos und erschreckt anblickte.
»Warum weinst du, Mutti? Bist du traurig, weil mein Vati so weit fort ist?«, fragte die süße Kinderstimme.
»Ich …, ich habe mich an etwas erinnert, was traurig ist. Jetzt bin ich nicht mehr traurig, Kitty. Ich weine ja schon nicht mehr.« Rosita wischte hastig die Tränen mit dem Handrücken fort. »Schau, keine einzige Träne mehr.«
»Du darfst auch nicht weinen, Mutti. Muttis müssen immer fröhlich sein. Ich kriege nämlich Angst, wenn du weinst.«
»Aber du brauchst keine Angst zu haben. Ist ja alles gut, mein Kleines.« Rosita streichelte und liebkoste ihr Töchterchen, das sich allmählich beruhigte.
»Er hat mich also lieb, auch wenn er gar nicht da ist?«, fragte Kitty noch einmal.
»Ja, Kind, er hat dich lieb.« Was hätte Rosita auf diese Frage anderes entgegnen sollen? Schon wieder fühlte sie, dass ihr Tränen in den Augen brannten. Doch sie beherrschte sich, denn sie wollte Kitty nicht noch einmal erschrecken.
Am Abend sprach Rosita mit Marianne über das, was sie an diesem Tag mit Kitty erlebt hatte.
Das junge Mädchen begann zu weinen, doch es brachte nicht den Mut auf, Rosita einzugestehen, dass es an Kittys Vater geschrieben hatte. Im Gegenteil, Marianne fürchtete die Folgen ihrer Handlungsweise jetzt mehr denn je.
*
Es war ein besonders heißer Tag, als Axel Fernau die private Post in seinem Arbeitszimmer durchsah. Die anstrengende Arbeit im Büro oder Botschaft lag schon hinter ihm. Die Heimatpost, die mit der Kuriersendung gekommen war, lag seit dem Morgen auf seinem Schreibtisch, aber er hatte bisher noch keine Zeit gefunden, sie zu lesen.
Da war ein Brief seines Anwalts aus Bonn, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass seine Frau sich mit der Scheidung unter keinen Umständen einverstanden erklären wolle. Axel las das ausführliche Schreiben aufmerksam durch, und seine Laune wurde dabei nicht gerade besser. Er wusste, die Ehe mit Lisa war der schwerste Fehler seines Lebens gewesen. Sie hatten einander nicht geliebt, und Lisa hatte ihn verlassen, ehe er nach Buenos Aires versetzt worden war. Es war ihm bekannt, dass es in ihrem Leben seitdem einen anderen Mann gab. Trotzdem wollte sie die Scheidung nicht, weil es in ihrer Familie noch nie einen solchen Skandal gegeben hatte und vor allem auch, weil sie von seiner eigenen Mutter immer wieder darin bestärkt wurde, an der Ehe festzuhalten.
Axel Fernau seufzte. Sein Anwalt schrieb, es bestehe durchaus die Möglichkeit, die Scheidung auch gegen den Willen seiner Frau zu erzwingen. Sie selbst habe die eheliche Gemeinschaft verlassen, und seitdem sei er ihr seit zwei und einem halben Jahr nicht mehr begegnet.
Warum ist sie so starrsinnig, fragte sich Axel. Ich muss mit Mutter darüber sprechen. Dass ihr so viel an Lisa liegt, begreife ich einfach nicht.
Axel raffte die übrigen Briefe zusammen und verließ die Botschaft, um erst einmal das hübsche weiße Haus aufzusuchen, nicht allzu weit vom Dienstgebäude der Botschaft entfernt, in dem er wohnte. Ein weiß gekleideter Diener empfing ihn und fragte höflich, ob er den Tee mit seiner Mutter in deren Wohnzimmer einnehmen wolle.
»Ja, aber zuerst will ich duschen und mich umziehen«, entgegnete Axel müde. Eigentlich hatte er nicht die geringste Lust, sich mit seiner Mutter zusammenzusetzen.
Adelheid Fernau war seit zehn Jahren verwitwet, noch jugendlich, sehr resolut, elegant, selbstsicher und energisch. Als Lisa ihren Sohn verlassen hatte, war sie zunächst als Vermittlerin aufgetreten und dann zu ihm gereist, um an seiner Seite die Rolle zu übernehmen, die eigentlich seiner Frau gebührte. Sie kümmerte sich um den reibungslosen Ablauf des Haushalts, beaufsichtigte das zahlreiche Personal und sorgte dafür, dass die gesellschaftlichen Verpflichtungen, die der Beruf ihres Sohnes nun einmal mit sich brachte, in der rechten Weise wahrgenommen wurden. Ihre Cocktailparties waren in der ganzen Stadt bekannt, und ihre Einladungen zum Dinner galten als besondere Auszeichnung. Sie pflegte an der Tafel mit der bis ins kleinste ausgefeilten Tischordnung ihrem Sohn gegenüberzusitzen und unauffällig darüber zu wachen, dass alles fantastisch klappte.
Axel duschte und zog dann eine leichte Sporthose und ein kurzärmeliges weißes Hemd an. Er war erleichtert, dass er wenigstens aus der korrekten Kleidung herausgekommen war, die viel zu warm war bei der Hitze.
Seine Mutter erwartete ihn am gedeckten Teetisch. Es gab wahlweise heißen oder geeisten Tee, zartes Gebäck und belegte Brötchen.
»Dr. Brenner hat geschrieben. Lisa sträubt sich noch immer gegen die Scheidung. Auf die Dauer kann das nicht so weitergehen. Hast du ihr wieder zugeredet? Sie lässt alles offen und tut so, als wollte sie zu mir zurückkommen. Aber ich weiß mit absoluter Sicherheit, dass sie sich von dem Italiener Grivaldi nicht trennen wird. Sie liebt ihn, und sie will für immer bei ihm bleiben. Lisa ist eine kühle, verhaltene Natur. Sie hat sich eingebildet, dass sie ihr Leben nur mit dem Verstand meistern könne. Es schien auch zunächst alles nach Wunsch zu gehen, bis sie Grivaldi kennen lernte. Seitdem folgt sie nur noch ihrem Gefühl. Obwohl sie mich um dieses Italieners willen verlassen hat, ist sie mir seitdem sympathisch geworden.«
»Wie du redest! Du hast sie doch geliebt, als ihr heiratet. Das wirst du nicht abstreiten.«
»Ich habe sie nicht geliebt. Ich habe sie geheiratet, weil du behauptet hast, sie sei in mich verliebt. Du weißt, dass ich damals schnell heiraten wollte und nicht viel danach fragte, welche Frau es war. Ich kann mich deshalb von dem Vorwurf nicht freisprechen, dass ich Lisa Unrecht getan habe. Ich habe nie etwas für sie empfunden. Sie war die Tochter des Grafen Lichtenfels, sah gut aus und wollte mich heiraten. Das kam damals meinen eigenen Wünschen durchaus entgegen.«
»Ich hatte gehofft, dass es bei dir Liebe sei. Dass du immer alles so komplizieren musst, mein guter Junge. Was soll nun eigentlich werden? Eine Scheidung würde dir beruflich schaden, fürchte ich.«
»Das ist nicht wahr. Jedermann im Auswärtigen Amt weiß inzwischen, dass wir getrennt leben. Du kannst es auch anders ausdrücken, nämlich so, dass Lisa mir davongelaufen ist. Bis jetzt hat das meiner Karriere keinen Schaden zugefügt, und heutzutage hat auch kein vernünftiger Mensch etwas gegen eine Scheidung einzuwenden. Dr. Brenner hat herausgefunden, dass Grivaldi seinerseits eine Scheidung anstrebt. Als Italiener hat er da natürlich allerlei Schwierigkeiten. Ich fürchte, dass Lisa sich der Scheidung deshalb noch widersetzt. Sie möchte irgendeine Sicherheit haben. Ich werde Dr. Brenner schreiben, dass er ihr eine Rente auf Lebenszeit bieten soll, sofern sie nicht mehr heiratet. Vielleicht geht sie darauf ein. Es macht mir ja glücklicherweise nichts aus, ihr etwas zu zahlen.«
Adelheid Fernau presste die Lippen zusammen. »Gibt es keine Hoffnung mehr, dass ihr euch aussöhnt?«, fragte sie nach einer Weile.
»Wir haben uns nicht zerstritten und werden uns nicht aussöhnen, wie du das nennst. Lisa ist ihren Weg gegangen, und ich möchte, dass unter unsere Ehe, die eigentlich nie eine Ehe war, endgültig der Schlussstrich gezogen wird.«
»Willst du wieder heiraten?« Adelheid Fernau bemühte sich, ihre Erregung zu verbergen.
»Nein, ich glaube nicht. Ich kenne keine andere Frau. Aber da ich noch an Lisa gebunden bin, hatte ich ohnehin nicht das Recht, mich nach einer anderen umzusehen.«
Die Mutter nahm die Hand ihres Sohnes und tätschelte sie zärtlich. »Du hast mich, Axel. Solange du mich hier als Dame des Hauses haben kannst, brauchst du keine