Die Zeitmaschine. Herbert George Wells

Die Zeitmaschine - Herbert George Wells


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      »Wo ist – –?« sagte ich und nannte unsern Wirt.

      »Sie sind gerade gekommen? Es ist etwas merkwürdig. Er bittet mich in diesem Billet, zu Tisch zu führen, wenn er um sieben nicht zurück ist. Er ist dringend abgehalten. Sagt, er wolle erklären, wenn er kommt.«

      »Es wäre schade, das Essen verderben zu lassen«, sagte der Herausgeber einer bekannten Tageszeitung; und daraufhin schellte der Doktor.

      Der Psychologe war außer dem Doktor und mir der einzige, der auch auf dem vorigen Diner gewesen war. Die anderen Leute waren Blank, der erwähnte Herausgeber, ein Journalist und noch jemand – ein ruhiger, scheuer Mann mit einem Bart – den ich nicht kannte, und der, soweit meine Beobachtung ging, den ganzen Abend hindurch den Mund nicht auftat. Bei Tisch wurde ein wenig die Abwesenheit des Zeitreisenden erörtert, und ich nannte in halb scherzhaftem Sinn eine Reise in die Zeit. Der Herausgeber wollte das erklärt haben, und der Psychologe gab einen hölzernen Bericht von dem »geistreichen Paradoxon und Trick«, den wir vor einer Woche gesehen hatten. Er war mitten in seiner Auseinandersetzung, als die Tür vom Gang langsam und geräuschlos aufging, ich saß der Tür gegenüber und sah es zuerst. »Hallo!« sagte ich. »Endlich!« Und die Tür ging weiter auf, und der Zeitreisende stand vor uns. Ich stieß einen kleinen Schrei vor Überraschung aus. »Gütiger Himmel! Nanu, was ist los?« rief der Arzt, der ihn zunächst sah. Und die ganze Tafelrunde wandte sich zur Tür.

      Er sah furchtbar aus. Sein Rock war staubig und schmutzig und die Ärmel herunter grün beschmiert; sein Haar war wirr, und wie mir schien, grauer – entweder von Staub und Schmutz oder weil seine Farbe wirklich geblichen war. Sein Gesicht war gespenstisch bleich; sein Kinn zeigte eine braune Wunde – einen halbgeteilten Schnitt; sein Ausdruck war verstört und eingefallen wie von intensivem Leiden. Einen Moment zögerte er in der Tür, als sei er vom Licht geblendet. Dann kam er ins Zimmer. Er hinkte genau, wie ich es bei fußwunden Landstreichern gesehen hatte. Wir starrten ihn schweigend an und erwarteten, er würde reden.

      Er sagte kein Wort, sondern trat mühsam an den Tisch und machte eine Bewegung nach dem Wein. Der Herausgeber schenkte ein Glas Sekt ein und schob es ihm zu. Er leerte es, und es schien ihm gut zu tun, denn er blickte rings um den Tisch, und der Schatten seines alten Lächelns flackerte über sein Gesicht. »Was auf aller Welt haben Sie angestellt? Nanu?« sagte der Arzt. Der Zeitreisende schien nicht zu hören. »Lassen Sie sich nicht von mir stören«, sagte er mit ein wenig stotternder Artikulation. »Mir ist wohl!« Er unterbrach sich, hielt sein Glas zum Füllen hin und trank es auf einen Zug aus. »Das tut gut«, sagte er. Seine Augen wurden klarer, und in seine Backen trat wieder ein wenig Farbe. Sein Blick flackerte mit einer Art stumpfen Beifalls über unsere Gesichter und ging darin im warmen und behaglichen Zimmer umher. Dann sprach er wieder, immer noch, als fühlte er sich gleichsam in seinen Worten zurecht. »Ich will mich waschen und anziehen, und dann komme ich wieder hinunter und erkläre ... Heben Sie mir etwas von der Hammelkeule auf. Ich vergehe vor Verlangen nach einem Stück Fleisch.«

      Er blickte zu dem Herausgeber hinüber, der ein seltener Gast war, und hoffte, es gehe ihm gut. Der Herausgeber begann eine Frage. »Erzähle ihnen gleich«, sagte der Zeitreisende. »Ich bin – komisch! Bin gleich fertig.«

      Er setzte sein Glas hin und ging zur Tür nach dem Treppenhaus. Wieder fiel mir seine Lahmheit auf und der gedämpfte Klang seines Schrittes; ich stand auf und sah seine Füße, als er hinausging. Er hatte nichts darauf als ein Paar zerrissener, blutbefleckter Socken. Dann schloß sich die Tür hinter ihm. Ich hatte halb Lust, ihm zu folgen, doch mir fiel ein, wie er es haßte, wenn man sich zu viel um ihn kümmerte. Eine Minute vielleicht war ich zerstreut. Dann hörte ich den Herausgeber sagen: »Auffallendes Benehmen eines hervorragenden Naturwissenschafters«; er dachte (wie gewöhnlich) in Überschriften. Und das lenkte meine Aufmerksamkeit auf die helle Tafel zurück.

      »Wie heißt das Spiel?« sagte der Journalist. »Hat er den Amateur-Dienstmann gespielt? Ich verstehe nichts.« Mir begegnete das Auge des Psychologen, und ich las meine eigene Deutung auf seinem Gesicht. Ich dachte an den Zeitreisenden, der mühsam die Treppe hinaufhinkte. Ich glaube nicht, daß sonst noch jemand seine Lahmheit bemerkt hatte.

      Der erste, der sich vollständig von dieser Überraschung erholte, war der Arzt, der um einen neuen Teller auf die Glocke drückte – der Zeitreisende haßte es, Diener zum Servieren am Tisch zu haben. Da kehrte der Herausgeber mit einem Grunzen zu Messer und Gabel zurück, und der Schweigsame folgte seinem Beispiel. Das Diner begann von neuem. Die Konversation bestand eine Weile aus Ausrufen mit Lücken der Verwunderung; und dann wurde der Herausgeber in seiner Neugier glühend. »Ergänzt unser Freund sein bescheidenes Einkommen durch heimliche Arbeit? oder hat er seine Nebukadnezar-Phasen?« fragte er. »Ich bin überzeugt, es ist diese Sache mit der Zeitmaschine«, sagte ich und setzte den Bericht des Psychologen von unserer letzten Begegnung fort. Die neuen Gäste waren einfach ungläubig. Der Herausgeber erhob Einwände. »Was war dieses Zeitreisen? Ein Mensch kann sich nicht mit Staub bedecken, indem er sich in einem Paradoxon wälzt, wie?« Und dann, als ihm die Idee aufging, flüchtete er sich zur Karikatur. Gab es in der Zukunft keine Kleiderbürsten? Auch der Journalist wollte um keinen Preis glauben und schloß sich dem Herausgeber in der leichten Arbeit an, die ganze Sache lächerlich zu machen. Sie waren beide von der neuen Art der Journalisten – sehr lustige, unehrerbietige junge Männer. »Unser Spezialkorrespondent von übermorgen berichtet«, sagte der Journalist – oder vielmehr, er schrie es – als der Zeitreisende zurückkam. Er trug den gewöhnlichen Abendanzug, und außer seinem eingefallenen Blick blieb von der Veränderung, die mich erschreckt hatte, nichts mehr.

      »Hören Sie«, sagte der Herausgeber erheitert, »diese Burschen hier behaupten, Sie seien mitten in die nächste Woche gereist! Erzählen Sie uns vom kleinen Rosebery, ja? Was wollen Sie dafür haben?«

      Der Zeitreisende ging ohne ein Wort zu dem für ihn reservierten Platz. Er lächelte ruhig, auf seine alte Art. »Wo ist mein Hammelbraten?« sagte er, »Was für ein Fest es ist, einmal wieder eine Gabel in Fleisch zu stecken!«

      »Erzählen!« rief der Herausgeber.

      »Zum Henker mit dem Erzählen!« sagte der Zeitreisende. »Ich will essen. Ich sage kein Wort, ehe ich nicht etwas Pepton in meine Arterien bekomme. Danke. Und das Salz.«

      »Ein Wort«, sagte ich. »Sind Sie in die Zeit gereist?«

      »Ja«, sagte der Zeitreisende mit vollem Munde, indem er nickte.

      »Ich gebe einen Schilling die Zeile für eine Verbatimnote«, sagte der Herausgeber. Der Zeitreisende schob dem Schweigenden sein Glas hin und klingelte mit seinem Fingernagel daran; worauf der Schweigende, der ihm ins Gesicht gestarrt hatte, krampfhaft zusammenfuhr und ihm Wein einschenkte. Der Schluß des Diners war ungemütlich. Mir für meinen Teil stiegen fortwährend plötzliche Fragen auf die Lippen, und ich denke, mit anderen war es ebenso. Der Journalist versuchte die Spannung zu lösen, indem er Anekdoten von Hetti Potter erzählte. Der Zeitreisende wandte alle Aufmerksamkeit dem Essen zu und entfaltete den Appetit eines Landstreichers. Der Arzt rauchte eine Zigarette und beobachtete den Zeitreisenden durch seine Augenwimpern. Der Schweigende erschien noch ungeschickter als gewöhnlich; er trank aus bloßer Nervosität mit Regelmäßigkeit und Entschlossenheit Sekt. Schließlich schob der Zeitreisende seinen Teller zurück und blickte sich unter uns um. »Ich glaube, ich muß um Verzeihung bitten,« sagte er. »Ich verhungerte einfach. Ich habe eine erstaunliche Zeit durchgemacht.« Er streckte die Hand nach einer Zigarre aus und schnitt das Ende ab. »Aber kommen Sie ins Rauchzimmer. Die Geschichte ist zu lang, um sie über schmutzigen Tellern zu erzählen.« Und indem er im Vorbeigehen auf die Glocke drückte, führte er uns ins Nebenzimmer.

      »Sie haben Blank und Dash und Chose von der Maschine erzählt?« sagte er zu mir, indem er sich im Sessel zurücklehnte und die neuen Gäste nannte.

      »Aber die Sache ist ein bloßes Paradoxon«, sagte der Herausgeber.

      »Ich kann heute abend nicht debattieren. Ich will Ihnen die Geschichte erzählen, aber ich kann nicht debattieren. Ich will Ihnen erzählen, was mir begegnet ist, aber Sie müssen Unterbrechungen vermeiden. Ich möchte es erzählen. Schlecht. Das meiste wirkt wie gelogen. Meinetwegen. Es ist trotzdem wahr – jedes Wort davon.


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