Sophienlust Paket 4 – Familienroman. Patricia Vandenberg
ist ein so entzückendes Kind. Ich bin sicher, es wird nicht lange dauern, und du hast sie so lieb gewonnen, dass auch du sie nicht mehr hergeben willst.«
»Aber was soll geschehen, wenn wir von hier weggehen?«
»Einstweilen sind wir noch hier«, wandte Betti ein. »Du hast ja noch gar keine Stelle bei einem Zirkus.«
»Aber wenn …«
»Verdirb mir nicht die Freude«, bat Betti. »Im Moment ist alles in Ordnung – endlich! Ich mag mir jetzt nicht über die Zukunft Sorgen machen.«
Helmut gab sich geschlagen. Was sollte er auch unternehmen? Wenn er Einwände gegen Evis Verbleib bei Betti erhob, machte er sich bloß lächerlich oder stand als herzloser Bösewicht da. Und das wollte er auf keinen Fall. Außerdem rührte ihn ihre Liebe zu dem Kind doch irgendwie. Sie wirkte so fröhlich und sogar ein wenig ausgelassen, dass er sich seines Widerstandes schämte. Vielleicht hatte Betti wirklich recht. Vielleicht würde er sich an Evi gewöhnen.
*
Bettis strahlende Laune hielt jedoch nicht lange an. Sie hatte allen Grund zufrieden zu sein, aber tief in ihrem Inneren quälte sie was. Zuerst wusste sie nicht, was es war, und dann weigerte sie sich, die in ihr aufkeimenden Gefühle zur Kenntnis zu nehmen.
Es entging Andrea nicht, dass ihr Hausmädchen nach einigen Tagen ausgelassener Fröhlichkeit immer stiller und nachdenklicher wurde. Sie fragte sich, ob Betti ihren Entschluss, Evi zu sich zu nehmen, bereue, verwarf diesen Gedanken aber sofort wieder. Man brauchte nur beobachten, wie liebevoll und zärtlich Betti mit Evi umging, um zu wissen, dass sie das Kind nicht wieder hergeben würde.
Andrea entschloss sich, Betti auf den Zahn zu fühlen. »Fehlt Ihnen etwas?«, fragte sie.
»O nein – nein – nichts«, stammelte Betti erschrocken.
»Ist Herr Koster unfreundlich zu Ihnen?«, forschte Andrea weiter.
»Herr Koster? Helmut? Ich glaube, er hat sich damit abgefunden, dass Evi bei mir bleibt«, erwiderte Betti eher gleichgültig.
»Nun ja, aber irgendetwas stimmt doch mit Ihnen nicht«, meinte Andrea.
Betti wunderte sich über die Hellsichtigkeit ihrer Dienstgeberin. Sie selbst war sich über die Gedanken, die sie bewegten, nicht klar. Es fiel ihr deshalb auch schwer, sie in Worte zu fassen.
»Evi ist so glücklich hier bei uns«, sagte sie schließlich zögernd.
»Ja, das ist sie wirklich«, entgegnete Andrea warm. »Aber das ist doch ein Grund zur Freude.«
»Gewiss. Nur manchmal …, manchmal muss ich an ihren Vater denken. Ich habe Gewissensbisse.«
»Gewissensbisse?« Andrea schüttelte verwundert den Kopf.
»Evi ist doch sein Kind …« Betti wusste nicht, wie sie sich ausdrücken sollte.
»Er hat auf Evi verzichtet«, meinte Andrea.
»Vielleicht hat er das gar nicht gern getan?«, erwiderte Betti nachdenklich.
»Unsinn. Er hat es getan.«
»Ja, aber vielleicht bereut er es.«
»Dazu ist es zu spät. Übrigens ist das nicht unsere Angelegenheit.«
»Trotzdem lässt es mir keine Ruhe. Ich muss immerzu daran denken, was Evis Vater alles versäumt, wenn er nicht mit seinem Kind beisammen ist.«
»Das sind Haarspaltereien.«
»Manchmal habe ich das Gefühl, ich hätte Evi gestohlen«, fuhr Betti fort, ohne auf Andreas Einwurf zu achten.
Andrea konnte Bettis Überlegungen nicht folgen. »Aber Evi ist doch vollkommen rechtmäßig ihr Pflegekind«, meinte sie realistisch.
»Rechtmäßig …«, wiederholte Betti und fuhr dann lebhafter fort: »Es sind mir Zweifel gekommen, ob ich wirklich im Recht bin – oder ob ich einfach egoistisch war, als ich Evi nicht hergeben wollte. Sie gehört ihrem Vater.«
»Ihr Vater wollte sie nicht, das steht doch eindeutig fest«, erklärte Andrea. »Wenn Sie Evi nicht genommen hätten, dann wäre sie zu anderen Leuten gekommen.«
»Ja, das stimmt«, gab Betti erleichtert zu, doch gleich darauf fügte sie traurig hinzu: »Trotzdem geht mir das Schicksal Erich Gleisners nicht aus dem Sinn. Wer weiß, ob er freiwillig auf Evi verzichtet hat. Wenn er ein kranker Mann ist, dann ist er möglicherweise gar nicht in der Lage, für sein Kind zu sorgen.«
»Nun ja, das ändert aber nichts an den Tatsachen.«
»Er hat vielleicht Sehnsucht nach seinem Kind«, gab Betti zu bedenken.
»Ich bin der Meinung, dass Sie Ihr Mitleid verschwenden«, erwiderte Andrea, und damit war die Sache für sie abgetan.
Auch Betti sagte nichts mehr. Sie bemühte sich, nicht mehr an Erich Gleisner zu denken. Ihre Pflichten ließen ihr auch kaum Zeit dazu. Die Kinder mussten beaufsichtigt werden, und seit Peter seine ersten freien Schritte gemacht hatte, war er kaum noch zu bändigen. Sein Interesse an der Umwelt war deutlich ausgeprägt, was seinen Eltern und Betti zwar sehr gefiel, aber manchmal zu unliebsamen Zwischenfällen führte.
Einmal konnte Betti gerade noch im letzten Augenblick verhindern, dass er, auf den Zehenspitzen balancierend, eine heiße Pfanne mit gerösteten Kartoffeln vom Herd zog.
Ein anderes Mal hatte Betti weniger Glück. Im Vorraum stand auf einem niedrigen Schränkchen eine kleine Vase aus handbemaltem Porzellan. Schon seit geraumer Zeit zeigte Peterle eine deutliche Vorliebe für dieses Erbstück, doch bisher hatte es sich jenseits seiner Reichweite befunden. Seit er laufen konnte, hatte sich das geändert. Doch daran hatte niemand gedacht.
Betti war gerade damit beschäftigt, den Teppich abzusaugen, als plötzlich Peterles Geschrei an ihre Ohren drang. Sie stellte den Staubsauger ab und sah sich nach dem Jungen um.
Das Geschrei des Kleinen war leiser geworden, er schluchzte nur mehr herzzerbrechend und sah zu Boden. Betti folgte seinen Blicken. O weh! Da lag die Vase, in zwei Stücke zerbrochen.
Peterle setzte sich abrupt nieder und wollte nach den Scherben greifen, aber Betti kam ihm zuvor. »Nein, warte – ich hebe das auf!«, rief sie. »Da muss man vorsichtig sein, sonst schneidet man sich in den Finger und blutet.«
Peterle verstummte und beobachtete Betti, wie sie die Stücke aufhob. Er schien zu hoffen, dass sie die Vase wieder ganz machen könne. Als er merkte, dass sie die Scherben auf das Schränkchen legte, ohne dass wieder eine Vase daraus wurde, brach er erneut in lautes Weinen aus. Das lockte seine Eltern herbei.
Hans-Joachim erschien als Erster. »Was soll dieses Geschrei? Hast du dir wehgetan, Peterle?«, fragte er und hob seinen Sohn auf. »Wein doch nicht so. Gleich ist alles wieder gut. Zeig mir, wo hast du dir wehgetan?«
Peter schluchzte auf.
Nun erschien auch Andrea. Auch sie war der Meinung, dass Peter hingefallen sei und sich wehgetan habe. Sie befühlte seinen Kopf, suchte nach einer Beule, fand jedoch keine.
Peterle streckte seine Hände aus. Andrea besah sie und meinte dann: »Außer dass sie schmutzig sind, kann ich an deinen Händen nichts entdecken.«
Betti hatte schon die ganze Zeit über die Angelegenheit aufklären wollen, kam aber erst jetzt zu Wort. »Peterle hat sich nichts getan«, erklärte sie. »Er hat bloß die Vase zerbrochen.«
»Bloß die Vase?« Hans-Joachims Blick fiel auf die Scherben. »Peter! Du schlimmer Junge!« Er stellte seinen Sohn auf den Boden und griff nach den beiden Bruchstücken.
»Schimpf nicht«, versuchte Andrea ihren Mann zu besänftigen. »Er hat es bestimmt nicht mit Absicht getan.«
»Das will ich auch hoffen«, grollte Hans-Joachim.
»Er ist doch selbst traurig darüber, dass die Vase kaputt ist«, meinte Betti. »Sie hat ihm so gut gefallen. Ich weiß nicht, wie es passiert ist. Wahrscheinlich hat er danach gegriffen,