Die Bonanzarad-Bibel. Jörg Maltzan

Die Bonanzarad-Bibel - Jörg Maltzan


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dem Werkscode J88 versehene Frauen-Stingray wie die männliche Version bei 49,95 Dollar.

       Das Fastback: skurril, aber bequem

      Und so geht es weiter: Dem Fair Lady folgt 1966 das Fastback. Auch hier übernimmt Schwinn eine Bezeichnung aus der Autoindustrie. Zum Preis von 69,99 Dollar trägt es einen speziellen Lenker, dessen Enden sich deutlich weiter nach hinten neigen und so eine noch bequemere Sitzhaltung versprechen. 1967 folgt sogar ein besonders kurioses Fastback, bei dem der Lenker wie die Hörner eines Steinbocks geformt ist.

      Außerdem hat das Fastback eine Fünf-Gang-Kettenschaltung samt langem Schalthebel auf dem Oberrohr. Der lange Metallshifter mündet in einen Plastikball mit der Aufschrift fünf. Hinten schaltet ein Umwerfer aus Frankreich mit dem sportiven Namen Sprint. Da die Kettenschaltung über einen Freilauf verfügt, kommen vorn wie hinten Felgenbremsen zum Einsatz. Erstmalig mit Schaltung wird das Stingray 1965 offeriert. Optional zum Basismodell gibt es eine Variante mit Drei-Gang-Sturmey-Archer-Nabe (57,95 Dollar) oder als Topmodell das J3 mit Zwei-Gang-Bendix-Bremsnabe plus Vorderradbremse für 59,95 Dollar. 1966 setzt sich der Trend zu den langen Schaltknüppeln auf dem Oberrohr immer mehr durch.

      1967 erweitert neben dem Fastback das Midget die Stingray-Modellpalette. Es ist die Kinderversion mit 16-Zoll-Rädern und verkleinertem Rahmen. Lackiert wird das Midget in Blau oder Kupfer.

      Mitten im High-Riser-Boom reagiert Schwinn schnell und weitet den Trend sogar auf sein Tandem-Angebot aus. Das Mini-Twin ist ein Stingray-Tandem mit 20-Zoll-Weißwandreifen, zwei Bananensätteln und Sissybar.

      Zwei Jahre später folgt 1969 das Stardust, quasi ein Nachfolger des Fair Lady. Der Tiefeinsteiger mit abnehmbaren Korb zielt auf Mütter und Töchter - von Omas war plötzlich nicht mehr die Rede. Das Stardust gibt es mit Ein-Gang-Nabe (63,95 Dollar) oder als Sturmey-Archer-Drei-Gang-Ausführung mit Schaltgriff am Lenker (73,95 Dollar). 1972 verschwindet das Stardust wieder aus dem Programm.

      Ab 1972 hat der Schwinn Manta-Ray seinen kurzen Auftritt. Es ist Schwinns Versuch, aus der Teenager-Ecke herauszukommen und dafür zu sorgen, dass auch die Erwachsenen das erfolgreiche Stingray als ernsthafte Anschaffung in Erwägung ziehen. Der Manta-Rochen verfügt über 24-Zoll-Räder, einen vergrößerten Rahmen und einen weniger hohen Lenker als seine 20-Zoll-Brüder sowie eine Fünf-Gang-Kettenschaltung samt Schalthebel auf dem Oberrohr. Doch das Manta-Ray floppt und verschwindet bereits nach der Saison 1972 wieder aus dem Programm des Fahrradherstellers.

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       An einem High-Riser kommen amerikanische Jungen Ende der 60er kaum vorbei. Die Bikes werden zum meistverkauften Fahrradtyp in den USA.

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       Modelle wie Stardust und Fair Lady zielen auf die Vorlieben von jungen Frauen. Mit moderatem Erfolg. Stingrays bleiben vor allem Boys-Bikes.

      Schon seit 1959 hat das Tornado seinen Platz in der Schwinn-Modellpalette - ein Cruiserbike für Damen und Herren. Bis 1977. Auf Basis des Stingray-Rahmens entwickelten die Schwinn-Ingenieure ein Sportrad, das sehr deutliche BMX-Merkmale in sich trägt. Sehr kurze Schutzbleche, mehrfarbiger Kettenschutz, gesteppter Bananensattel, angedeuteter Tank - das Tornado sieht aus wie ein Crossmotorrad zum Treten.

       Der Krate-Hype

      Eine Sonderrolle innerhalb der High-Riser-Hierarchie nimmt das Schwinn Krate ein. Die Sonderform des Stingrays zeigt deutliche Anlehnungen an Motorrad-Chopper und Dragster. Entsprechend abgestimmt fällt auch die Werbung dafür aus. Erstmalig taucht es 1968 im Schwinn-Katalog auf. Vorn trägt es ein kleines 16-Zoll-Rad mit Trommelbremse, hinten den normalen 20-Zöller allerdings mit glatter Slick-Bereifung. Dazu eine lang ausgeführte Springergabel, die weit nach vorn ragt. Außergewöhnlich auch die gefederte Sissybar, die laut Prospekt ein Full-floating-Fahrerlebnis schafft. Unter Namen wie Orange Krate, Pea Picker und Lemon Peeler sollte es zu einem großen Erfolg werden. Ausgelöst wurde der Trend zu lässigen Cruiserbikes durch den Kultfilm und das Roadmovie Easy Rider von 1969 mit Dennis Hopper und Peter Fonda. Der lange Shifter auf dem Oberrohr dagegen erinnert eher an Musclecars. Die Krates waren bis 1973 im Schwinn-Programm. Der Anfangspreis liegt im Erscheinungsjahr bei 87 Dollar, am Ende kostet das Fünf-Gang-Krate 120 Dollar.

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       1972 ergänzt ein Manta-Ray das Schwinn-Modellprogramm. Die größeren 24-Zoll-Räder und die Kettenschaltung sollen vor allem ältere Jugendliche ansprechen. Der Verkaufshit bleibt aber das Krate.

      Mit dem kleinen 16-Zoll-Vorderrad ist das serienmäßig gebaute Krate ein Extrem. Den amerikanischen Fahrradbastlern ist das noch nicht genug. Noch kleinere Vorderräder, statt normaler Pedale stylische Sohlen aus Metall und ein Autopneu im Hinterbau kommen in Mode. So beobachtet der deutsche Fahrradjournalist Christian Christophe 1971 bei einer Recherche in Amerika folgendes Phänomen: »In Vorstädten und Parks werden die Lenker noch steiler, die Bananensättel noch höher getragen, und das Vorderrad von 14 Zoll wird durch ein solches aus zehn Zoll ersetzt. Sonst ist man nicht in. Das steuert sich viel schwerer, denn der Nachlauf ist negativ und darum ist’s gefährlich … Dass dieses auch der Witz und die Kunst des So-Fahrens ist, würde ihnen jeder Sprecher der Jugend antworten.«

      Für den Radmarkt ist das alles zu viel. Die extremen Umbauten in den USA kommentiert er mit deutlichem Kopfschütteln: »Nun ja, für Menschen ohne lange Haare ist die Welt wohl nicht mehr zu verstehen«, moralisiert das Branchen-Fachorgan in seiner Ausgabe 6 von 1971. Denn die Mode mit der Mischbereifung schwappt auch nach Europa. In Italien versucht die legendäre Rennradmarke Gios mit ihrem Easy Rider Aufmerksamkeit zu erregen. Wie das Krate trägt es in der langen Federgabel ein kleines 16-Zoll-Rad und imitiert den Chopper-Look. Die Fahrradfabrik Schauff traut sich an einen ähnlichen Entwurf, kommt aber über einen Messeprototyp nie hinaus. Anders die Heidemann Werke Einbeck (HWE), die eine erfolgreiche Krate-Kopie ins Programm nehmen und auch unter dem Label Triumph verkaufen. Die Kaufhausmarke Mars bietet ebenfalls einen 16/20-Zoll-High-Riser an. Durchsetzen können sich diese Chopper-Bikes in Deutschland nicht. Ob’s am konservativen Radmarkt liegt? Denn der empfiehlt: »Der gewissenhafte Fachhandel sollte sich an verkehrsgerechte Normen halten und konstruktive Auswüchse nicht weiter unterstützen.«

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       Für die kleine Schwester eine Puppe, Sohnemann kriegt das Krate – so traditionell und konservativ machen die Fahrradhersteller Werbung. Ob der Bursche noch im Schlafanzug zur ersten Testrunde aufbricht, ist nicht überliefert.

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       Die Fahrradmarke Murray produziert ab 1965 High-Riser. Der Eliminator wird zu einem wichtigen Konkurrenten des Stingrays und hat eine Fünf-Gang-Kettenschaltung.

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       Mit einem 24-Zoll-Reifen hinten und dem normalen 20-Zöller vorn versuchen Murray und auch Schwinn das Modellportfolio zu erweitern. Doch diese Modelle haben nur eine kurze Lebenszeit.

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       1968 bringt Schwinn das Krate mit markanter Mischbereifung. Die lange Springergabel und der ebenfalls gefederte Bananensattel sorgen für ein Full-floating-Fahrerlebnis – und füllen die Schwinn-Kasse. Sie sind deutlich teurer als die normalen Stingrays.

      


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