Die ersten Menschen im Mond. Herbert George Wells

Die ersten Menschen im Mond - Herbert George Wells


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Fenster oder Jalousien geschlossen sind, wird kein Licht, keine Wärme, keine Gravitation, keine strahlende Energie irgendwelcher Art ins Innere der Sphäre kommen, sie wird in gerader Linie durch den Raum fliegen, wie sie sagen. Aber öffnen Sie ein Fenster, stellen Sie sich vor, eins der Fenster offen! Dann wird uns sofort jeder schwere Körper, der sich gerade in der Richtung befindet, anziehen – –«

      Ich saß da und nahm das in mich auf.

      »Sie verstehen?« sagte er.

      »O, ich verstehe

      »Tatsächlich werden wir imstande sein, ganz wie wir wollen, im Raum umherzulavieren. Uns von diesem und dem anziehen zu lassen.«

      »O ja. Das ist klar genug. Nur – –«

      »Ja?«

      »Ich sehe nicht ganz ein, wozu wir's tun sollen! Es ist wirklich nichts weiter als von der Welt weg springen und wieder zurück.«

      »Sicher! Man könnte zum Beispiel auf den Mond gehen.«

      »Und wenn man hinkäme! Was wollten Sie finden?«

      »Wir müßten sehen – O! bedenken Sie das neue Wissen.«

      »Ist Luft da?«

      »Vielleicht.«

      »Es ist eine schöne Idee,« sagte ich, »aber es scheint mir trotzdem ein etwas großer Auftrag. Ich würde viel lieber erst ein paar kleinere Sachen versuchen.«

      »Sie kommen wegen der Luftschwierigkeit nicht in Frage.«

      »Warum nicht diese Idee von Federjalousien – Cavorit-Jalousien in starken Stahlbehältern – anwenden, um Gewichte zu heben?«

      »Sie würden nicht arbeiten,« beharrte er. »Schließlich – in den äußeren Raum zu reisen, ist nicht so sehr viel weniger,wenn es weniger ist, als eine Nordpolexpedition. Man macht Nordpolexpeditionen.«

      »Keine Geschäftsleute. Und außerdem werden sie für Nordpolexpeditionen bezahlt. Und wenn irgend etwas verkehrt geht, sind die Rettungsexpeditionen da. Aber dies – da feuert man sich ja für nichts von der Welt.«

      »Nennen Sie's Prospektern.«

      »So werden Sie's nennen müssen ... Man könnte vielleicht ein Buch daraus machen,« sagte ich.

      »Ich zweifle nicht, daß Mineralien da sind,« sagte Cavor.

      »Zum Beispiel?«

      »O! Schwefel, Erze, Gold vielleicht, womöglich neue Elemente.«

      »Transportkosten,« sagte ich. »Sie wissen, Sie sind kein praktischer Mensch. Der Mond ist 'ne Viertelmillion Meilen entfernt.«

      »Mir scheint, es würde nicht viel kosten, irgendwelches Gewicht irgendwohin zu schaffen, wenn man's in Cavoritkisten verpackte.«

      Daran hatte ich nicht gedacht. »Lieferung frei an Kopf des Empfängers, eh?«

      »Auch nicht, als ob wir auf den Mond beschränkt wären.«

      »Sie meinen – –?«

      »Da ist der Mars – klare Atmosphäre, neue Umgebung, erhebendes Gefühl der Leichtigkeit. Es könnte hübsch sein, dahinzugehen.«

      »Ist Luft auf dem Mars?«

      »O ja!«

      »Scheint, man könnte ihn als Sanatorium auftun. Nebenbei, wie weit ist es bis zum Mars?«

      »Zweihundert Millionen Meilen gegenwärtig,« sagte Cavor leichthin; »und man kommt dicht an der Sonne vorbei.«

      Meine Phantasie raffte sich auf. »Im Grunde«, sagte ich, »ist was dran, an diesen Dingen. Das Reisen – –«

      Eine außerordentliche Möglichkeit kam mir in den Geist gestürzt. Plötzlich sah ich wie in einer Vision das ganze Sonnensystem mit Cavorit-Booten und Sphären de luxe durchzogen. »Vorkaufsrechte«, kam mir in den Kopf geschwommen – planetarische Vorkaufsrechte. Ich entsann mich des alten spanischen Goldmonopols in Amerika. Durchaus nicht, als ob es sich gerade nur um diesen oder den Planeten gehandelt hätte – es handelte sich um alle. Ich starrte Cavors rotes Gesicht an, und plötzlich sprang und tanzte meine Phantasie. Ich stand auf, ich ging auf und ab; die Zunge war mir gelöst.

      »Ich fange an zu begreifen,« sagte ich; »ich fange an zu begreifen.« Der Übergang vom Zweifel zur Begeisterung schien kaum überhaupt Zeit in Anspruch zu nehmen. »Aber dies ist ungeheuer!« rief ich. »Dies ist kaiserlich! Von solchen Dingen hab ich mir im Traum nichts beifallen lassen.«

      Als einmal das Eis meines Widerstandes geschmolzen war, ließ er seiner eigenen, lange eingeschlossenen Erregung Spielraum. Auch er stand auf und schritt hin und her. Auch er gestikulierte und rief. Wir benahmen uns wie inspirierte Menschen. Wir waren inspirierte Menschen.

      »All das wollen wir schon erledigen!« sagte er als Antwort auf eine gelegentliche Schwierigkeit, die mir den Zügel angelegt hatte. »All das wollen wir in Kürze erledigen! Wir wollen die Zeichnungen für die Formen noch heute abend beginnen.«

      »Wir wollen sofort beginnen,« antwortete ich, und wir liefen zum Laboratorium, um diese Arbeit alsbald in die Hand zu nehmen.

      Ich war die ganze Nacht hindurch wie ein Kind im Wunderland. Die Morgendämmerung fand uns beide noch an der Arbeit – wir achteten des Tages nicht und ließen unser elektrisches Licht weiterbrennen. Ich entsinne mich noch genau, wie diese Zeichnungen aussahen. Ich schattierte und tönte, während Cavor zeichnete – verschmiert und hastig hingeworfen waren sie in jeder Linie, aber wundervoll korrekt. Wir schickten die Bestellungen auf die Stahljalousien und Rahmen ab, die wir nach der Arbeit dieser Nacht nötig hatten, und die Glassphäre war in einer Woche entworfen. Wir gaben unsere Nachmittagsunterhaltungen und unseren alten Schlendrian völlig auf. Wir arbeiteten – und wir schliefen und aßen, wenn wir vor Hunger und Müdigkeit nicht mehr arbeiten konnten. Unsere Begeisterung steckte sogar unsere drei Leute an, obgleich sie keine Ahnung hatten, wozu die Sphäre war. In jenen Tagen gab Gibbs das Gehen auf und lief überall, selbst durchs Zimmer, in einer Art aufgeregten Laufschritts.

      Und sie wuchs – die Sphäre. Der Dezember ging hin, der Januar – ich brachte einen Tag damit zu, mit einem Besen einen Pfad zwischen Sommerhaus und Laboratorium zu fegen – Februar, März. Gegen Ende März kam die Vollendung in Sicht. Im Januar war ein Spann Pferde gekommen, eine riesige Packkiste; unsere dicke Glassphäre hatten wir jetzt fertig, und sie war unter dem Krahn aufgestellt, den wir aufgetakelt hatten, um sie in die Stahlschale zu schwingen. All die Stangen und Jalousien der Stahlschale – es war nicht eigentlich eine sphärische Schale, sondern polyndrisch, mit einer Rolljalousie für jede Fazette – waren im Februar gekommen, und die untere Hälfte wurde zusammengenietet. Das Cavorit war im März zur Hälfte fertig: die Metallmasse hatte zwei der Entwicklungsstufen ihrer Herstellung durchgemacht, und wir hatten ganz die Hälfte davon auf die Stahlstangen und Jalousien gestrichen. Es war erstaunlich, wie eng wir uns an die Linien von Cavors erster Inspiration hielten, als wir den Entwurf ausarbeiteten. Als das Zusammennieten der Sphäre beendet war, schlug er vor, das rohe Dach des zeitweiligen Laboratoriums, in dem die Arbeit vor sich gegangen war, zu entfernen und einen Schmelzofen darum zu bauen. So sollte die letzte Phase der Cavorit-Herstellung, in der die Masse in einem Heliumstrom zu einer stumpfen Rotglut erhitzt wird, vollzogen werden, wenn es schon über der Sphäre lag.

      Und dann hatten wir zu erörtern und zu beschließen, welcher Art Vorräte wir mitnehmen sollten – komprimierte Nahrungsmittel, konzentrierte Essenzen, Stahlzylinder mit Reservesauerstoff, eine Vorrichtung, Kohlensäure und verdorbene Luft zu entfernen und Sauerstoff mittelst Natriumhyperoxyd zu ersetzen, Wasserkondensatoren und so weiter. Ich erinnere mich noch des kleinen Haufens, den sie im Winkel bildeten – Zinndosen, Rollen und Kisten – überzeugend tatsächlich.

      Es war eine emsige Zeit mit wenig Gelegenheit zum Nachdenken. Aber eines Tages, als wir uns dem Ende näherten, überkam mich eine sonderbare Stimmung. Ich hatte den ganzen Morgen am Schmelzofen gemauert, und ich setzte mich wie zerschlagen bei diesen Liegenschaften nieder. Alles schien stumpf und unglaublich.


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