Sophienlust Paket 4 – Familienroman. Patricia Vandenberg
mit dir beisammen bin.«
Denise zog bei Giselas Worten scharf den Atem ein, und Anja warf ihr deshalb einen fragenden Blick zu.
»Sonderbar, dass mir das nicht auch aufgefallen ist«, erwiderte Denise mit unterdrückter Stimme auf Anjas Blick. »Seit Lucie bei uns ist, hat sie wirklich eine viel bessere Farbe bekommen. Allem Anschein nach bräunt ihre Haut sehr leicht. Als wir sie fanden, war sie sehr blass. Das würde bedeuten, dass sie sich früher kaum im Freien, sondern immer in geschlossenen Räumen aufgehalten haben muss.«
Anja bestätigte Denise, dass diese Schlussfolgerung einiges auf sich habe. Dann verabschiedete sie sich mit den Worten: »Ich kann im Moment nichts weiter für Lucie tun. Körperlich ist sie gesund, und ansonsten … Gisela wird den Fall übernehmen.« Sie lächelte ihrer Kusine zu und ging.
Heidi hatte alles mit angehört. Als sie merkte, dass Gisela bei Lucie blieb, eilte sie auf die beiden zu und fragte die junge Frau: »Spielst du auch mit mir?«
»Gern. Aber Lucie muss mitmachen.«
»Ach, die will ja nicht. Lucie ist so langweilig. Komm lieber mit mir, ich zeig dir unseren Spielplatz.«
Doch da griff Lucie nach Giselas Arm und bemühte sich, sie hinüberzuziehen zu dem schattigen Plätzchen, wo die alte Huber-Mutter unter einem hohen Baum saß und strickte.
»Oh, du möchtest mich der Huber-Mutter vorstellen«, sagte Gisela und schüttelte gleich darauf der alten Frau die Hand.
Während Lucie auf den Schoß der Huber-Mutter kletterte, erzählte Gisela von ihrem Beruf und von dem Vorsatz, den sie in Bezug auf Lucie gefasst hatte.
»Sie hatten das Vertrauen des Kindes gewonnen«, schloss sie. »Ich hoffe, dass mir das ebenfalls gelingt.«
»Lucies Vertrauen?«, wiederholte die alte Frau nachdenklich. »Ich weiß nicht recht … Ich habe von ihr noch nie eine Antwort auf meine Frage bekommen.«
»Auch dazu wird es eines Tages noch kommen«, meinte Gisela zuversichtlich.
Den Rest des Nachmittags widmete Gisela der kleinen Lucie, wobei sie von der Huber-Mutter nach besten Kräften unterstützt wurde.
Als Gisela nach Wildmoos zurückkehrte, war es spät geworden, sodass sie deshalb ein schlechtes Gewissen hatte. »Ich habe mich recht lang in Sophienlust aufgehalten«, sagte sie entschuldigend zu Anja. »Eigentlich wollte ich längst zurück sein, um dir bei der Zubereitung des Abendessens zu helfen. Es war egoistisch von mir, dir alle Arbeit zu überlassen.«
»Das ist nicht so tragisch«, beruhigte Anja ihre Kusine. »Morgen kommt übrigens Tante Elise, die mir den Haushalt führt, von ihrer Reise zurück. Sie wird nicht erlauben, dass du auch nur einen Handgriff machst. Im Ernst, du darfst noch nichts arbeiten. Du sollst dich hier erholen. Dass du dich mit Lucie beschäftigst, habe ich nur erlaubt, weil ich denke, dass du dich dabei nicht anstrengst. Aber nun berichte mir. Hast du schon einen Erfolg zu verbuchen?«
»Keinen besonderen. Höchstens den, dass Lucie mich wenigstens nicht abzulehnen scheint.«
»Du darfst nicht lockerlassen.«
»Das werde ich auch nicht«, nahm Gisela sich vor.
*
Ein paar Tage später tauchte Herr Wendelin Schulte, von Beruf Studienrat, in Sophienlust auf. Er verlangte die Heimleiterin zu sprechen.
Das Hausmädchen Lena, das auf sein Klingeln hin zur Tür geeilt war, schüttelte bedauernd den Kopf. »Frau Rennert kommt erst am Abend heim«, sagte sie.
»Wann? Um wie viel Uhr? Ich werde noch einmal herkommen«, sagte Wendelin Schulte mit vor Ungeduld bebender Stimme.
Trotz seines eher unwirschen Betragens fand sie den Mann sympathisch. Er war groß, schlank, wirkte jedoch nicht mager, sondern eher drahtig. Er hatte kurz geschnittene blonde Haare, graue Augen und eine gebräunte Haut. Lena schätzte, dass er ungefähr dreißig Jahre alt war.
»Vielleicht wollen Sie mit Frau von Schoenecker sprechen?«, schlug das Hausmädchen vor und führte den Studienrat in die Halle. Dann lief sie zum Biedermeierzimmer, um den Besucher anzumelden.
Denise sah etwas ungehalten von dem Brief, den sie gerade schrieb, auf. »Ein Studienrat?«, fragte sie.
»Ja«, bestätigte Lena. »Der Herr heißt Wendelin Schulte und ist Studienrat. Das hat er zumindest behauptet.«
»Was kann er nur von mir wollen?«
»Er hat nach der Heimleiterin gefragt. Aber nachdem Frau Rennert nicht hier ist …« Lena ließ den Rest des Satzes im Raum schweben. »Er ist aufgeregt«, setzte sie dann noch hinzu.
»Führen Sie ihn herein«, bat Denise und legte den begonnenen Brief beiseite.
Während das Hausmädchen Herrn Schulte holte, überlegte Denise, ob einer ihrer Schützlinge vielleicht eine Missetat begangen hatte, die so schwerwiegend war, dass man deshalb einen Lehrer hersandte. Nein, beruhigte sie sich sogleich, keiner der Lehrer in Maibach trug den Namen Schulte.
Wendelin Schulte machte Denises Befürchtungen rasch ein Ende, indem er erklärte, extra von Stuttgart, wo er wohne und an einer Schule unterrichte, nach Wildmoos gekommen zu sein.
»Die Sache hat mir einfach keine Ruhe gelassen«, sagte er, wobei er Denise im Unklaren darüber ließ, von welcher Sache er sprach. Doch noch bevor sie danach fragen konnte, fuhr er fort: »Tagelang habe ich mir die Bilder angesehen und sie verglichen. Es hat mich gequält, ich habe gegrübelt, ohne eine Erklärung dafür zu finden.«
Mit einer hastigen Handbewegung zog er seine Brieftasche hervor und entnahm ihr einen Zeitungsausschnitt sowie ein Foto. Beides legte er vor Denise auf den Tisch und fragte: »Was meinen Sie dazu?«
Denise blickte zweifelnd auf die vor ihr liegenden Beweisstücke. »Das eine ist ein Zeitungsausschnitt mit Lucies Bild«, stellte sie fest. »Ich kenne es zur Genüge. Und das andere ist ein Foto von einer jungen Frau.«
»Und? Sehen Sie denn keine Ähnlichkeit zwischen den beiden?«
Denise unterzog das Foto einer genaueren Prüfung. »Ja, es könnte eine gewisse Ähnlichkeit vorhanden sein«, gab sie vorsichtig zu. »Die Frau auf dem Foto erinnert mich an jemanden, aber sie ist dunkelhaarig, während Lucie blondes Haar besitzt. Und die Gesichtszüge … Wer ist diese Frau?«
»Beatrix Harlan«, erwiderte der Besucher knapp.
»Harlan?« Denise ließ das Foto, das sie in die Hand genommen hatte, beinahe fallen.
Ihr Erschrecken war so auffällig, dass es dem Studienrat nicht entgehen konnte. »Kennen Sie Beatrix?«, fragte er in steigender Erregung.
»Nein«, entgegnete Denise. »Ich habe nie … Doch, ich habe von ihr gehört«, verbesserte sie sich stirnrunzelnd. »Diese geschwätzige Frau in dem Laden hat ein Fräulein Beatrix erwähnt. Schade, dass Nick jetzt in der Schule ist, er würde triumphieren.«
»Nick?«
»Mein Sohn. Er war überzeugt, dass zwischen Frau Harlan und Lucie eine Verbindung besteht. Er hat seine Nachforschungen erst aufgegeben, als ich es ihm befahl. Ich habe seinen Verdacht nicht ernst genommen. Es war ja auch nichts Greifbares. Im Grunde genommen gibt es das noch immer nicht.«
Denise betrachtete die beiden Bilder noch einmal eingehend. »Ins Auge springend ist die Ähnlichkeit nicht«, meinte sie dabei. »Wieso ist sie Ihnen aufgefallen? Und wie stehen Sie zu Frau Harlan?«
»Ich war mit ihr bekannt«, erwiderte der Besucher ausweichend. »Das ist über dreieinhalb Jahre her. An einem nebligen Spätherbsttag habe ich sie zum ersten Mal gesehen.«
Wendelin Schulte schwieg eine Weile und Denise hatte den Eindruck, dass die Erinnerung, der er nachging, unangenehmer Natur war, denn sein Gesicht zeigte einen verschlossenen Ausdruck.
Plötzlich sah er auf und fragte lebhaft: »Welchen Verdacht hat Ihr Sohn gegen Frau Harlan gefasst?«
»Ich